Europawahl 2024

Stimmen aus der Wirtschaft: Unternehmerschaft spricht Klartext

Kampagnenbild zur Europawahl 2024 des BIHK
© BIHK

Oberbayern und ein offenes Europa – dieses Zusammenspiel hat für die IHK-Mitgliedsfirmen bislang hervorragend funktioniert. Unser IHK-Bezirk hat von der EU so stark profitiert wie keine andere Region Deutschlands. Bei der Europawahl, aber auch bei den anderen noch anstehenden Wahlen in diesem Jahr geht es um das große Ganze. Was sagen Unternehmerinnen und Unternehmer aus dem oberbayerischen IHK-Ehrenamt zu Europa?

Stimmen aus der Wirtschaft: "Wir dürfen Europa nicht seinen Gegnern überlassen."

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© IHK/Goran Gajanin Ingrid Obermeier-Osl, Holzwerkchefin, IHK-Vizepräsidentin, Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Altötting-Mühldorf

Ja, es stimmt, dieses Europa nervt uns auch – mit einer Flut an Vorschriften, Berichtspflichten und Vorgaben. Ebenso klar ist aber auch: Was Rechtspopulisten fordern, kann nicht die Lösung sein. Ich bin eine mittelständische Unternehmerin. Meine wichtigsten Geschäftspartner sitzen in Italien und Österreich. Deshalb weiß ich: Der EU-Binnenmarkt ist das Beste, was uns passieren konnte.

Natürlich muss die EU mehr tun für die Wirtschaft und für ihre Wettbewerbsfähigkeit. Aber das Letzte, was uns jetzt hilft, ist der Rückfall in die Kleinstaaterei. Kein Unternehmer kann das wollen: dass an jedem Grenzübergang wieder Zollbeamte stehen, dass es kilometerlange Rückstaus der Lkws gibt, weil die Zollsachen wieder Stunden brauchen. Was ich auf keinen Fall will: völkisches Gedankengut, das mir vorschreibt, wen ich einstellen darf und wen nicht.

Letztlich geht es bei dieser Europawahl um Freiheit, Demokratie und den Wohlstand von uns allen. Deshalb sind wir Unternehmer jetzt alle besonders gefordert. Wir dürfen Europa nicht seinen Gegnern überlassen. Wir müssen auch unseren Mitarbeitern erklären, wie wichtig es ist, am 9. Juni zur Wahl zu gehen. Für uns und unsere zukünftigen Generationen!

Mein Showroom, das ist zu 100 Prozent „Made in Italy“. Wenn es mal Probleme mit der Ware gibt, aktuell haben mal Etiketten gefehlt, kann ich das schnell regeln, zur Not auch mal selbst eine Kollektion aus Italien holen. Ich habe Kundinnen in der Schweiz. Da spüre ich sofort den Unterschied. Bevor ich da über die Grenze fahre, habe ich das große Zittern. Welche Dokumente wollen die heute sehen? Daher weiß ich: Ohne den Binnenmarkt müsste ich meinen Laden dichtmachen.

Karin Elsperger, Chefin einer Mode-Agentur und IHK-Vizepräsidentin

"Gegen das, was die Rechten aus unserem Europa machen wollen, wehre ich mich. "

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© Fuchsbräu Hotel Denise Amrhein, Hotelchefin in Beilngries und Vorsitzende des IHK-Tourismusausschusses

Ich befürchte, dass das eine Wutwahl wird. Was ich schlimm finde: Migranten, Flüchtlinge, Kriminelle – alles wird in einen Topf geworfen. Hautpsache: Ausländer raus! Das hat Wirkung. Auch in meinem Umfeld beginnen die Diskusssionen, und da scheue ich keine Kontroverse. Ich habe so wertvolle Mitarbeiter, die will ich nicht verlieren.

2016 kam aus Syrien Iyad zu uns. Der hat bei uns die Ausbildung gemacht. Der ist als Koch so gut, dass wir seinen Bruder Yousef nachgeholt haben. Dem habe ich einen Sprachkurs bezahlt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat das erleichtert. Es war ein Riesen-Aufwand, ich musste 1.000 Formulare ausfüllen. Aber es hat alles super funktioniert. Yousef arbeitet im ersten Koch-Lehrjahr und hat das Recht, dauerhaft zu bleiben.

Dann haben wir unsere Küchenhilfe Iqbal, ein junger, lebenslustiger Mensch. Mit religiösem Fanatismus hat der nichts am Hut. Wenn es nach der AfD ginge, müsste der raus aus dem Land. Sein Status: Asylantrag abgelehnt, wird nur dauerhaft geduldet wegen des Abschiebestopps nach Afghanistan.

Gegen das, was die Rechten aus unserem Europa machen wollen, wehre ich mich. Die Opfer wären diese wertvollen Menschen, die ich als Mitarbeiter schätze und brauche.

Ein Europa der Vaterländer. Wenn ich das schon höre. Für mich ist klar: Die wollen zurück in die Steinzeit. Ich kenne keinen Unternehmer, der das will. Europa hat uns Wohlstand gebracht. Wir haben ein ganz anderes Problem. Wir haben uns in Europa auf den freien Warenverkehr geeinigt. Unser Nachbar Tirol hebelt das mit der Blockabfertigung aus. Wenn jeder Mitgliedsstaat wieder anfängt, sein eigenes Ding zu machen, bleibt nichts mehr übrig von unserem Binnenmarkt.

Georg Dettendorfer, Spediteur, IHK-Vizepräsident, Vorsitzender des IHK-Verkehrsausschusses

"Ich habe null Lust auf Deutsch-Nationale, die mit ihrer Angst-Kommunikation Stillstand für jedes Unternehmen bedeuten."

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© Dirk Schmidt Günes Seyfarth, Gründerin, Chefin der Community Kitchen, Mitglied der IHK-Vollversammlung

Als ich diese Edeka-Video mit nur deutschen Produkten gesehen habe, habe ich gedacht: Wie cool ist das denn? Genauso sähe er aus, ein rein deutscher Supermarkt. Okay, es gäbe dann noch Deutschländer-Würstchen und Pfanni-Knödel, ansonsten wären die Regale leer. Meine Community Kitchen soll es bald auch in Mailand und Barcelona geben. Wieso Gutes nicht auch in andere Länder bringen? Ich habe null Lust auf Deutsch-Nationale, die mit ihrer Angst-Kommunikation Stillstand für jedes Unternehmen bedeuten.

Wenn ich mir die politische Diskussion so anhöre, frage ich mich oft: Meine Güte, Deutschland, wie ängstlich bist Du eigentlich? Diese Schotten-dicht-Debatten und Stillstandsversprechen haben noch nie zu etwas geführt. Jeder Unternehmer weiß: Chancen bietet nur der Wandel. Diese Chancen gibt es nur in einem freien und lebendigen Europa. Deutschland braucht mehr Mut. Was uns weiterbringt, sind Veränderungen.

Wie faszinierend dieses Europa sein kann, habe ich selbst in Brüssel erlebt - als Teilnehmer des europäischen Parlaments der Unternehmen. Eine tolle Idee: Rund 700 Unternehmerinnen und Unternehmer aus allen Teilen Europas nehmen für einen Tag die Plätze der Europa-Abgeordneten ein. Diese Veranstaltung bot uns zudem die Chance, mit EU-Abgeordneten zu diskutieren.

Wir Unternehmer haben mit einer Reihe von Abstimmungen unseren politischen Willen zum Ausdruck gebracht. In einigen Punkten waren wir uns alle einig, bei anderen wurden auch deutliche Unterschiede sichtbar. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir Unternehmer uns in Brüssel Gehör verschaffen und aktiv in die EU-Politik einbringen. Wir brauchen die EU dringend, aber sie muss sich verändern.

Florian Schardt, Geschäftsführer fme Unternehmensbeteiligungen, IHK-Vizepräsident

Stimmen aus der oberbayerischen Wirtschaft: "Viele wissen nicht, wie wichtig diese Europawahl für Oberbayern ist."

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© Franz Dilger Benedict Padberg, Gewinner des Deutschen Gründerpreises, Chef von Friendly Captcha, Mitglied des IHK-Regionalausschusses Starnberg

Oberbayern zählt zu den wachstumsstärksten und innovativsten Regionen Europas. Viele unserer Firmen sind international aktiv, wir leben gut vom EU-Binnenmarkt. Das, was im EU-Parlament entschieden wird, wirkt sich zum Teil direkt auf das Geschäft und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Oberbayern aus.

Viele wissen nicht, wie wichtig diese Europawahl für Oberbayern ist. Wir brauchen eine weltoffene und wirtschaftsfreundliche Politik auf europäischer Ebene. Ebenso klar ist, was wir Unternehmen von der EU-Politik erwarten. Punkt 1 ist der Bürokratieabbau. Die vielen Vorschriften nerven die Unternehmen und kosten zu viel Zeit und Geld.

Protektionismus und Abschottung bringen uns keinen Wohlstand, im Gegenteil: Sie schaden der Wirtschaft. Wir alle sollten uns daher einsetzen für ein starkes, geeintes Europa, das freien Handel ermöglicht und uns nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ weltweit Gewicht verschafft.

"Das wäre auch ein ökonomisches Selbstmord-Programm"

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© ortovox Christian Schneidermeier, ORTOVOX-Geschäftsführer, Mitglied der IHK-Vollversammlung

Vor dem 9. Juni müssen auch wir Unternehmer uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wegschauen ist keine Option, dafür sind die Gefahren zu groß. Wir müssen uns wehren, wenn wir unsere Demokratie und unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung schützen wollen. Und das fängt bei der Sprache an.

„Schuldkult“, Berlin ist „Neu-Kalkutta“, „Messermänner“, „Kopftuchmädchen“, das Gerede von „Globalisten“ und „Finanzeliten“, die Warnung vor dem „Great Reset“ in Brüssel, jetzt der grauenhafte Begriff der „Remigration“ – vor der Europawahl müssen wir Unternehmer dazu endlich „Stopp“ sagen auf der Straße, in unseren Betrieben, auf Social Media.

Wenn wir den Rechtspopulisten weiter das Feld überlassen, dann ist Schluss mit Klimaschutz, offener Gesellschaft und dem Europa, wie wir es heute brauchen. Das wäre auch ein ökonomisches Selbstmord-Programm. Xi, Putin und möglicherweise wieder Trump würden die Gewinner sein. Noch haben wir die Wahl. Die Chance müssen wir alle nutzen.