Interview

Klimaforscher Michael Pahle: "Wir müssen zurück zum Preissystem"

Michael Pahle Potsdam-Institut für Klimafolgenwirtschaft PIK
© Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Der Klima- und Energieforscher Michael Pahle spricht im Interview über die wahren Ursachen der Energiekrise – und das, was gegen die Misere hilft. (Dezember 2022)

Klima- und Energieforscher Michael Pahle nimmt sich Zeit für ein Interview. Anlässlich der bundesweiten IHK-Kampagne „WirtschaftBrauchtEnergie“ wollen wir von ihm wissen, wie wir rauskommen aus der Doppelkrise Klimawandel und hohe Energiepreise.

Was auffällt: Trotz der Misere wirkt der Mann keinesfalls resigniert. Er kann sich deutlich hörbar über die deutsche Regulierungs- und Subventionssucht amüsieren – und findet gegen Ende des Gesprächs tröstende Worte für den frustrierten IHK-Redakteur. Pahle erklärt da sehr schön, warum es trotz aller Probleme Gründe für Zuversicht gibt.

Herr Pahle, Ihr Institut fordert für den Klimaschutz den CO2-Preis, die IHK plädiert für marktwirtschaftliche Instrumente. Ist das nun mit dem Berliner „Doppelwumms“ von 200 Milliarden Euro alles Geschichte?

Krisen bedeuten immer auch Preiskrisen. Es ist klar, dass jetzt keine Begeisterung ausbricht, wenn wir dann noch auf eine Erhöhung des CO2-Preises pochen – wie übrigens ursprünglich von der Bundesregierung geplant. Aber an der grundsätzlichen Notwendigkeit hat sich nichts geändert. Wenn man von der aktuellen Krise abstrahiert und langfristig schaut, wird ja kein vernünftiger Mensch sagen, wir brauchen keine CO2-Bepreisung. Das Verbrennen fossiler Brennstoffe muss teurer werden. Jeder weiß das.

Die Politik macht gerade das Gegenteil. Sie verbilligt mit Unsummen die Preise für Strom und Gas. War diese Notbremse unausweichlich?

Darüber läuft gerade die Fortsetzung einer uralten Diskussion. Auf der einen Seite haben wir die Neigung der Politik gegenzusteuern, wenn der Markt „aus den Fugen“ gerät. Schnell ist man da beim Lamentieren: Oh, die Belastungen sind zu hoch, und die Preise müssen runter! Ökonomen sehen das tendenziell anders. Sie würden sagen, hohe Preise bedeuten knappe Güter – und signalisieren uns, dass wir von diesen knappen Gütern weniger verbrauchen oder Alternativen beschaffen müssen.

Halten Sie es nicht für sinnvoll, Firmen zu helfen, die um Ihre Existenz bangen?

Das hängt davon ab, in welchem Ausmaß die Bedrohung selbstverschuldet schon vor der Krise da war – oder durch die Krise bedingt ist. Das Tempo, mit dem jetzt Riesensummen per Gießkanne verteilt werden, sehe ich kritisch. Das ist auch ein Zeichen für die Unfähigkeit der Politik, die Krise in ihrem Kern wirklich anzugehen. Wenn man Härten so abmildert, bekämpft man nur die Symptome, und überdeckt damit die strukturellen Probleme mangelnder Resilienz.

Sie sagen, die Politik bekämpfe nur die Symptome. Was halten Sie für die Ursachen der Misere?

Ein Grund ist offensichtlich: die zu hohe Abhängigkeit von nur einem Land, das uns große Mengen Gas zu einem aus Klimaschutz-Sicht viel zu günstigen Preis lieferte. Das ist aber nicht nur ein politischer Fehler. Die Unternehmen haben das Geschenk dankbar angenommen. Das darf man nicht nur der Politik zuschreiben. Der zweite Grund ist: Unserem System fehlt die Kosteneffizienz.

Wie jetzt bei den Preis-Bremsen.

Ganz genau. Die Krise kommt, die Preise steigen, dann wird von der Politik mit der Gießkanne gemildert. Die Zeit war knapp, klar, für deutsche Verhältnisse hat die Regierung sehr schnell reagiert. Doch wenn wir uns jetzt die Gas-Soforthilfe anschauen im Dezember, zu der wir eine Analyse gemacht haben, dann sieht man: Das Geld fließt nur zu einem Drittel an Haushalte, die wirklich bedürftig sind.

Das heißt, auch Leute, die keine Hilfe brauchen, bekommen Geld. Wie kommt es zu dieser Überförderung?

Wenn es schnell gehen soll, so wie in dieser Krise, erzeugt man mit Hilfen „für alle“ die geringsten politischen Widerstände. Niemand beschwert sich, es gibt eben schnell Geld. Die Kosten werden dank steigender Verschuldung Jahre später bezahlt – auch von denen, die nicht von den Hilfen profitiert haben. Wenn man Geld so ausgibt, ist die Kasse sehr schnell leer. Ein Grund mehr, warum man wieder verstärkt auf Preise setzen muss – weil sie richtiges Verhalten steuern und für den Staat höhere Einnahmen bedeuten.

In Wilhelmshaven hat Deutschland ein LNG-Terminal in Rekordzeit hingestellt. Werten Sie das als ein Fortschritt oder Rückfall in die Blütezeit fossiler Brennstoffe?

Angesichts der Lage, in der man nun gelandet ist, ist das schon sinnvoll. Natürlich hätte man das Thema Versorgungssicherheit schon vor Jahren konsequent mit angehen müssen. Aber die Politik neigt eher zum Reagieren als zum Agieren, was uns anfällig für Krisen macht. Und ist eine Krise da, wird es hektisch und brachial. Man kann nur hoffen, dass die Politik jetzt ihre Lektion begreift und künftig mit mehr Weitblick handelt, damit Krisen erst gar nicht entstehen können.

In Talkrunden und auf Tagungen wird viel gefordert – neue Kernkraftwerke, Fracking in Norddeutschland oder die CO2-Abscheidung. Was halten Sie davon?

Eine Krise ist auch immer eine Zeit großer Forderungen und Heilsversprechen: Wir brauchen das und das unbedingt. Das entspricht der Debatten-Logik. Hier habe ich persönlich viele Fragezeichen. Das Abscheiden und Speichern von CO2 brauchen wir aber tatsächlich, das sehen wir klar aus unseren Szenarien-Rechnung. Anders kriegen wir bestimmte Industrieprozesse nicht dekarbonisiert. Aber wir dürfen nicht nur auf technische Lösungen bauen. Wir müssen das gesamte System verbessern.

Was schlagen Sie vor?

Für eine Lösung der Energie- und Klimakrise brauchen wir beides: die Geschwindigkeit der Märkte und den richtigen Regulierungsrahmen. Bei der Regulierung haben wir zwei Probleme. Wir stoßen erstens in viele neue Bereiche vor, wo noch nichts da ist. Beispiel ist die Abscheidung von Emissionen. Bis der gesetzliche Rahmen da ist, dauert das sehr lange – es muss aber schneller gehen.

Zweitens gibt es eine Unmenge von Vorschriften und Auflagen, die einzeln betrachtet sogar sinnvoll scheinen, in der Summe aber die Energiewende systemisch blockieren. Hier muss konsequent ausgemistet werden.

Klimaforscher Michael Pahle

Ist die Energiekrise auch Folge deutscher Regulierungswut?

Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland schon sehr überbordend sind mit Regeln, die Dinge verhindern. Da sagt Ihnen der Denkmalschutz: neues Fenster? Das geht hier aber nicht. Sie wollen irgendetwas bauen, das gut für das Klima ist – und schon beginnt der Kampf gegen einen Rattenschwanz an Regularien mit vielen Ämtern, die jeweils auf ihre Zuständigkeit pochen. Das ist ein Bereich, in dem man alles radikal auf den Prüfstand stellen sollte. Was nicht absolut unverzichtbar ist, sollte weg. So gut wie wir im Schaffen neuer Regeln sind, so schlecht sind wir im Abschaffen alter Regeln. Ich würde als Politiker darauf eine Prämie aussetzen.

Zeigen uns die USA gerade, wie es besser geht? Die US-Regierung will knapp 370 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz ausgeben und Unternehmen für Klima-Projekte mit Steuer-Gutschriften belohnen.

Steuer-Gutschriften sind ein spezifisch amerikanischer Weg. Am Ende ist auch das eine Form von Subvention. Ob man das so löst oder mit einer Direktzahlung, macht keinen Unterschied. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Deutschland nicht groß. Wir geben Subventionen nur anders aus.

Welche Variante halten Sie für besser?

Die Amerikaner sagen: Hier ist ein Riesen-Topf mit Geld. Wer als erstes die größte und beste Idee hat, bekommt was. Das ist einfach und hat den Vorteil, dass große und innovative Unternehmen schnell reagieren. Da kann für viel Geld dann zwar auch mal nichts rauskommen, aber die Amerikaner denken eben groß und riskant. Da sollten wir uns schon eine Scheibe abschneiden. Geld geben wir zwar auch viel aus, nur leider typisch deutsch: sehr bürokratisch und risikoscheu. Mit viel Geld werden kleine, aber sichere Fortschritte erreicht. Politisch lässt sich das gut als Erfolg verkaufen.

Doch wenn man schon subventioniert, dann bitte dort, wo die wirtschaftlichen Risiken tatsächlich groß sind.

Klimaforscher Michael Pahle

Öko-Stromer und Klimaschützer kritisieren, dass Förderprogramme für Energie-Effizienz in Gebäuden gekürzt oder gestoppt werden.

Ja, darauf wird es hinauslaufen. Es wird mit guter Absicht Geld ausgegeben, aber man muss auch schauen, was am Ende dabei rauskommt. Tun wir das nicht, entsteht Anspruchsdenken. Dass ist die perverse Logik jeglicher Subvention, dass am Ende oft nicht mehr erklärbar und zu verstehen ist, warum bestimmte Unternehmen und Dinge bevorzugt oder überhaupt gefördert werden. Aber einmal eingeführt, bekommt man Subventionen nur sehr schwer wieder abgeschafft.

Wie stoppen wir diese Logik?

Wir müssen wieder auf das marktwirtschaftliche Preissystem zurückkommen. Wenn wir einen CO2-Preis in ausreichender Höhe hätten, dann würde dadurch ein finanzieller Anreiz geschaffen. Dann hätten sich viele vermutlich auch schon längst auf hohe Gaspreise eingestellt, und die Krise gäbe es in der Form nicht. Und statt Energieeffizienz-Maßnahmen pauschal zu fördern, könnte man sie versteigern. Der Staat fragt: Wie viel können Sie vermeiden, und was müssen wir im Gegenzug dafür bezahlen? Jeder kann bieten. Es ist bestimmt schwierig, das umzusetzen, aber hinter der Idee steckt eine schlagende Logik. Gemacht wird, was der Gesellschaft den größten Wert zu den geringsten Kosten bringt.

Halten Sie in der aktuellen Lage den CO2-Preis noch für sinnvoll?

Der CO2-Preis löst nicht alles, aber von ihm geht ein starkes Signal an Unternehmen und private Haushalte aus – die Gewissheit, dass fossile Energie künftig viel mehr kostet. Die Politik muss gar nicht viel machen, sie muss nur den Mut haben, diesen Kurs konsequent durchzuziehen. Wie schnell der Markt auf hohe Preise reagiert, zeigt gerade das Beispiel Wärmepumpen. Da ist die Nachfrage sprunghaft angestiegen.

Es ist klar, dass wir nicht jedes Jahr 200 Milliarden Euro raushauen können. Andererseits wird die Transformation des Landes noch sehr viel Geld brauchen. Wie lässt sich das alles noch finanzieren?

Man sollte das Steuergeld nicht mehr für unnötige Subventionen und Kompensationen verschwenden. Der Staat muss dort investieren, wo Preissignale nicht funktionieren – im Planungsrecht, in der Infrastruktur, in einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und in Innovationen, die für den Markt zu riskant sind.

Glauben Sie noch an die Einsicht der Politik?

Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass die Politik endlich erkannt hat, wohin es gehen muss. Sie macht jetzt bei der Windkraft richtig ernst. Die gleiche Logik muss sie jetzt auf alles andere übertragen – und dabei nicht der Versuchung verfallen, alles kleinteilig durchdirigieren zu wollen.

Das Frustrierende ist doch, dass alle nationale Fortschritte keine Rettung bringen. Wie enttäuscht sind Sie von der jüngsten Klimakonferenz in Ägypten?

Man muss auch die Fortschritte sehen. Fakt ist, dass das Thema Klimaschutz wieder alle Länder an einen Tisch gebracht hat. Das Verhältnis zwischen USA und China hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Trotzdem haben die Verhandler der beiden Länder dort miteinander gesprochen, im Vorfeld auch die beiden Staatschefs Biden und Xi. Das ist immens wichtig, weil, das wissen wir alle, wirklicher Klimaschutz nur mit den USA und China geht.

Von einem globalen CO2-Preis ist man aber noch weit entfernt. Es ging vor allem um Geld für arme Länder, die vom Klimawandel besonders betroffen sind.

Die Grundsatzfrage der Wahl zwischen Subventionen oder markbasierten Preisinstrumenten stellt sich den meisten Länder noch gar nicht, weil sie bislang wenig für das Klima gemacht haben. Deutschland hat in der Vergangenheit schon viele Milliarden ausgegeben. Wir sind jetzt in der reiferen Phase, wo man sich nach dem geglückten, aber teuren Start über Kosteneffizienz Gedanken machen muss. Das große Ausgabenprogramm der USA entspricht ungefähr dem Start unserer EEG-Förderung von vor zehn Jahren.

Ich prognostiziere daher, dass die USA eher früher als später an den Punkt kommen, an dem es auch dort ohne CO2-Preis nicht mehr weitergeht.

Klimaforscher Michael Pahle

Verglichen mit dem Tempo, in dem unsere Gletscher schmelzen, geht in der Klimapolitik alles quälend langsam. Sehen Sie Gründe für Zuversicht?

Aber ja. Wenn man auf den europäischen Emissionshandel schaut, wo Ende Dezember wegweisende Entscheidungen getroffen wurden, stimmt mich das schon sehr zuversichtlich.

Meinen Sie die Einigung des EU-Parlaments und der Mitgliedsstaaten, den Emissionshandel zu verteuern und auszuweiten?

Ja, genau. Da wurde ewig verhandelt. Der Emissionshandel war das mit Abstand dickste Brett im Gesamtpaket, und eine Einigung wurde regelmäßig totgesagt. Dass jetzt so viel Gutes rausgekommen ist, das sehe ich als den größten Erfolg für den Klimaschutz seit Langem.

Zur Person

Michael Pahle leitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenwirtschaft (PIK) die Forschungsgruppe Klima- und Energiepolitik. Das PIK forscht für globale Nachhaltigkeit und eine sichere und gerechte Klimazukunft. Zielgruppe sind Entscheider in Politik und Wirtschaft.