IHK Interview

‎‎‎„Man hat zu wenig an Wirtschaft gedacht“‎

IHK-Vizepräsidentin Ingrid Obermeier-Osl über Lockdown, Probleme der Staatshilfen, Lage des Mittelstands und die nötige Rückkehr zur Marktwirtschaft.

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IHK-Vizepräsidentin Ingrid ‎Obermeier-Osl ‎

Ingrid Obermeier-Osl bezeichnet sich selbst als Optimistin. Sie hat ihren Betrieb sogar in der Krise weiterentwickelt: Das Interview für die IHK Medien führt die Unternehmerin im neuen Innovationsraum ihres Holzwerks in Schwindegg.

Obermeier-Osl ist als Vizepräsidentin, Vorsitzende des Regionalausschusses Altötting-Mühldorf und des Arbeitskreises Frauen in der Wirtschaft, eine der engagiertesten Vertreter des IHK-Ehrenamtes. Im Gespräch mit IHK-Redakteur Martin Armbruster erläutert Obermeier-Osl, warum Staatshilfe auch Probleme macht, den Wandel der Gesellschaft und die Folgen für den Mittelstand.

Wie haben Sie als Unternehmerin den wochenlangen Lockdown erlebt?

Das war ein Schock. Das hätte ich mir so nie vorstellen können. Ich fühle mich wie im Krieg.

Unternehmer lieben ihre Freiheit. Wie fühlt es sich an, wenn über Nacht Virologen und Beamte Ihr Geschäft bestimmen?

Das empfinde ich als extrem schwierig. Ich glaube nicht, dass sich ein Virologe in die Lage eines Unternehmers hineindenken kann. Wir dagegen müssen glauben, dass das alles richtig ist: Was die Wissenschaft der Politik rät, wie Beamte das in Vorschriften umsetzen. Gleichzeitig verbreiten die Medien eine Flut an Informationen, die sich widersprechen. Viele Corona-Vorschriften machen in der Praxis keinen Sinn. Wem soll man da vertrauen?

Es hat an Planungssicherheit gefehlt

Was haben Sie in den vergangenen Wochen am meisten vermisst?

Einen Plan, eine Orientierung. Wir haben uns von Pressekonferenz zu Pressekonferenz gezittert. Niemand wusste, was kommt. Wo wollen wir eigentlich hin? Was sollen wir jetzt tun? Das habe ich mich oft gefragt. Wir Unternehmer brauchen Planungssicherheit. Wenn sich Politiker und Virologen öffentlich widersprechen, bewirkt das das Gegenteil. Das zerstört Vertrauen.

Fühlen Sie sich nicht gut regiert und informiert?

Es gab neue Beschlüsse und Regelungen im Wochentakt. Die finde ich schwach kommuniziert. Pressekonferenzen mit fünf Ministern nützen mir wenig, wenn wichtige Dinge unklar bleiben. Wir als Industriebetrieb wussten nicht genau, wann wir Masken tragen müssen und wie wir Quarantäne-Regeln umsetzen müssen. Man lebt mit ständiger Unsicherheit. Das schwächt die Wirtschaft.

Was lief schief im deutschen Krisenmanagement?

Jeder versteht, dass jetzt nicht alles perfekt läuft. Auch in der Politik hatte niemand Erfahrung mit so einer Krise. Mein Eindruck ist aber, dass sich die Regierung zu stark an Worst-Case-Szenarien der Virologen orientiert hat. Ob das für die Wirtschaft und Gesellschaft gesund ist, bezweifle ich aber.

Mein Eindruck ist aber, dass sich die Regierung zu stark an Worst-Case-Szenarien der Virologen orientiert hat.

IHK-Vizepräsidentin Ingrid Obermeier-Osl

Nötig wären einheitliche Maßnahmen

Deutschland bekommt aber viel Lob für seine Corona-Maßnahmen.

Der Kampf gegen das Virus ist das eine. Wir müssen aber auch die Wirtschaft am Leben halten. Da haben wir es nicht einmal innerhalb Deutschlands zu einheitlichen Regeln geschafft. Jedes Bundesland und jedes EU-Mitglied regelt anders. Da blickt keiner mehr durch. Ich weiß, dass das den IHK-Mitarbeitern an unserer Corona-Hotline und in unserer Geschäftsstelle in Mühldorf viel Arbeit macht.

War der Lockdown der Wirtschaft in dieser Form richtig?

Der Schutz der Gesundheit hat Vorrang. Das haben wir Unternehmer natürlich akzeptiert. Die ersten Maßnahmen unserer Regierung halte ich immer noch für richtig. Jetzt, acht Wochen später, müssen wir uns aber den gesamten Prozess anschauen. Da habe ich den Eindruck: Man hat zu wenig an die Wirtschaft gedacht.

Altmaier, Scholz, Aiwanger – alle behaupten das Gegenteil.

Niemand hatte eine Ahnung davon, was ein komplettes Runterfahren der Wirtschaft bedeutet. Das begreifen alle erst jetzt. Die Leute haben geglaubt, wir machen das jetzt zwei Wochen, dann ist alles gut, und die Konjunktur springt wieder an. Aber die Krise hat die Gesellschaft verändert. Und sie verändert sich weiter. Es wird lange brauchen, bis sich die Wirtschaft erholt.

Die Bürokratie war immens

Was hat sich denn verändert?

Die Leute kaufen weniger, sind vorsichtiger, bleiben mehr zuhause. Der Handel meldet, die Umsätze lägen bei 50 Prozent. Ich glaube, sie liegen noch darunter. Wie es ist, habe ich als Kundin beim Trachten-Unterseher in Rosenheim an einem Mittwoch-Nachmittag erlebt. Außer uns war niemand da. Dem bricht alles weg: Hochzeiten, Trachtenfeste, Volksfeste, Geburtstagsfeiern. Den anderen Läden ging es auch nicht besser. Die City war fast leer.

Wie lange wird das noch so bleiben?

Das weiß niemand. Dafür ist die Stimmung der Menschen ganz entscheidend. Wenn keiner mehr in die Läden und Kneipen geht, wird die Krise noch lange dauern.

Mussten Sie Ihren Betrieb schließen?

Viele meiner Kunden mussten schließen, aber wir haben in zwei Schichten durchgearbeitet. Wir haben als Team flexibel auf die neue Lage reagiert. Mitarbeiter haben ihren Urlaub vorgezogen. Zum Glück hatte ich viele Aufträge, die wir abarbeiten konnten.

Hat das unter Corona-Bedingungen. funktioniert?

Wir haben die Abstandsregeln eingehalten, Prozesse angepasst, weiter produziert. Das hat absolut funktioniert. Wir haben keine Infektionen verursacht.

Haben Sie Staatshilfe beantragt?

Wir haben weder Kredite noch Kurzarbeitergeld beantragt. Das einzige, was ich genutzt habe: Ich habe mir ein Elftel der Umsatzsteuer-Rückerstattung über eine Sondervorauszahlung überweisen lassen.

Haben Sie keine Probleme mit der Liquidität?

Natürlich täte uns mehr Liquidität jetzt gut. Das ist aber zu dieser Jahreszeit immer so, weil ich im Winter das Holz einkaufe. Ich habe daher versucht, ein Instrument zu nutzen: die Zahlung fälliger Sozialversicherungsbeiträge verschieben. Nach den ersten Telefonaten mit der Krankenkasse habe ich das aufgegeben. Das war mir zu viel Bürokratie. Die Auflagen wurden täglich verändert.

Kommt wenigstens das Geld der Soforthilfe bei den Firmen Südostbayerns an?

Ich habe bei einem Dienstleister nachgefragt, weil ich wusste, dass der frühzeitig Kurzarbeit und Soforthilfe beantragt hatte. Auch nach Wochen hat der Betrieb noch kein Geld gesehen.

Kleinen Unternehmen droht die Insolvenz

Wird es in Südostbayern Insolvenzen geben?

Die gibt es sicher. Die Branchen, die es brutal hart getroffen hat, sind ja allen bekannt. Jetzt haben wir erste Lockerungen, aber kaum Geschäft. Ich kann mir nicht vorstellen, wie die kleinen Unternehmen die kommenden Wochen überstehen sollen.

Wie viele Betriebe stehen vor dem Aus?

Ich rechne damit, dass wir 20 Prozent unserer Unternehmen verlieren.

Der Staat gibt jetzt unfassbar viel Geld aus. Was hätte er anders tun sollen?

Was mir missfällt: Der Staat verspricht Großunternehmen, die schon vorher gekränkelt haben, schnelles Geld oder eine Beteiligung. Ist das der Weg, den wir gehen wollen? Wollen wir weniger Bargeld, aber mehr Staatseinfluss? Wir müssen klären, was wir mit den Hilfsmaßnahmen eigentlich erreichen wollen.

Gibt es positive Krisenerfahrungen?

Der Warenfluss hat funktioniert. Ich hatte 50 Lkw-Ladungen Richtung Italien zu transportieren. Wir konnten die ohne Probleme liefern. Andererseits kann ich unser Außenlager in Italien momentan nicht anschauen. Ich darf nicht rein in das Land. Das sind Eingriffe in die unternehmerische Freiheit, die wir uns seit dem Schengen-Abkommen nicht mehr vorstellen konnten.

Man hat den Menschen ihre Handlungsfähigkeit genommen.

IHK-Vizepräsidentin Ingrid Obermeier-Osl

Auch eine Schwindegger Wirtin hat über staatliche Willkür geklagt. Ihr war verboten, was auf dem Bau erlaubt war.

Den Frust kann ich verstehen. Ich kenne die Wirtin gut. Sie hat alte Eltern und würde von sich aus alle Infektionsrisiken vermeiden. Aber sie durfte nicht. Darin sehe ich das Problem: Man hat den Menschen ihre Handlungsfähigkeit genommen.

Erleben wir eine Phase der Staatswirtschaft?

Ja, das stimmt absolut. Der Staat regelt und entscheidet alles selbst. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen genau das wollen. Die wollen keine Freiheit, weil sie davor Angst haben. Sie wollen reguliert werden. Man muss sich auch fragen, ob die Pharmaindustrie nicht zu großen Einfluss hat. Erst Tests, jetzt Antikörper-Tests, dann kommt irgendwann der Impfstoff. Ein super Geschäft.

Nächster Streitpunkt: Soll die Autoindustrie Kaufprämien bekommen?

Wir werden es uns nicht leisten können, jetzt für jede einzelne Branche Extra-Milliarden auszugeben. Zweitens müssen andere Branchen die Hilfen für die Autofirmen bezahlen. Das ist also nur eine Umverteilung. Eine echte Hilfe sind nur Schritte, die allen Unternehmen nutzen. Wir haben der Autoindustrie schon einmal geholfen. Jetzt sollte sie zur Überwindung der Krise beitragen.

Gehört dazu auch der Verzicht auf Boni und Dividendenzahlungen?

Darüber habe ich mit anderen Unternehmern beim Thema Kurzarbeit diskutiert. So wie das gehandhabt wird, empfinden wir das ungerecht. Das verschafft Konzernen im Wettbewerb einen zu großen Vorteil gegenüber uns Familienbetrieben.

Für Kurzarbeit gelten doch klare Regeln. Staat übernimmt 60 oder 67 Prozent des Nettolohns.

Aber sie wird auch von Konzernen beantragt, die Milliarden auf der hohen Kante haben. Die stocken dann freiwillig auf 90 Prozent auf und zahlen weiter Dividenden, Boni und Leistungsprämien. Der Staat finanziert das alles mit. Die Großunternehmen können auch in Krise Löhne bezahlen, die wir Mittelständler uns nicht leisten können.

Ich wünsche mir eine bessere Balance der Staatshilfen.

IHK-Vizepräsidentin Ingrid Obermeier-Osl

Was schlagen Sie vor?

Ich wünsche mir eine bessere Balance der Staatshilfen. Momentan bezahlen wir mit unserem Geld für ein System, dass es Mittelständlern sehr schwer macht, gute Fachkräfte zu kriegen. Das kann ich als Unternehmerin nicht verstehen.

Besinnung auf Marktwirtschaft

Die IHK könnte zu dieser Balance beitragen.

Als IHK vertreten wir das Gesamtinteresse der Wirtschaft. Damit tun wir uns momentan schwer, weil wir sie alle als Mitglieder haben: Selbstständige, Wirte, Mittelständler, Weltkonzerne. Wegen Corona mussten wir auch Sitzungen unserer IHK-Gremien verschieben. Wir konnten eine Zeitlang keine Positionen beschließen. Jetzt läuft das alles wieder an. Dafür wird es auch Zeit.

Was muss Ihrer Ansicht nach auf die wirtschaftspolitische Agenda?

Wir müssen wieder das Gesamtinteresse der Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen. Wir brauchen die Besinnung auf die Prinzipien Eigenverantwortung und Marktwirtschaft.

Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie während des Lockdowns?

Die gab es auch, ja. Aber ich bin ein optimistischer Mensch. Ich glaube, dass Corona für mein Geschäft gut sein kann. Die Menschen verbringen jetzt mehr Zeit zuhause. Wenn schon kein Urlaub, will man es wenigstens da schön haben. Das wäre gut für Qualitätsanbieter der Möbelindustrie. Genau das sind meine Kunden.

IHK Corona-Hotline 089 5116-0