IHK Interview

„Community Kitchen“-Mitgründerin Judith Stiegelmayr diskutiert mit IHK-Vizepräsident Florian Schardt

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IHK-Vizepräsident Florian Schardt hatte als Treffpunkt für das Interview für die IHK-Medien Neuperlach vorgeschlagen. Das war die perfekte Gelegenheit, endlich einmal die „Community Kitchen“ zu besuchen, gegründet und betrieben von Vollversammlungsmitglied Günes Seyfarth. Die „Community Kitchen“ ist bundesweit die erste „Küche“ ihrer Art. Die Idee: Lebensmittel, die zum Wegwerfen bestimmt sind, retten und daraus gutes, bezahlbares Essen kochen.

Man könnte folglich sagen, hier verbündet sich die ökologische mit der sozialen Idee. Mehr Nachhaltigkeit geht nicht. Folglich finden das Konzept alle gut. IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl war schon Gast in der „Community Kitchen“, die Journalisten geben sich dort die Klinke in die Hand.

Die Erwartungen, so viel vorweg, wurden nicht enttäuscht. Schon von außen betrachtet, wirkt die „Community Kitchen“ in Neuperlach wie ein Stimmungsaufheller. Drinnen fühlt man sich spontan wohl. Es gibt in München sehr teure Locations, in denen man schlechter sitzt, in denen man sich weniger gerne unterhält.

Dann Überraschung: Judith Stiegelmayr, Mitgründerin der „Community Kitchen“ setzt sich spontan dazu und nimmt uns das Gespräch komplett aus der Hand. Wir beschränkten uns danach darauf, den Dialog zwischen Stiegelmayr und Schardt zu protokollieren. Und wir starteten beim Essen den Selbstversuch. Da gab es nichts zu meckern. Tortellini und Kirschkäse-Kuchen schmeckten tadellos.

Offensichtlich machte die Diskussion beiden Spaß. Stiegelmayr und Schardt äußerten den Wunsch, diesen Austausch fortzusetzen.

(Aussagen von Judith Stiegelmayr sind als fett markiert).

Was treibst Du neben Deinem Amt als IHK-Vizepräsident so?

Ich habe 2009 ein Unternehmen gegründet. AZUBIYO heißt es und bringt Jugendliche und Ausbildungsbetriebe zusammen. Es ist eine Mischung aus Jobbörse und Dating-Plattform. Das habe ich zehn Jahre lang gemacht. 2019 bin ich ausgestiegen. Seitdem bin ich als Business Angel tätig und unterstütze Start-ups. Seit 2019 bin ich politisch aktiv, zunächst als Vorsitzender der SPD im Landkreis München, seit 2020 auch als Mitglied des Kreistages.

IHK, das ist Ehrenamt pur.

IHK-Vizepräsident Florian Schardt

Was motiviert Dich zu Deinem Engagement für die IHK?

Also am Geld lag es sicher nicht (lacht), IHK, das ist Ehrenamt pur. Das Ganze war ein Zufall. Bis 2015 wusste ich nicht, was nach einer IHK-Wahl passiert. Damals wurde ich angesprochen und gefragt, ob ich mir vorstellen könne, für die IHK-Vollversammlung zu kandidieren.

Wusstest Du da schon, was die IHK macht – und was Du da erreichen willst?

Nur zum Teil. Mein erster Gedanke war: Wieso eigentlich nicht? Ich habe keinen großen Wahlkampf gemacht, bin gewählt worden und dann ganz unvoreingenommen in die Vollversammlung reingegangen. Was mir schnell gefallen hat: Dieser Austausch mit Unternehmerinnen und Unternehmern aus den unterschiedlichsten Branchen – die Möglichkeit hat man sonst fast nirgendwo, das finde ich wirklich bereichernd.

Du hast dann offensichtlich im Ehrenamt Karriere gemacht.

Ja, ich bin dabeigeblieben. Ich war zuerst in der Vollversammlung, bin danach in den Industrie-Ausschuss gegangen und sitze jetzt auch im Landkreis München im Regionalausschuss. Seit dieser Wahlperiode bin ich Mitglied im Präsidium. Das ist paritätisch besetzt, und in der Vollversammlung haben wir mehr Frauen als Männer.

Wow, klingt ja nach Fortschritt. Ich habe mir auch schon Sitzungen der Vollversammlung im Livestream angeschaut. Mich hat überrascht, wie intensiv da über Nachhaltigkeit diskutiert wurde.

Es stimmt, die Vollversammlung ist diskussionsfreudiger als in der vergangenen Wahlperiode. Und ja, das Thema hat an Bedeutung gewonnen. Es gibt jetzt einen IHK-Ausschuss Unternehmensverantwortung. Wir beschäftigen uns im Plenum deutlich mehr mit Nachhaltigkeit, wobei mich die Diskussion nicht immer glücklich macht.

Mir fehlt manchmal das Gespür für die soziale Verantwortung.

IHK-Vizepräsident Florian Schardt

Was stört Dich an der Debatte?

Mir fehlt manchmal das Gespür dafür, dass Unternehmen auch eine soziale Verantwortung haben. Ein Industrieunternehmen mit hunderten Beschäftigten bekommt man nicht über Nacht CO2-frei. Und den internationalen Wettbewerb kann man nicht einfach ausblenden. Man hat als Unternehmer schon auch eine Verantwortung für die Belegschaft.

Die Verantwortung haben wir auch in unserem Unternehmen und darüber hinaus. Sozial bedeutet schließlich gesamtgesellschaftlich relevant. Was bedeutet diese Einsicht für Deine Arbeit in der IHK?

Als IHK sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, dem Gesamtinteresse der Wirtschaft zu dienen. Wir können daher nicht einseitig Positionen einnehmen, von denen ein auf Nachhaltigkeit spezialisiertes Dienstleistungsunternehmen profitiert, die einen gewachsenen, energieintensiven Industriebetrieb aber in Schwierigkeiten bringen. Ich halte es auch persönlich für besser, sich auf wenige, aber wichtige Forderungen zu konzentrieren, die von einer breiten Mehrheit akzeptiert werden.

Welche Forderungen meinst Du?

Deutlich mehr Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien, zügige Ertüchtigung der Stromleitungsnetze, Strategien für die Speicherung von überschüssigem Grünstrom, all das sind Forderungen der IHK. Aber eben auch eine gesicherte und bezahlbare Energieversorgung.

Ohne gesellschaftliche Akzeptanz geht es nicht.

IHK-Vizepräsident Florian Schardt

Bist Du sicher, dass die breite Mehrheit das will? Ist das nicht das Denken, das alles blockiert?

Natürlich muss man die Position vertreten, von der man überzeugt ist. Aber ohne Mehrheit und gesellschaftliche Akzeptanz geht es nicht.

Und genau das ist der wunde Punkt, an den sich niemand rantraut: echter struktureller Wandel. Glaubst Du wirklich, dass uns einfache Lösungen in der heutigen Welt weiterbringen?

Nein, im Gegenteil. Die Probleme sind hochkomplex. Genau deswegen muss man aber sehr aufpassen, nicht in Fallen zu tappen, die einem Ansinnen eher schaden als nützen. Nimm die Diskussion um den Veggie Day vor einigen Jahren. Unglücklich kommuniziert und schon spricht niemand mehr über gesundes Essen und nachhaltige Ernährung, sondern über das Schnitzel, das ich angeblich nicht mehr essen darf.

Mit der Ernährung fängt der Wandel an. Das bedeutet jetzt nicht zwangsläufig Verzicht, aber es ist wichtiger denn je, Ressourcen einzusparen.

Das ist mir zwar zu pauschal, aber ich stimme Dir schon zu: Es wird viel zu viel weggeschmissen. Was Ihr hier macht, finde ich großartig. Ich bin auch kein Fan des Mindesthaltbarkeitsdatums. Ein Joghurt kann ich auch 10 Tage später noch essen.

Fehlt uns nicht die Zeit für taktische Spielchen?

„Community Kitchen“-Mitgründerin Judith Stiegelmayr

Fehlt uns nicht die Zeit für taktische Spielchen? Bayern will klimaneutral werden bis 2040.

Da bin ich skeptisch. Der windarme, aber industriereiche Süden will schneller klimaneutral werden als der Bund, der die ganzen Verträge schließen und die Regeln setzen muss, die man dafür braucht? Wie soll das funktionieren?

Politisch ist das aber so entschieden.

Die EU sagt 2050. Der Bund sagt 2045. Bayern will dann Vorreiter sein und sagt: Wir schaffen 2040. Und dann melden sich einzelne Kommunen und trauen sich 2030 zu. Diesen Wettstreit, wer der Ober-Klimaschützer ist, wer noch schneller klimaneutral werden will, fand ich damals schon falsch.

Ohne ein Ziel bewegt sich nichts.

Das Ziel wurde auf dem Höhepunkt von Fridays for Future, unter dem Eindruck der damaligen Stimmung, gefasst, ohne ernsthaft über den ziemlich steinigen Weg und vor allem die sozialen Konsequenzen zu diskutieren. Heute, vor dem Hintergrund von Krieg und Inflation, würde das niemand mehr beschließen. Deshalb sage ich: Lasst uns bitte beim bundesweiten Ziel von 2045 bleiben. Das zu erreichen, wird schwer genug.

Wir stehen da auch international in der Pflicht – oder glaubst Du nicht an die Pariser Klimaschutzziele?

Klimaschutz ist für mich keine Glaubensfrage, das Problem ist sehr real. Aber keine Regierung wird ihre Ziele erreichen, wenn die Bevölkerung nicht mitgeht. Und das schaffen wir sicher nicht mit Scheindebatten, die an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen.

Gehört der Klimawandel nicht längst zur Lebenswirklichkeit?

Die Frage ist doch, wie wir den Klimaschutz angehen. Ein Beispiel: Mein Elektriker arbeitet für einen Landwirt, der großflächig Photovoltaik machen will. Der wartet seit einem halben Jahr auf einen Termin, damit er die Leitungen anschließen kann, weil Personal fehlt. Die Anlage wird an sonnenreichen Tagen abgeregelt werden, weil die Speicher fehlen. Abstrakte Zieldebatten bringen uns da nicht weiter. Wir müssen die Probleme lösen. Schritt für Schritt.

Was hältst Du von der Schrittfolge Tempolimit, weniger Kreuzfahrten und Flugreisen?

Wir müssen tun, was höchste Priorität hat: Leitungen ausbauen und eine Speicherstrategie entwickeln, die neben Wasserstoff auch thermische Speicher im Blick hat. Und nicht nur in Oberbayern sind wir mit der Geothermie noch lange nicht am Ende. Das sind alles Themen, die man ganz konkret anpacken kann. Nicht einfach, aber machbar. Und vermittelbar.

Pfeile dürfen auch Richtung Staatsregierung fliegen.

IHK-Vizepräsident Florian Schardt

Mir ist aufgefallen, wie scharf Euer IHK-Präsident Klaus Josef Lutz die Bundesregierung kritisiert. Hältst Du das für hilfreich?

Ich meine schon, dass die Pfeile gelegentlich auch Richtung Staatsregierung fliegen dürfen. Vor allem was den Ausbau der Stromautobahnen angeht, hat der Freistaat überhaupt kein gutes Bild abgegeben. Im Übrigen finde ich schon, dass es zur Aufgabe einer IHK gehört, den Finger in die Wunde zu legen und für gute Standortbedingungen zu kämpfen.

Gute Bedingungen für wen? Nur für die Industrie?

Man darf zweierlei nicht unterschätzen: In keinem anderen Sektor finden so unterschiedlich qualifizierte Menschen Arbeit wie in der Industrie. Hier hat man vom ungelernten Schrauber bis zur promovierten Physikerin praktisch alles. Zum zweiten kann ich den wirtschaftlichen Erfolg eines Werkes viel einfacher messen und besteuern als bei international verschachtelten, digitalen Geschäftsmodellen. Wir müssen also schon aufhorchen, wenn Chemie- und Automobilindustrie ihre Kapazitäten verstärkt in den USA ausbauen. Dort gibt es billige Energie und unbürokratische Förderung.

Von Günes weiß ich: In der IHK habt Ihr ein Präsidium der Vielfalt. Welche Rolle fällt Dir dabei zu?

Ich vertrete die Interessen der Start-ups.

Weniger Bürokratie, bessere Finanzierungsbedingungen.

IHK-Vizepräsident Florian Schardt

Cool. Was schlägst Du denn für die Förderung der Start-ups vor?

Im Grunde ist das alles bekannt: weniger Bürokratie, bessere Finanzierungsbedingungen. Ein erster Schritt wäre es, wenn man nicht schon bei der Gründung 500 Euro für den Notar ausgeben müsste, wenn man nicht nochmal extra zur Gemeinde laufen müsste – und wenn Behördengänge nicht so lange dauern würden.

Du arbeitest als Business Angel. Warum, denkst du, haben es Frauen so viel schwerer als Männer, eine Finanzierung zu bekommen?

Die Aussage ist mir zu pauschal. Was mir schon auffällt: Wenn wir Angel-Runden haben, sind wenige Frauen dabei. Das liegt sicherlich daran, dass es früher viel weniger Gründerinnen gab, die heute investieren könnten. Bei den institutionellen Beteiligungsgesellschaften sieht es schon deutlich anders aus. Es gibt heute mehr Investmentmanagerinnen. Gründerinnen sind noch in der Minderheit, aber auch ihre Zahl nimmt zu.

Die Männer sagten: Mädels, fangt erst einmal klein an.

„Community Kitchen“-Mitgründerin Judith Stiegelmayr

Da muss ich widersprechen. Wir hatten Gespräche mit Investoren und der Stadtsparkasse. Die Männer sagten: Ja, Mädels, fangt doch erst einmal klein an. Rechnet Euren Businessplan mal runter.

Wenn die das wirklich so gesagt haben, wäre das nicht in Ordnung. Aber dass Businesspläne kritisch hinterfragt werden, finde ich nicht ungewöhnlich. Überraschend finde ich, dass die Sparkasse von Euch einen defensiveren Plan wollte. Ich habe es genau andersherum erlebt. Uns wurde gesagt: Seid mutiger, geht in die Vollen.

Ich hatte das Gefühl, dass sie uns unser Vorhaben nicht zutrauten, weil wir Frauen sind. Wir haben unseren Businessplan so runtergeschraubt, wie die das wollten. Und siehe da: Wir haben unsere Ziele übertroffen.

Bei uns war es anfangs genauso. Banken, Investoren – wir sind überall abgeblitzt und mussten das dann aus eigener Kraft schaffen. Ein paar Jahre später war es andersherum. Da war das Interesse plötzlich da. Da haben wir dann gesagt: Nö, das Geschäft läuft so gut, jetzt brauchen wir das Geld nicht mehr.

Männer finanzieren lieber Männer.

„Community Kitchen“-Mitgründerin Judith Stiegelmayr

Nur gibt es diesen Unterschied: Männer finanzieren lieber Männer, Männer trauen Männern mehr zu. Männer sind die Stars der Gründer- und Investorenszene.

Ich glaube nicht, dass das bewusst passiert. Der Wunsch, Frauen zu fördern, ist da. Aber auch ich habe leider häufig die Erfahrung gemacht, dass Frauen ihr Licht unter den Scheffel stellen, und Männer dominanter auftreten.

Da muss ich sagen: Wacht endlich auf, Leute! Dann müssen wir eben die Bedingungen schaffen, die Mädchen und Frauen fördern. Wir können das Unternehmerische genauso gut wie die Männer.

Das sehe ich genauso. Die Investoren, mit denen ich zusammenarbeite, haben oft auch selbst Töchter, die jetzt studieren und überlegen, was sie danach tun sollen. Früher war es ja üblich, dass in Familienunternehmen die Söhne übernommen haben. Das ist glücklicherweise immer weniger der Fall. Es geht nicht über Nacht, aber diese Entwicklung wird vieles verändern.

Schon die Tatsache, dass es den „Wunsch“ gibt, Frauen zu fördern, zeigt doch: Es stimmt etwas nicht in unserem Land. Deshalb müssen wir Mädchen und Frauen sagen: Hey, Ihr seid toll, in Euch stecken so viele Möglichkeiten.

Absolut, das sehe ich ganz genauso.

Aber der Frauenanteil bei den Gründern liegt bei nur knapp 12 Prozent. Dann zu sagen: Wir sind so ein modernes Land, wir sind Fans von Start-ups, das finde ich ziemlich absurd. Wo siehst du das Problem?

Wir haben zu wenige Gründerinnen, weil viele Start-Ups einen technischen Hintergrund haben. Wir haben auch zu wenige Mädchen in den MINT-Berufen. Folglich müssen wir schon in der Schule ansetzen. Als wir AZUBIYO gegründet haben, haben wir rund 500 Kinder gebeten, sich selbst einzuschätzen. Die Jungs haben sich durchweg stärker eingeschätzt als die Mädchen, obwohl die Mädchen bei den Schulnoten die Nase vorne hatten.

Hey, ich bin gut, ich kann das.

„Community Kitchen“-Mitgründerin Judith Stiegelmayr

Deshalb machen wir im Community Kitchen Umweltbildung, die Spaß macht, und bei Aktionen wie dem Girls‘Day mit, wo es um unternehmerisches Denken geht. Wir wollen, dass Schülerinnen erkennen: Hey, ich bin gut, ich kann das.

Den Girls‘Day finde ich zwar nicht schlecht, aber es ist nur ein einziger Tag im Jahr. Wir brauchen deutlich mehr Formate, um weibliche Vorbilder bekannter zu machen. In der IHK gibt es zum Beispiel den Ausschuss „Unternehmerinnen“, der sich für die Interessen und mehr Sichtbarkeit von Unternehmerinnen einsetzt.

Natürlich müssen wir auch an das ganze Bildungssystem ran. Ich bin mir sicher, dass Schule – gerade durch neuartige Bildungsangebote - Selbstständigkeit mehr fördern kann. Aktuell tut sie es nicht.

Mir gefällt auch vieles nicht. Trotzdem wäre ich vorsichtig mit abstrakten Systemdiskussionen. Die führen selten zum Erfolg. Besser sind doch wie bei der Nachhaltigkeit konkrete Forderungen, die sich auch praktisch umsetzen lassen.

Gleiche Chancen für die Mädchen, ist das nicht konkret genug?

Ich finde es zu abstrakt, weil sich sofort die Frage stellt: Und jetzt? In 10 Jahren keine Klasse größer als 20 Kinder – damit mehr Zeit bleibt, Talente zu fördern und damit ja auch Rollenbilder zu durchbrechen. Das könnte ich mir als Forderung vorstellen. Oder eine Entlastung der Schulen bei der IT, die sie ja weitgehend selbst stemmen müssen und im Gegenzug mehr Zeit und Unterstützung in der Berufsorientierung.

Schulen sind aus guten Gründen politikfreie Räume.

IHK-Vizepräsident Florian Schardt

Sollten wir nicht mal klären, wer die Verantwortung für diese Themen übernimmt? Wir starten derzeit ein Pilotprojekt mit der Stadt München. Lebensmittelverschwendung in der Gemeinschaftsverpflegung, u.a. in Kitas und Schulen, soll reduziert und Partizipation gesteigert werden. Aus vielen Gesprächen wurde uns klar: Häufig wird nichts entschieden, weil nicht klar ist, wer für was zuständig ist, oder weil man in ein Politikprogramm passen muss.

Ich kenne jetzt das Projekt nicht. Man muss hier aber auch aufpassen. Schulen sind aus guten Gründen politikfreie Räume. Nachhaltigkeit ja, Aktivismus nein. Wo immer möglich, bin ich auch für einfache, pragmatische Lösungen statt komplizierter, bürokratischer Regelungen. Aber wenn es nur um ein Pilotprojekt geht und nicht gleich um die Versorgung von ein paar hundert Kindern in der Mittagspause, sollte da doch etwas gehen.

Wir sind keine Nachhaltigkeitsmissionare. Aber über gerettete Lebensmittel mehr frisches Essen an die Schulen zu bekommen, das halte ich für ein riesiges Thema. Und mir geht es nicht nur um unser Projekt. Mein Punkt ist, dass zu viele gute Ideen scheitern, weil unser System so unflexibel ist. Ist das kein Thema für die IHK?

Aufgabe der IHK ist es, das Gesamtinteresse der Wirtschaft abzubilden. Zu bildungs- und schulpolitischen Fragen können wir uns nur sehr bedingt äußern, das ist auch nicht unsere Expertise. Aber natürlich setzen wir uns im Rahmen unserer Möglichkeiten für einfache und unbürokratische Lösungen sowie für ein innovationsfreundliches Klima ein.

Dann fangen wir doch da mal an – wir brauchen dringend einfachere Ausbildungsabschlüsse für die Integration Geflüchteter.

Ich verstehe das Ansinnen. Aber das ist jetzt ein bisschen so wie die Nachhaltigkeitsdebatten in der Vollversammlung, über die wir schon gesprochen haben. Man tut so, als ob alles ganz einfach wäre und fordert munter drauf los. Dabei ist die IHK hier gar nicht zuständig. Für neue Berufe und Abschlüsse brauchst du vor allem die Zustimmung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, die das in den entsprechenden Gremien vorbereiten.

In der Gastronomie spüren wir den Fachkräftemangel brutal.

„Community Kitchen“-Mitgründerin Judith Stiegelmayr

In der Gastronomie spüren wir den Fachkräftemangel aber schon brutal. Wir haben Menschen, die wegen der Sprache in der Berufsschule scheitern, aber Lust haben, hinten in der Küche zu arbeiten und dort einen super Job machen. Für die gibt es in unserem System jedoch keine Wertschätzung. Dafür brauchen wir neue Modelle der Ausbildung.

Ich meine auch, dass fleißige Menschen nicht an den sprachlichen Anforderungen in der Berufsschule scheitern dürfen. Dafür braucht es Lösungen. Trotzdem werbe ich dafür, nicht pauschal „das System“ zu verurteilen, mit dem wir trotz seiner Schwächen unter dem Strich gut gefahren sind. Die duale Ausbildung mit ihrer starken Einbindung der Tarifpartner ist ein weltweit einzigartiges Erfolgsmodell.

Auch einzigartige Erfolgsmodelle müssen auf unsere aktuelle Situation des Fachkräftemangels angepasst werden.

Absolut. Aber das Aufweichen von Anforderungen in der Ausbildung ist kein einfaches Thema. Wo die einen die Lösung ihre Fachkräfteproblems sehen, fürchten andere ein Absenken der Löhne. Und Beschäftigte in einer Boom-Region wie München werden das vermutlich anders bewerten als in strukturschwachen Regionen. Der Kompromiss gehört nun mal zum sozialen Frieden.

Wir sind längst an dem Punkt angekommen, an dem wir superschnell reagieren müssen. Von diesem Jahr an werden jährlich eine Million Menschen in Rente gehen. Die fehlen dann einfach. Wie wollt Ihr diese Lücke schließen?

Nochmal: Wir, also die IHK, können nur im Rahmen unseres gesetzlichen Auftrags agieren und Forderungen an die Politik richten. Wir setzen uns für alle wichtigen Punkte ein: einfachere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, weniger Bürokratie, bessere und frühere Berufsorientierung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Du siehst also: Wir sind da dran.

Protokolliert von Martin Armbruster