IHK-Energiewende-Barometer 2022
Im Energiewende-Barometer bewerten Unternehmen den Fortschritt der Energiewende und die aktuelle Klima- und Energiepolitik. Dieses Jahr wurden vom 13. Juni bis 1. Juli über 500 bayerische Betriebe befragt.
Die Wirtschaft in Bayern blickt mit großer Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in Energiewirtschaft und Politik. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verursacht geopolitische Instabilität, große Unsicherheiten und hat eine Energie- und Rohstoffversorgungskrise ausgelöst. Die Unternehmerinnen und Unternehmer kämpfen für ihre Betriebe und unseren Wirtschaftsstandort und versuchen sich auch in Krisenzeiten zukunftsfähig aufzustellen.
Inhalt
- Zentrale Ergebnisse
- Energiewende in Bayern: Unternehmen ziehen Bilanz
- Energiekrise: Kosten und Unsicherheiten nehmen drastisch zu
- Einspar- und Effizienzpotentiale: Ausweg aus der Energiekrise?
- Anpacken: Betriebe steigern Einsatz für Energiewende und Klimaschutz
- Klimastrategie und Treibhausgasbilanzierung werden immer wichtiger
- Außenbeziehungen verändern sich: Unternehmen geben Impulse vermehrt weiter
- Nationale CO2-Bepreisung: Unternehmen sehen Instrument weniger kritisch
- Forderungen an die Politik: Was die Unternehmen jetzt dringend brauchen
Zusammenfassung und zentrale Ergebnisse
Methode
Mit dem Energiewende-Barometer stellt die IHK-Organisation jährlich die Ergebnisse einer Online-Unternehmensbefragung vor, an der sich das Ehrenamt und weitere Mitgliedsunternehmen der Organisation beteiligen. Das Barometer bildet eine Bewertung der Unternehmen zum Fortschritt der Energiewende sowie zur aktuellen Klima- und Energiepolitik ab. Die Befragung zur diesjährigen Auflage fand vom 13. Juni bis 1. Juli 2022 statt.
Grundlage der vorliegenden Auswertung sind deutschlandweit 3.514 eingegangene Antworten, davon 505 aus Bayern (Vorjahr jeweils: 2.589; 361). Diese verteilen sich auf die Wirtschaftszweige Industrie (35 %), Bau (6 %), Handel (16 %) und Dienstleistungen (43 %).
Zentrale Ergebnisse
- Die bayerische Wirtschaft blickt mit großer Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in Energiewirtschaft und Politik.
- Steigende Stromkosten beklagt eine Rekordzahl von 77 % aller Unternehmen, bei den Energiekosten sind es 92 %.
- Von den befragten Betrieben gehen 44 % (Industrie 63 %) davon aus, dass sie am Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind.
- Ein Teil der Unternehmen versucht, finanzielle Ressourcen zur Bewältigung der aktuellen Lage vorzuhalten und Investitionen zurückzustellen.
- Gleichzeitig zeichnet sich in der bayerischen Wirtschaft ein großes Engagement ab, noch stärker als bisher die eigene Energiewende und Klimaschutzstrategie umzusetzen.
- Unterstützung von politischer Seite: Wie in den Vorjahren ist den Unternehmen in Bayern der Einsatz der Politik für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren (70 %) am wichtigsten. Strompreisentlastungen sind zudem dringend gefordert – zwei Drittel der Industriebetriebe und 69 % im Handel sehen das so. Ferner plädieren die Unternehmen für Technologieoffenheit und Entbürokratisierung.
Energiewende in Bayern: Unternehmen ziehen Bilanz
Die Entwicklungen in Energiewirtschaft und -politik haben in den letzten Monaten überdurchschnittlich viele Unternehmen beschäftigt. Dies zeigt sich bereits an der Antwortzahl zur diesjährigen Umfrage. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs die Umfragebeteiligung um rund 40 %. Nur ein Drittel der befragten Betriebe schreibt der Energiewende keine Effekte auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu – so wenige wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen vor 10 Jahren.
Abb. 1 zeigt: Gleichzeitig haben sich 2022 die Anteile sowohl derer erhöht, die die Energiewende als Wettbewerbsgefahr einschätzen, als auch derer, die in ihr eine Chance sehen. Dies spiegelt die große Unsicherheit und heterogene Betroffenheit in der Wirtschaft durch die aktuelle Energieversorgungskrise wider.
Knapp ein Drittel aller befragten bayerischen Unternehmen fürchtet die Effekte der Energiewende und schätzt sie „(sehr) negativ“ ein. So viele kritische Bewertungen wie seit 2013 nicht mehr. Andererseits sehen so viele Befragte wie nie seit Aufzeichnungsbeginn in der Energiewende eine Lösung: 27 % hoffen auf „(sehr) positive“ Effekte.
Während einerseits der enorme Kostenzuwachs, drohende Versorgungsengpässe und Planungsunsicherheit die Unternehmen akut und massiv belasten, wächst andererseits der Wunsch nach zügigem Vorankommen bei der Energiewende, der Erschließung unabhängiger und erneuerbarer Erzeugungsquellen.
Im Schnitt aller Branchen und Unternehmensgrößen, sehen die Unternehmen etwas mehr Risiken als Chancen in der Energiewende:
Sie stufen deren Auswirkungen auf ihre Wettbewerbsfähigkeit mit einem negativen Barometerwert von -3,43 ein. Das ist etwas weniger pessimistisch als im Vorjahr (-7,5). Während die Auftragsbücher im Bau- (+3,85) und Dienstleistungssektor (+2,01) von energiepolitischen Maßnahmen, wie z. B. Sanierungs- und Berichtspflichten, profitieren, machen sich Industrie (-10,58) und Handel (-16,20) große Sorgen um ihre Geschäfte.
In der Industrie hängt die Wettbewerbsfähigkeit vergleichsweise stark von energie- und klimapolitischen Entwicklungen sowie einer sicheren Energieversorgung ab, da der Anteil der Energie an der gesamten Wertschöpfung und Wertschöpfungskette hoch ausfällt. Im Handel bereiten die Nachwirkungen der Corona-Krise, lahmgelegte Lieferketten und steigende Klimaschutzauflagen Kopfschmerzen.
Energiekrise: Kosten und Unsicherheiten nehmen drastisch zu
Im Rahmen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der EU-Wirtschaftssanktionen drosselte Russland den Export von Erdgas nach Europa. In Deutschland liefen die Gasspeicher leer, eine für den Winter 2022/23 ausreichende Wiederbefüllung ist teuer und Stand September 2022 noch nicht abgeschlossen. Dies führt zu horrenden Preissteigerungen an den Energiemärkten.
Mit dem Zurückfahren der eigenen Produktion oder der (Teil-)Aufgabe von Geschäftsbereichen aufgrund der aktuellen energiewirtschaftlichen Entwicklungen beschäftigen sich laut Umfrage 11 % der bayerischen Unternehmen. In der Industrie sind es mit 14 % etwas mehr. Allerdings ist die Kostenlast bei Strom und Gas für Unternehmen inzwischen so hoch, dass 44 % der 2022 Befragten
davon ausgehen, am Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig agieren zu können. In der Industrie schätzen fast zwei Drittel (63 %) ihre eigene Lage so ein.
Zudem ist auch die mengenmäßig ausreichende Versorgung von Gesellschaft und Wirtschaft mit Gas über den kommenden Winter nicht gesichert. Sollte die dritte Stufe des Bundes-Notfallplans Gas ausgerufen werden, ist ein staatliches Eingreifen in den Markt und ein Abschalten einzelner Kunden nicht auszuschließen. Auch die Versorgung mit Strom, Rohstoffen und Materialien zu wettbewerbsfähigen Preisen ist derzeit nicht mehr sichergestellt. Die Sorgen der Unternehmen in dieser Hinsicht nehmen stark zu.
Details können Sie den Grafiken entnehmen und finden Sie in Kapitel 2 des Energiewende-Barometers.
Einspar- und Effizienzpotentiale: Ausweg aus der Energiekrise?
Die bayerische Wirtschaft arbeitet seit vielen Jahren an der Optimierung ihres Energieverbrauches. Durch die aktuelle Energieversorgungslage hat es für zwei Drittel der Industrieunternehmen und 63 % aller Betriebe allerdings nochmal an Relevanz gewonnen, Energie weiter einzusparen. Ein Rekordwert. Gleichzeitig ist das Einsparpotential begrenzt, wie aus Abb. 7 ersichtlich wird.
Die Hälfte der befragten Unternehmen sieht bei ihrem gesamten Endenergieverbrauch kein bis maximal 2 % Einsparpotential in den nächsten fünf Jahren. Die Potentiale wurden in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgeschöpft. 2014 gaben nur rund 31 % an, ihren Energieverbrauch nicht mehr oder um max. 2 % optimieren zu können.
Die Steigerung der Energieeffizienz ist ein wichtiger Hebel, um Energie einzusparen. In der Industrie gaben in den Umfragen der vergangenen 10 Jahre bereits zwischen 80 und 95 % der befragten Unternehmen an, Effizienzmaßnahmen in Planung und Umsetzung oder bereits abgeschlossen zu haben. „Low-Hanging-Fruits“ sind daher oftmals geerntet, vor allem in Produktionsprozessen sind immer weniger Potentiale für größere Einsparungen vorhanden. Weitere Optimierungen sind technisch oft schwer umsetzbar, kostenintensiv oder erfordern tiefergehende strategische Anpassungen. Aktuell beschäftigen sich die Firmen zunehmend mit der Optimierung von Service-Prozessen.
Aus Abb. 8 geht hervor, welche Effizienzmaßnahmen in der bayerischen Wirtschaft besonders vorangetrieben werden. Größere Zuwächse oder Einbrüche beim Engagement der Unternehmen sind im Vergleich zum Vorjahr nicht ersichtlich, was bestätigt, dass sie schon länger und stetig an Effizienz-Themen arbeiten. Lediglich bei den Maßnahmen in der Mobilität ist ein deutlicher Rückgang der Aktivitäten zu verzeichnen. Das Auslaufen von Förderungen im (gewerblichen) E- und Hybrid-Bereich sowie die Unsicherheiten hinsichtlich künftiger Preisentwicklungen sowohl an den Märkte für fossile Brennstoffe als auch am Strommarkt lassen Unternehmen aktuell zögern. Je gut ein Drittel der befragten Unternehmen setzt auf externe Unterstützung, um effizienter zu werden, oder geht die energetische Sanierung seiner Gebäude an.
Gut 40 % der Unternehmen in Bayern verwenden ein Energie- oder Umweltmanagementsystem, um an der Effizienz ihres Energieverbrauches zu arbeiten. Die Zertifizierung nach dem Umweltstandard DIN EN ISO140018 wird besonders häufig verwendet – 29 % der Unternehmen setzen darauf (vgl. Abb. 9). Knapp ein Fünftel nutzt DIN EN ISO 50001.9 Neben zertifizierten Managementsystemen vertrauen die Unternehmen vor allem auf Know-How-Austausch und Kooperation, um ihren Energieverbrauch effizienter zu gestalten. Ein Drittel der Unternehmen gibt an, sich einem Energieeffizienz- oder Klimaschutznetzwerk angeschlossen zu haben.
Anpacken: Betriebe steigern Einsatz für Energiewende und Klimaschutz
Trotz zusätzlicher Kostenlast sowie großer Unsicherheit durch die Corona-Pandemie und die neuen energie- und klimapolitischen Maßnahmen hatten die bayerischen Betriebe in den vergangenen beiden Jahren weiter Kurs bei Klimaschutz und Energiewende gehalten.
Abb. 10 zeigt deutlich: Dieser Trend hält auch in Zeiten der Energieversorgungskrise an. Bei allen Maßnahmen, die die Unternehmen zur Anpassung an Entwicklungen in Energiewirtschaft und -politik am häufigsten angehen, haben sie ihr Engagement seit dem letzten Jahr gesteigert.
Besonders hoch im Kurs stehen nach wie vor Energieeffizienzmaßnahmen. Dort ist der Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr allerdings am geringsten. Effizienzpotentiale sind bei vielen Unternehmen schon ausgeschöpft. Im diesjährigen Barometer geben rund 80 % der Befragten an, sich mit Energieeffizienzmaßnahmen zu befassen oder entsprechende Maßnahmen bereits abgeschlossen zu haben – ein krisenfester Umfragewert (2021: 79 %; 2020: 84 %; 2019: 80 %). In der Industrie machen sogar rund 92 % diese Angabe.
Details zu den verschiedenen Maßnahmen, die die Unternehmen im bereich Energiewende und Klimaschutz durchgeführt haben oder planen, können Sie in den Kapiteln 4.1 bis 4.4 des Energiewende-Barometers nachlesen.
Klimastrategie und Treibhausgasbilanzierung werden immer wichtiger
Die Beschäftigung mit der eigenen Treibhausgasbilanz landet in diesem Jahr erstmals unter den Top 10 Maßnahmen der Unternehmen zur Reaktion auf die Entwicklungen in Energiewirtschaft und -politik (vgl. Abb. 10). Dies zeigt, dass die Unternehmen die Krise als Motor nutzen und weiter zukunftsgerichtet agieren wollen.
Betriebliches Klimaschutzmanagement dient nämlich nicht nur dazu, langfristig klimaschonend am Standort Bayern wirtschaften zu können. Es hilft auch in der kürzeren Frist, Potentiale für den Umbau der betrieblichen Energieversorgung zu identifizieren und Erfolge zu dokumentieren – z. B. im Fuhrpark, bei Strom- und Wärmeversorgung.
Ein beachtlicher Anteil der 2022 befragten Unternehmen hat bereits eine Treibhausgasbilanz erstellt. Wie Abb. 11 erkennen lässt, kommt dieses Instrument in der Industrie schon viel flächendeckender zum Einsatz als in der Gesamtwirtschaft. Die Unternehmen gehen bei der Bilanzierung unterschiedlich ambitioniert vor (Scope 1, 2 oder 3).
Bei den bayerischen Unternehmen erfreut sich Scope 1 der größten Beliebtheit. Dabei werden alle Emissionen, die direkt durch die eigene Geschäftstätigkeit entstehen erfasst – z. B. durch Einsatz von Brennstoffen bei der Herstellung eigener Produkte. Rund 44 % der 2022 befragten Unternehmen kennen diese aus ihren Prozessen resultierenden Treibhausgasemissionen bereits, arbeiten daran oder planen sie zu erfassen (Industrie: mehr als zwei Drittel). Das ist ein Plus von 8 %-Punkten im Vergleich zum Vorjahr.
Auch Bilanzierungen auf dem zweiten und dritten Ambitionsniveau werden zunehmend häufiger durchgeführt. Scope 2 umfasst den indirekten Ausstoß durch zugekaufte Energie, die für eigene Prozesse benötigt wird. 40 % aller Betriebe – und 63 % der Industrieunternehmen – erfassen diese Ebene oder haben es vor (2021: 34 %).
Am herausforderndsten für die Unternehmen ist Scope 3. Hier werden ergänzend alle weiteren indirekten Emissionen betrachtet, die bspw. durch Mobilität und Verpflegung von Mitarbeitern, Dienstreisen, zugekaufte Waren und Dienstleistungen oder Nutzung, Entsorgung und Recycling der eigenen Produkte anfallen. Solche Informationen sind oft nicht oder nur sehr eingeschränkt verfügbar und in ihrer Beschaffung mit erheblichem Mehraufwand verbunden. 9 % aller Befragten bilanzieren dennoch bereits auf dieser komplexen Ebene, 28 % stecken in den Berechnungen oder haben es vor (2021: 8 % bzw. 21 %). In der Industrie befassen sich bereits 57 % der Unternehmen mit ihren Emissionen im Scope-3-Bereich.
Auf dem Weg zu klimaschonenden Prozessen und Geschäftsmodellen stoßen die Unternehmen auf vielfältige Hindernisse. Abb. 13 zeigt, dass vor allem der bürokratische Aufwand im Wege steht: über die Hälfte der Befragten zählt ihn zu den drei größten Hürden. Eine fundierte betriebliche Klimastrategie geht mit vielfältigem Verwaltungsaufwand einher. Darunter die Festlegung und das Monitoren von Zielen, die Neuzuweisung von Aufgaben und Re-Organisation von Prozessen und die etwaige Befassung mit Beratungs- und Förderangeboten. Hinzu kommen Berichtspflichten etwa im Rahmen von Managementsystemen, der Verwendung von zertifizierten Bilanzierungssystemen oder Klimaschutz-Labels.
Außenbeziehungen verändern sich: Unternehmen geben Impulse vermehrt weiter
Die Auswirkungen der hiesigen Entwicklungen im Energiebereich schlagen sich auch auf die Außenbeziehungen der Unternehmen nieder. Wachsende Kostenlast und Planungsunsicherheit, steigende politische Anforderungen und die strategische Neuausrichtung der Betriebe hin zu nachhaltigem Wirtschaften übertragen sich auf Kunden und Lieferanten im In- und Ausland.
Einerseits können die Unternehmen dadurch innovative Prozesse und technologische Lösungen über ihre Lieferketten und Handelsbeziehungen weitergeben und andernorts den Wandel anstoßen. Andererseits können diese Weitergabeeffekte ein Zeichen für schwindende Wettbewerbsfähigkeit am Standort sein, wenn bspw. Preise für Energie, Strom oder CO2-Emissionen höher liegen als im Ausland oder betriebswirtschaftlich schlicht nicht mehr darstellbar sind.
Die aktuelle Energiekrise beeinflusst die Außenbeziehungen der bayerischen Unternehmen deutlich (vgl. Abb. 14). Über zwei Drittel der Befragten geben an, zusätzliche Energiekosten an Kunden weiterzugeben oder dies vorzuhaben. In der Industrie müssen inzwischen 83 % auf diese Strategie zurückgreifen (jeweils ein Plus von rund einem Viertel im Vorjahresvergleich).
Die Weitergabe von Zusatzkosten dient vor allem der kurzfristigen Sicherung gegen einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig bedeutet die Weitergabe von Zusatzkosten an Dritte aber nur eine Verlagerung finanzieller Engpässe und kann sich wiederum negativ auf Absätze und Geschäftsbeziehungen auswirken.
Trotz der vergangenen Krisenmonate stellen immer mehr Unternehmen auf klimaschonende Produkte und Dienstleistungen um (plus 6 %-Punkte zu 2021) und treffen entsprechende Beschaffungsentscheidungen bei Vorprodukten (plus 7 %-Punkte). Vor allem in der Industrie sind die vorgelagerten Lieferketten ein wichtiger Hebel, um Klimastrategien umzusetzen. Dort achten mit knapp 56 % schon wesentlich mehr auf den CO2-Fußabdruck ihrer Vorprodukte.
Von allen Befragten gaben 35 % an, neue Geschäftsfelder erschlossen zu haben oder daran zu arbeiten, um den Entwicklungen in Klima- und Energiepolitik gerecht zu werden. Ein deutliches Plus seit der letzten Umfrage vor der Corona-Pandemie. Für 17 % sind Absatzmärkte außerhalb Deutschlands interessant (Industrie: 38 %).
Eine Produktionsverlagerung ins Ausland bzw. deren Einschränkung im Inland ziehen Betriebe bei großem Wettbewerbsdruck in Erwägung. Das gefährdet Arbeitsplätze und Knowhow vor Ort. Zudem werden durch mehr Produktion in Ländern mit geringen Umweltstandards Emissionen schlicht verlagert. Die Verlagerungstendenzen haben sich seit 7 Jahren auf einem recht stabilen Niveau eingependelt. Von den 2022 befragten Unternehmen haben rund 8 % diese Maßnahme ergriffen oder sind gerade dabei. Die energieintensive Industrie hängt in ihren Standortentscheidungen vergleichsweise stark von energiepolitischen Rahmenbedingungen ab. Dort liegt der Wert daher mit gut einem Fünftel wie üblich deutlich höher. Aufgrund der geopolitischen Unsicherheiten ist die Tendenz dort aktuell rückläufig.
Neue nationale CO₂-Bepreisung: Unternehmen sehen Instrument weniger kritisch
Seit gut anderthalb Jahren ist das nationale Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) in Kraft. Es belegt die Emissionen in den Bereichen Gebäude und Verkehr mit einem Preis. Die Verhandlungen zur genauen Ausgestaltung verliefen zäh. Insbesondere die für betroffene Unternehmen zentralen Kompensationsmechanismen für den Ausgleich wettbewerbsgefährdender Zusatzkosten durch das nationale Emissionshandelssystem (nEHS) waren strittig.
Abb. 15 zeigt, wie die an der diesjährigen Umfrage beteiligten Betriebe in Bayern über das nEHS denken. Im Vorjahresvergleich fallen die Einschätzungen etwas optimistischer aus:
Im Schnitt über alle Branchen sehen weniger Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit durch den Bepreisungsmechanismus gefährdet (54 % stimmen einer Gefährdung (eher) nicht zu) oder erachten Entlastungen als notwendig (60 % sehen (eher) keinen Bedarf). Allerdings sieht immer noch jeweils ein Viertel der Betriebe die eigenen Geschäfte durch das nEHS (eher) gefährdet oder eine Entlastung als (eher) notwendig an (Industrie: 37 % bzw. 40 %).
Die Unternehmen, die eine Entlastung nach der Carbon Leakage Verordnung beziehen, fühlen sich nach wie vor nicht ausreichend kompensiert. Jeweils über zwei Drittel aller Befragten erachten die Ausgleichszahlungen als nicht ausreichend (2021: 61 %) und das Antragsverfahren als unnötig bürokratisch.
Etwas mehr Unternehmen als 2021 betrachten das nEHS (eher) als Chance für die eigene Geschäftstätigkeit (25 %) – auch wenn nach wie vor weit mehr als die Hälfte der Betriebe dies (eher) nicht so sieht. Hier zeigt sich im Branchenvergleich besonders deutlich die unterschiedliche Betroffenheit: Während sich rund 30 % der Dienstleistungsunternehmen (eher) Chancen ausrechnen, sind es im Handel fast 20 %-Punkte weniger.
Knapp die Hälfte der Befragten sieht im nEHS einen Impuls für Klimaschutzinvestitionen. Ein Viertel der bayerischen Unternehmen teilt diese Meinung (eher) nicht.
Diese Ergebnisse sind vor dem Hintergrund einzuordnen, dass vielen Betrieben nach wie vor die Effekte des nEHS auf ihre eigenen Finanzen nicht klar sind. Über ein Viertel macht diese Angabe – mehr als im Vorjahr. Zusätzlich überlagern die krisenbedingten Preissteigerungen für Brennstoffe derzeit die Anreizwirkung des Emissionshandels ohnehin. Die Überlegungen hinsichtlich Aussetzen des vorgesehenen Preispfades und geplanter Erweiterungen des nEHS sind daher gerechtfertigt.
Forderungen an die Politik: Was die Unternehmen jetzt dringend brauchen
Hinter der Wirtschaft liegen turbulente Monate voller Herausforderungen und Unsicherheiten. Zusätzlich ist der Blick in die Zukunft derzeit trüb. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine verursacht geopolitische Instabilität, bringt große Unsicherheiten in außenwirtschaftlichen Beziehungen und hat eine Energie- und Rohstoffversorgungskrise ausgelöst.
Die bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmer kämpfen schon seit Beginn der Corona-Pandemie für ihre Betriebe und unseren Wirtschaftsstandort. Mit großer Flexibilität entwickeln sie immer neue Strategien, um auf die ständigen und rasanten Veränderungen bei Kosten, Versorgungslage und politischen Vorgaben zu reagieren.
An welchen Stellen kann – muss – die Politik sie dabei unterstützen? Abb. 16 zeigt, welche Maßnahmen sich die befragten Unternehmen von der Politik wünschen, um Energiewende und Klimaschutz sicher, bezahlbar und umweltverträglich gestalten zu können.
Wie in den Vorjahren ist den Unternehmen in Bayern der Einsatz der Politik für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren (70 %) am wichtigsten. Im Branchenvergleich leidet vor allem die Bauwirtschaft unter zähen Verfahren – 79 % fordern hier Beschleunigung. Am zweitwichtigsten ist den Unternehmen, endlich Entlastungen beim Strompreis durchzusetzen. Mit 67 % bzw. 69 % sind diese Stimmen vor allem in Industrie und Handel laut.
Für die Stärkung von Energieeffizienz sollten aus Sicht der Mehrheit der Unternehmen (57 %) Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit als Leitprinzipien gelten. Diese Haltung spiegelt sich auch beim Ausbau erneuerbarer Energien wider: Eine verpflichtende Installation von Solaranlagen auf Dächern kommt nicht gut an – 69 % unterstützen dies nicht.
Beim Thema EEG ist sich 2022 nur gut ein Viertel der bayerischen Unternehmen sicher, dass ein Auslaufen der Förderung für Neuanlagen ab 2025 der richtige Schritt ist. Die aktuelle Lage an den Energiemärkten in Kombination mit Material- und Fachkräfteengpässen bremsen das Vertrauen in einen rein marktgetriebenen Ausbau der Erneuerbaren im benötigten Umfang. Hinzu kommen überbordende Vorgaben bei gemeinschaftlicher Eigenversorgung und Direktlieferverträgen – 45 % fordern eine Entbürokratisierung (Industrie: 55 %).
Über die Hälfte der Betriebe plädiert in der diesjährigen Umfrage dafür, den Ausbau aller Formen der erneuerbaren Energien ins öffentliche Interesse zu stellen und Verfahrenshürden abzubauen. Dazu zählen Engpässe beim Personal in den Genehmigungsbehörden genauso wie Prüfkonflikte – zum Beispiel bei der Abwägung zwischen Umwelt- und Klimaschutzbelangen. Dass im Rahmen der diesjährigen EEG-Novelle schließlich auch die Wasserkraft als im öffentlichen Interesse stehend eingestuft wurde, wird diesen Forderungen gerecht.
Gut 40 % der Befragten wünschen sich, dass der Zugang zu Wasserstoff für Unternehmen aller Branchen und Regionen zur Verfügung steht. In der Gesamtwirtschaft sowie unter den Industriebetrieben fordert jeweils knapp ein Drittel, auch Wasserstoff aus CO2-armen Herstellungsverfahren zuzulassen und im Markthochlauf nicht nur auf erneuerbare Produktion zu setzen.
Für einen Ausbau und ein stärkeres Preissignal des deutschen wie europäischen Emissionshandels spricht sich derzeit nur gut jedes zehnte bayerische Unternehmen aus. Angesichts der enormen Belastung durch die Energie- und Stromkosten nachvollziehbar. Rund die Hälfte der Industrieunternehmen fordert die Aufrechterhaltung der Energiekostenentlastungen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Knapp 40 % aller befragten Betriebe wünschen sich eine Vereinheitlichung der Emissionshandelssysteme auf europäischer Ebene.
Ihr Ansprechpartner
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