Energiepreise auf Rekordniveau: Notfallmaßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung
Inhalt
- Corona-Pandemie und Russland-Ukraine-Konflikt belasten Unternehmen stark
- Forderungen im Detail
- 1. Mindestfüllstände für Gasspeicheranlagen
- 2. Diversifizierung und zügiger Ausbau der Infrastruktur
- 3. Bessere Rahmenbedingungen für Energieeffizienz und erneuerbare Energien
- 4. Intensivere Nutzung von Kohle, Kernkraft und heimischem Erdgas
- 5. Kein Erdgasembargo
- 6. Weitere Strompreis-Umlagen aus dem Bundeshaushalt bestreiten
- 7. Energie- und Stromsteuern senken
- 8. Bundeszuschuss zu Stromnetzentgelten
- 9. Unterstützung besonders betroffener Unternehmen
- 10. Hochlauf des Wasserstoffmarktes beschleunigen
Corona-Pandemie und Russland-Ukraine-Konflikt belasten Unternehmen stark
Die Strom- und Energiepreise in Deutschland sind während der Corona-Pandemie – und seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts – noch einmal stark angestiegen bzw. förmlich explodiert. Die Preise für Öl, Gas und Benzin haben sich seitdem auf einem sehr hohen Niveau eingependelt. Die Inflation stieg im Mai 2022 auf 7,9 Prozent, das ist so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Auch die Auswirkungen auf die Rohstoff-Situation sowie die weltweiten Lieferketten sind gravierend.
Die Situation in der Ukraine bleibt angespannt und ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Das bedeutet weiterhin eine große Versorgungsunsicherheit auf den Energiemärkten. Russland erfüllt bisher zwar seine langfristigen Lieferverpflichtungen, kann allerdings nicht mehr als verlässlicher Lieferant angesehen werden. Neben den bestehenden Sanktionen werden die Rufe nach Embargos gegen russisches Gas und Öl lauter. Für die Gasversorgung wurde am 23. Juni 2022 die Alarmstufe, als zweite von drei Stufen im Notfallplan Gas, ausgerufen. Klar ist: Trotz aller Substitutions- und Sparanstrengungen können die Erdgasspeicher in Deutschland ohne das Importgas aus Russland bis zum November 2022 nicht den gesetzlich vorgegebenen Mindestfüllstand von 90 Prozent erreichen. Ein Embargo hätte fatale Folgen für Wirtschaft, Bevölkerung und sozialen Zusammenhalt in Deutschland.
Bereits bei der Befragung des DIHK zu Strom- und Gaspreisen im Februar 2022 sahen 53 % der Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der hohen Energiepreise am Standort Deutschland nicht mehr als gegeben an. In der Vorumfrage im Oktober 2021 waren es noch 46 %. Für ein Viertel der Unternehmen hatten sich die Strom- und Gaspreise im Jahresvergleich bereits im Februar mehr als verdoppelt. Die Marktpreise für Öl, Gas und Strom haben sich seitdem weiter drastisch erhöht.
Die oberbayerische Wirtschaft fordert vor diesem Hintergrund folgende Notfallmaßnahmen, um die Energieversorgung am Standort in dieser herausfordernden Zeit sicherzustellen.
Forderungen im Detail
1. Mindestfüllstände für Gasspeicheranlagen
Vorgaben für Speicherfüllstände sind ein notwendiges Mittel, um Vorsorge für den kommenden Winter zu treffen. Gasspeicher sind erforderlich, um den hohen Bedarf im Winter auch über längere Zeiträume zu decken und Versorgungssicherheit für den Energieträger Gas verlässlich zu gewährleisten. Die oberbayerische Wirtschaft befürwortet daher das vom Bund vorgelegte Gasspeichergesetz, mit Mindestfüllständen von 90 % zum 1. November und 40 % zum 1. Februar.
2. Diversifizierung und zügiger Ausbau der Infrastruktur
Der Binnenmarkt ermöglicht die Diversifizierung der Lieferquellen, erhöht die Versorgungssicherheit und reduziert die Kosten für die Energieversorgung. Grundlage dafür ist ein zügiger Ausbau der europäischen Strom- und Gasnetze sowie der Grenzkuppelstellen. Bei der Gas-Infrastruktur müssen mindestens zwei schwimmende LNG-Terminals (FSRUs) sowie deren Anbindung an die Fernleitungsnetze bis Ende 2022 realisiert werden, um die Gasversorgung in Deutschland und Bayern möglichst bald auch unabhängig von Lieferungen aus Russland sicherstellen zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Umsetzung der Energiewende laut Koalitionsvertrag bis 2030 eine zweistellige Anzahl neuer Gaskraftwerke vorsieht, die entsprechend sicher mit Brennstoff versorgt werden müssen. Wenn möglich, sollten alle neuen Anlagen zudem zukunftssicher „Wasserstoff-ready“ gebaut werden.
3. Bessere Rahmenbedingungen für Energieeffizienz und erneuerbare Energien
Die erneuerbaren Energien müssen zügiger und unbürokratischer ausgebaut werden. Sie sind nicht nur ein Schlüssel zum Erreichen der Klimaziele und können preisgünstig Energie bereitstellen. Sie können zudem auch die Importabhängigkeit senken. Voraussetzung dafür ist u.a. der gezielte Ausbau und die Bereitstellung von Anschlusskapazitäten in den Verteilnetzen, dem ebenfalls ein übergeordnetes öffentliches Interesse bescheinigt werden sollte. Die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren, bis hin zur Genehmigungsfiktion (z. B. beim Repowering von EE-Anlagen), und die Aufstockung des Personals bei den beteiligten Behörden sind hierbei entscheidende Erfolgsfaktoren. Zudem muss der gegenwärtige Zertifizierungsstau bei PV-Anlagen ab 135 kW, durch die hohen Anforderungen an die erforderlichen Zertifikate, kurzfristig praxisgerecht aufgelöst werden.
Mit ihrem aktuellen Osterpaket (Energiesofortmaßnahmenpaket 2022, mit dem das EEG und weitere Gesetze angepasst werden) stellt die Bundesregierung die Weichen richtig. Zentraler Punkt, neben der Erhöhung der Ausbauziele, ist das übergeordnete öffentliche Interesse, das dem Ausbau der erneuerbaren Energien gegenüber anderen Belangen ein höheres Gewicht bei der Abwägung der Genehmigungsbehörden geben soll. Die IHK hält diesen Ansatz für zielführend und effizient, fordert allerdings, das übergeordnete öffentliche Interesse auch auf die Wasserkraft zu erstrecken, die im vorliegenden Entwurf hierbei noch ausgenommen ist.
Mit Blick auf die Reduzierung der Energieimporte sind vor allem auch die weitere Erhöhung der Energieeffizienz sowie der Umbau der Wärmeversorgung von Erdgas und Heizöl auf Geothermie, Biomasse oder andere Alternativen von zentraler Bedeutung. Auch hierfür müssen Verfahren beschleunigt und die Komplexität der Regulierung reduziert werden.
4. Intensivere Nutzung von Kohle, Kernkraft und heimischem Erdgas
Zur Sicherstellung der Energieversorgung darf es keine Denkverbote geben. Deshalb sollten die Möglichkeiten zur weiteren Nutzung von Kernkraft und Kohlekraftwerken ernsthaft geprüft und erwogen werden, auch wenn Letzteres temporär der CO₂-Reduzierung zuwiderläuft. Ein kurzfristiger Fuel Switch von Erdgas auf Öl sollte ebenfalls unbürokratisch möglich sein. Dadurch kann die Abhängigkeit von Erdgas aus Russland reduziert werden und man könnte die Gaspreise zeitnah entlasten. Zudem würde die Versorgungssicherheit verbessert.
Gleichzeitig sollte die Nutzung von heimischem Erdgas gesteigert werden, um die Importabhängigkeit zu reduzieren. Hier sind noch beachtliche Reserven vorhanden. Die Förderung könnte potenziell von heute 5 % bis auf 20 % des Verbrauchs in Deutschland erhöht werden.
5. Kein Erdgasembargo
Auch bei größten Anstrengungen könnten die Erdgasimporte aus Russland nur teilweise aus anderen Quellen ersetzt werden. Ohne Gaslieferungen aus Russland ist das Befüllen der Gasspeicher auf die bis zum November notwendigen Füllstände nicht möglich. Eine Einschränkung des Gasverbrauchs in Deutschland mit absehbaren Verteilungskonflikten und existenzbedrohlichen Situationen für besonders betroffene Betriebe wäre die Folge. Ein Erdgasembargo hätte daher weitreichende Folgen für Unternehmen und Haushalte, die nicht vorhersehbar und abschätzbar sind. Den geltenden gesetzlichen Vorrang der privaten Haushalte als schützenswerte Kunden stellt die oberbayerische Wirtschaft dabei nicht in Frage.
Ein Importverbot für russische Kohle ab August 2022 sowie ein stufenweises Ölembargo bis Ende 2022/Anfang 2023 wurden von der EU bereits beschlossen. Bereits von diesen Maßnahmen sind weitere Energiepreissteigerungen und Belastungen der Verbraucher zu erwarten. Ein Gasembargo würde definitiv zu Rationierungen und zu unabsehbaren weiteren Preisschüben führen sowie auch den jetzt schon exorbitant hohen Strompreis noch weiter in die Höhe schießen lassen. Als Sanktionsmaßnahme wäre ein EU-Gaseinfuhrzoll einem EU-Gasembargo klar vorzuziehen. Die Einführung eines Gaspreisdeckels würde je nach konkreter Höhe die marktwirtschaftliche Knappheitsfunktion des Preises ausschalten und den Staatshaushalt erheblich belasten; er sollte deshalb vermieden werden. Solche temporären Eingriffe müssen aber insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn durch Umsetzung von preissenkenden Eingriffen in anderen EU-Ländern eine substanzielle Benachteiligung der deutschen Unternehmen im Binnenmarkt droht. Dies gilt vor allem im konkreten Fall der Ausrufung von Stufe 2 oder 3 des Notfallplans Gas und dem damit einhergehenden Greifen von § 24 Energiesicherungsgesetz (EnSiG) . Ein Preisdeckel ist zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit im EU-Binnenmarkt in diesem Fall unumgänglich.
6. Weitere Strompreis-Umlagen aus dem Bundeshaushalt bestreiten
Mit der Übernahme weiterer Umlagen (§19 StromNEV-, Offshore-Netz-, AblaV-, KWK-Umlage) durch den Bund kann die Wirtschaft nochmals in Summe um mehr als eine Milliarde entlastet werden. Dadurch entfällt zudem sehr viel Bürokratie in den Unternehmen, was den Verwaltungsaufwand reduziert (Abrechnungen etc.). Auch die Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien in den Betrieben sollte von Umlagen und Bürokratie entlastet werden.
7. Energie- und Stromsteuern senken
Die Strom- und Energiesteuern in Deutschland sind mit einer Reihe von nationalen Aufschlägen belegt. Diese abzubauen kann den starken Preissteigerungen entgegenwirken und Wettbewerbsnachteile unserer Betriebe im internationalen Wettbewerb beseitigen.
Bei der Stromsteuer ist Deutschland mit Abstand Spitzenreiter in Europa. Um den Strompreis weiter zu entlasten und Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, sollte die Stromsteuer auf die EU-Mindestsätze gesenkt werden (von 2,05 auf 0,05 ct/kWh).
Aktuell liegt die Energiesteuer auf Kraftstoffe in Deutschland bei 47,04 Cent für einen Liter Diesel und bei 65,45 Cent für einen Liter Benzin. Zum 1. Juni 2022 wurde sie, für drei Monate befristet, jeweils auf die Mindestsätze in der EU gesenkt (bei Benzin um 30 Cent/l, bei Diesel um 14 Cent/l, jeweils gerundet). Die oberbayerische Wirtschaft schlägt vor, die Energiesteuersätze so festzusetzen, dass die Betriebe faire Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zu den Nachbarländern vorfinden.
8. Bundeszuschuss zu Stromnetzentgelten
Im Rahmen des Ausstiegs aus der Kohleverstromung wurde vereinbart, dass ab 2023 ein Zuschuss zu den Netzentgelten gewährt wird, der die Preiseffekte ausgleichen soll. Diese Einigung gilt es jetzt schnellstens umzusetzen.
Auf Bundes- und Landesebene sollten darüber hinaus Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Preisgleitklauseln in Verträgen (vor allem mit der öffentlichen Hand) abgeschlossen bzw. nachverhandelt werden können.
9. Unterstützung besonders betroffener Unternehmen
Die IHK München begrüßt die von der Bundesregierung beschlossenen Unterstützungsmaßnahmen und fordert deren zügige Umsetzung.
10. Hochlauf des Wasserstoffmarktes beschleunigen
Der wirtschaftliche Übergang zur Klima-Neutralität wird nur gelingen, wenn große Mengen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sind. Neben Förderbedingungen sollten Infrastruktur-, Zertifizierungs- und Importfragen schnell geklärt werden, um einen liquiden Markt zu entwickeln. In der Marktbeschleunigungsphase benötigt die Wirtschaft alle Arten von Wasserstoff. Unternehmen, die in absehbarer Zeit nicht an das Wasserstoffnetz angeschlossen werden, sind auf einen effizienten Handel über ein Herkunftsnachweissystem angewiesen. Daher sollte es so schnell wie möglich eingeführt werden.
Fazit
Die hohen Energiepreise werden die Wirtschaft noch über längere Zeit beschäftigen. Der Russland-Ukraine-Krieg zeigt, dass Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zur realen Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen werden können, bis hin zur Deindustrialisierung unseres Standorts. Deshalb darf es auf kurze Sicht nur noch Einstiege, aber keine weiteren Ausstiege mehr geben. Von allen erneuerbaren Energien brauchen wir mehr. Es ist jetzt mehr denn je an der Zeit, die Energiewende zügig voranzutreiben und die eigenen vorhandenen Ressourcen zu nutzen.
Das geht nicht von heute auf morgen. Deshalb sollte wenigstens übergangsweise bei vorhandenen Energieträgern, wie z. B. Kernkraft oder Kohle, über eine weitere Nutzung nachgedacht und die weitere Erschließung heimischer Gasvorkommen in Betracht gezogen werden, um die bestehenden Abhängigkeiten zu reduzieren. Gleichzeitig und unabhängig vom Russland-Ukraine-Krieg und anderen Krisen spricht sich die oberbayerische Wirtschaft klar dafür aus, die festgelegten Klimaziele weiter zu verfolgen.
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