Herbst 2019

Bayerische Wirtschaft im Abwärtssog

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Die bayerische Wirtschaft ist auf kräftiger Talfahrt, nicht jedoch in einer scharfen Rezession. Dies ist das Ergebnis der Konjunkturumfrage der bayerischen IHKs für Herbst 2019.

Inhalt

Stimmung ist deutlich eingetrübt

Zu viele Störfaktoren prallen derzeit auf die Unternehmen ein. Im Zentrum steht die Industrie. Der Handelskonflikt zwischen China und den USA, der Brexit und ein rückläufiger Welthandel streuen Sand ins konjunkturelle Getriebe. Hinzu kommen strukturelle Probleme im Fahrzeugbau.

Mittlerweile strahlt der Abwärtssog in der Industrie auch auf andere Branchen aus. Davon betroffen sind insbesondere das Verkehrsgewerbe, die Lagerei sowie die Informationswirtschaft. Aber auch das Kreditgewerbe hat seine Bewertungen deutlich reduziert. Auf hohem Niveau bleibt die Bautätigkeit. Doch auch in dieser Branche wird das Fahrwasser rauer: Während der Wohnungsbau weiterhin floriert, spürt der Wirtschaftsbau die schwächere Investitionstätigkeit der Unternehmen. Damit verfestigt sich der Abschwung.

All dies hat die Stimmung im Unternehmerlager erneut spürbar eingetrübt. Erstmals seit neun Jahren erreicht der BIHK-Konjunkturindex, der die Lageurteile und die Erwartungen der Unter-nehmen in einem Wert abbildet, nur noch seinen langjährigen Durchschnitt von 113 Punkten. Zwar liegt die Bewertung der Geschäftslage mit einem Saldo von 35 Punkten weiterhin über ihrem Mittel - dies zeigt, dass sich die Wirtschaft nicht in einer scharfen Rezession befindet. Im Frühjahr lag der Saldo jedoch noch 8 Zähler höher. Wie stark sich die Geschäftslage abgekühlt hat, offenbart der Vergleich zum Herbst 2018: Vor einem Jahr lag der Saldo noch bei 53 Punkten. Ein solch starker Rückgang ist Indiz für eine kräftige wirtschaftliche Talfahrt.

Mit wenig Optimismus blicken die Unternehmen auch auf die kommenden zwölf Monate: 22 % der Unternehmen rechnen mit einer Eintrübung ihrer Geschäfte, nur noch 17 % mit Wachstum. Per Saldo (-5 Punkte) ist dies der schlechteste Wert seit der Finanzkrise 2008/2009. Eine schnelle Rückkehr zu höheren Wachstumsraten ist damit nicht zu erwarten. Entsprechend zurückhaltend sind die Unternehmen bei Investitionen und Personalplanungen: Nur noch 16 % der Unternehmen möchten ihre Beschäftigtenzahl erhöhen, 18 % werden Stellen reduzieren. Damit läuft der Beschäftigungsaufbau in Bayern aus.

Branchenkonjunktur in Bayern

50 % der Industriebetriebe müssen ihre Personalkapazitäten reduzieren.

Auf die Industrie prallen derzeit zu viele negative Einflussfaktoren gleichzeitig ein: Ein ungelöster Handelskonflikt zwischen den USA und China, der Brexit, eine weltweit schwache Produktion im Verarbeitenden Gewerbe sowie spezifische Probleme im Fahrzeugbau, die insbesondere im Autoland Bayern ihre Spuren hinterlassen.

Der Abwärtstrend in der bayerischen Industrie hat sich daher fortgesetzt. Die Unternehmen berichten von einer weiter schrumpfenden Nachfrage aus dem In- und Ausland. Die Geschäfts-lage in der bayerischen Industrie hat sich ebenfalls erneut kräftig eingetrübt: Per Saldo sind die Bewertungen der Unternehmen von 34 auf 18 Punkte abgestürzt. Nur noch 36 % der Betriebe bezeichnen ihre Lage als „gut“, 18 % sind „unzufrieden“. Ausgehend von der Rekordlage zu Jahresbeginn 2018 (59 Punkte) hat sich das Industriegeschäft mittlerweile um 41 Zähler auf ein nur noch durchschnittliches Niveau abgeschwächt.

Ein Ende der rasanten Talfahrt ist noch nicht in Sicht. Nur noch 15 % der Unternehmen rechnen mit Wachstum, 28 % hingegen mit einer sinkenden Geschäftstätigkeit. Mit einem Saldo von -13 Punkten ist die Industrie das konjunkturelle Sorgenkind in Bayern. Sowohl hinsichtlich des Inlands- als auch des Auslandsgeschäfts deuten die Ergebnisse auf eine anhaltend rückläufige Auftragsentwicklung hin. Dies gilt gleichermaßen mit Blick auf Europa, China, Südamerika sowie den Nahen und Mittleren Osten. Für das Nordamerikageschäft liefert die Abfrage immer-hin ein Stagnationsszenario.

Die schwache Nachfrage führt dazu, dass viele Unternehmen ihre Kapazitäten reduzieren müssen. Dementsprechend spielt das Motiv der Erweiterungsinvestitionen eine immer geringere Rolle. Dies dämpft die Investitionsbereitschaft insgesamt. Sie sinkt auf den niedrigsten Wert seit sieben Jahren.

Rund jedes zweite Unternehmen gibt an, dass es seine Personalkapazitäten reduzieren muss. Am häufigsten setzen die Unternehmen dabei auf flexible Arbeitszeitmodelle. Manche kommen jedoch nicht um einen Arbeitsplatzabbau umhin. Dementsprechend unter Druck sind die Be-schäftigungspläne: Rund jedes vierte Unternehmen geht von einer sinkenden Beschäftigtenzahl aus, nur noch 14 % von einer steigenden. Erstmals seit der Finanzkrise 2008/2009 deutet dieser Indikator auf einen bevorstehenden Stellenabbau in der Industrie hin.

Bau - Boom ist schwächer

Das bayerische Baugewerbe bleibt in sehr guter Verfassung. Drei Viertel der Unternehmen be-zeichnen ihre aktuelle Geschäftslage als „gut“, nur 4 % sind „unzufrieden“. Mit einem Saldo von 71 Punkten laufen die Geschäfte weiterhin auf einem überaus hohen Niveau. Dies spiegelt sich auch in einer weiterhin außerordentlich hohen Auslastung wider: 78 % der Bauunternehmen sprechen von einer Vollauslastung in den vergangenen Monaten.

Die Aussichten für das Baugewerbe bleiben grundsätzlich günstig: 75 % der Unternehmen gehen von einer gleichbleibend guten Entwicklung aus und 11 % sogar von einer besseren. Allerdings gehen 14 % der Unternehmen von einer nachlassenden Geschäftstätigkeit aus. Dies ist der höchste Wert seit sechs Jahren. Der Rückgang ist damit stärker als saisonal üblich.

Ein wesentlicher Grund für den ansteigenden Pessimismus dürfte die Investitionszurückhaltung anderer Branchen sein. Die Bauunternehmen schalten ihre Warnlampen daher hinsichtlich der Entwicklung des Wirtschaftsbaus auf „gelb“: Rund 18 % der Betriebe gehen von sinkenden ‎Aufträgen in den kommenden Monaten aus, nur 6 % von einem Auftragsplus. Demgegenüber rechnen sie mit einer recht stabilen Nachfrage nach Wohnimmobilien, denn der weiterhin robuste Arbeitsmarkt, Einkommenssteigerungen sowie nochmals günstigere Finanzierungs-bedingungen stützen die Nachfrage. Auch in diesem Segment gibt es jedoch vor allem einen bremsenden Faktor: 80 % der Betriebe sieht den Fachkräftemangel als Risiko an. Dies ist weiter-hin ein sehr hohes Niveau. Einerseits finden die Unternehmen keine zusätzlichen Mitarbeiter, andererseits haben sie Schwierigkeiten, frei werdende Arbeitsplätze nachzubesetzen. Der Wettbewerb um Fachkräfte ist weiterhin sehr hoch.

Dienstleister im Fahrwasser der Industrie

Die bayerischen Dienstleister können sich dem Abwärtssog der Industrie nicht gänzlich entziehen. Die Geschäftslage sinkt per Saldo von 49 auf 42 Punkte, was weiterhin eine über-durchschnittlich gute Bewertung ist. Jedoch ist es der niedrigste Wert seit vier Jahren. Aktuell bezeichnen 49 % der Dienstleister ihre Lage als „gut“, nur 7 % sind „unzufrieden“.

Noch deutlicher als ihre Lage haben die Dienstleistungsunternehmen ihre Erwartungen herabgesetzt: Per Saldo sind die Geschäftserwartungen von 11 Punkten auf -1 Punkt gesunken. Erstmals seit der Zuspitzung der Euroschuldenkrise in den Jahren 2011/2012 ist die Zahl der Optimisten annähernd gleich groß wie die der Pessimisten. Die Wachstumsaussichten haben sich damit deutlich eingetrübt.

Entsprechend zurückhaltender sind die Unternehmen bei ihren Personalplanungen: Nur noch 18 % möchten zusätzliche Stellen schaffen, ebenso viele jedoch Stellen streichen. Auch im Dienstleistungsgewerbe dürfte damit der Personalaufbau auslaufen.

Eine Verschiebung der Geschäftsgrundlagen spiegelt sich auch in den Risikobewertungen wider: Zwar wird der Fachkräftemangel weiterhin am häufigsten von den Unternehmen genannt – aktuell sehen 56 % in ihm ein Geschäftsrisiko – vor einem Jahr lag dieser Wert jedoch noch bei 63 %. Zudem hat die Sorge vor einer Eintrübung der Inlandsnachfrage im selben Zeitraum von 33 % auf 47 % zugenommen.

Nicht alle Branchen sind jedoch gleichermaßen von der Talfahrt betroffen. Deutlich schlechter als im Frühjahr ist die Stimmung auch in den Bereichen Verkehr und Lagerei oder in der Informationswirtschaft. Dies zeigt, dass die Eintrübung in der Industrie mehr und mehr auf andere Branchen übergreift. Im Kreditgewerbe ist sie besonders gedämpft. Ein wesentlicher Grund hierfür dürfte die Niedrigzinspolitik der EZB sowie die hohe Regulatorik sein.

Anhaltend gut ist die Stimmung unter den Finanzdienstleistern. Die Unternehmen sind mit ihrer aktuellen Geschäftslage sogar noch etwas zufriedener als im Frühjahr. Auch für die kommenden Monate bleiben die Unternehmen recht optimistisch.

Handel profitiert von stabilem privatem Wachstum

Gute Geschäfte melden weiterhin die bayerischen Händler. Die Unternehmen sind mit ihrer Ge-schäftslage daher zufrieden. Doch auch sie haben ihre Erwartungen abermals reduziert. Dabei zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen Einzel- und Großhandel.

Der bayerische Einzelhandel profitiert nach wie vor vom stabilen privaten Konsum. Niedrige Arbeitslosigkeit, Einkommenssteigerungen und günstige Finanzierungsbedingungen halten die Konsumlaune hoch. Dementsprechend zufrieden sind die Einzelhändler mit ihrer aktuellen Geschäftslage: 44 % bezeichnen ihre Lage als „gut“, 10 % als „schlecht“. Die Bewertungen sind damit sogar etwas besser als im Frühjahr. Die Einzelhändler gehen grundsätzlich von einer stabilen Entwicklung in den kommenden Monaten aus. Allerdings ist die Stimmung im Einzel-handel zweigeteilt: Während die Erwartungen der Einzelhändler für den stationären Handel weiterhin gedämpft sind, bleiben die Aussichten für das Online-Geschäft sehr gut.

Der bayerische Großhandel hängt neben dem privaten Konsum auch von den konjunkturellen Entwicklungen in anderen Wirtschaftsbranchen ab. Parallel zur Industrie ist im Großhandel seit einem Jahr eine Eintrübung der Geschäftslage zu erkennen. Aktuell sind mit 44 % „zufriedenen“ Händlern und 12 % „unzufriedenen“ zwar weiterhin überdurchschnittlich gute Bewertungen zu vermelden, vor Jahresfrist lag das Verhältnis jedoch noch bei 54 zu 10. Bereits im Frühjahr hatten die Großhändler auch ihre Erwartungen spürbar reduziert. Nun haben sie diese Ein-schätzungen quasi bestätigt: 19 % rechnen mit einem Geschäftsplus, 22 % hingegen mit einer Eintrübung. Damit dürfte die Branche nahezu stagnieren.

Risiken für die Konjunktur in Bayern

  • Inlandsnachfrage wird als nicht mehr so robust angesehen – 51 % sehen hierin ein Geschäftsrisiko
  • Wirtschaftspolitische Risiken auf Rekordniveau – 49 % sehen hierin ein Risiko.
  • Risiko Fachkräftemangel hat sich etwas entspannt – aber mit 55 % bleibt es das Wachstumshemmnis Nummer eins.

Wie groß die Verunsicherung hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung ist, unterstreicht die Risikobewertung. Im Jahresverlauf sind die Sorgen vor einer Eintrübung der Inlandsnachfrage von 36 % auf aktuell 51 % sprunghaft angestiegen. Die Sorgen vor einer Eintrübung der Aus-landsnachfrage haben im selben Zeitraum ebenfalls zugenommen, von 14 % auf nun 20 %.

Die verschiedenen politischen Unsicherheitsherde hinterlassen ebenfalls Spuren. Das wirtschaftspolitische Umfeld wird von 49 % als Risiko für das eigene Unternehmen eingestuft. Das ist Rekordniveau.

Die konkrete Frage nach einzelnen Risiken zeigt die wesentlichen Gründe für diesen Rekordwert: Von 57 % der befragten Unternehmen wird in den aktuellen konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen im Fahrzeugbau ein Risiko für ihr Unternehmen gesehen. Dies sind sogar mehr Nennungen als etwa Sorgen vor einer wirtschaftlichen Instabilität europäischer Mitgliedsländer (53 %), Protektionismustendenzen (41 %) oder dem Brexit (40 %). Das unterstreicht die Bedeutung des Fahrzeugbaus für Bayern.

Neben diesen Risiken klagen die Unternehmen auch weiterhin insbesondere über eine zu starke Regulierungsdichte sowie zu hohe Energiekosten. Passend zur schwächeren Wirtschaftsentwicklung hat der Fachkräftemangel leicht an Brisanz verloren, mit 55 % der Nennungen führt er dennoch das Ranking weiterhin an. Damit sind fehlende Fachkräfte auch in einer Phase, in der die Unternehmen sehr zurückhaltend mit Neueinstellungen sind, das Wachstumshemmnis Nummer eins für die bayerische Wirtschaft.

Sonderfragen zu den Risiken

In welchen Risiken sehen die Unternehmen eine Belastung für die eigene wirtschaftliche Entwicklung (Einzelnennungen ja/nein):

  • Für 57 % der Unternehmen sind die konjunkturellen und strukturellen Entwicklungen im Fahrzeugbau ein Risiko.
  • In einer wirtschaftlichen Instabilität europäischer Mitgliedsländer sehen 53 % der Unternehmen ein Geschäfts-risiko.
  • 41 % der Unternehmen sehen in den Protektionismustendenzen ein Risiko.

Wirtschaftspolitische Forderungen der bayerischen Wirtschaft

Die Zeit immer neuer konjunktureller Jubelmeldungen ist endgültig vorbei. Die bayerische Wirtschaft ist in eine Phase mit schwächerem Wachstum geschlittert. Eine ausgeprägte Rezession ist jedoch weder aktuell noch für die kommenden Monate zu erwarten. Wie sieht die wirtschaftspolitische richtige Antwort hierauf aus?

Für konjunkturelle Kurzfristmaßnahmen – wie das Schnüren von Konjunkturpaketen – besteht aktuell keine Notwendigkeit. Viel wichtiger ist es, die in den letzten Jahren gesunkene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen und den Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft so zu gestalten, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung gleichermaßen erreicht werden.

Eine solche Strategie umfasst zum einen eine zukunftsfähige Innovationspolitik, die technologieoffen und lösungsorientiert ist, die Anreize für Innovationen und Investitionen setzt und die den Technologietransfer sowie den Gründergeist stärkt. Zum anderen muss die Standortattraktivität verbessert werden. Dazu gehören eine optimale Versorgung mit (digitaler) Infrastruktur, attraktive steuerliche Rahmenbedingungen, eine schlanke Bürokratie, eine Linderung des Fachkräftemangels sowie wettbewerbsfähige Energiepreise.

Methodik der bayerischen Konjunkturumfrage

Für den bayerischen Konjunkturbericht wurden insgesamt 3.900 Unternehmen von den bayerischen IHKs schriftlich befragt. Die Konjunkturumfrage wird drei Mal im Jahr durchgeführt.