Überbrückungshilfe

"Wir mussten sofort helfen"

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Es war ein spannender Termin am 11. November im Clubraum der IHK: Hartmut Schwab, Präsident der Steuerberaterkammer München und der Bundessteuerberaterkammer, und IHK-Präsident Eberhard Sasse erklärten im Interview mit IHK-Redakteur Martin Armbruster, weshalb es in Bayern auch bei der Überbrückungshilfe so gut läuft.

Es tat dem Interview gut, dass es analog stattfand. Beide Präsidenten kamen richtig in Schwung. Sehr schnell ging es dann um die großen steuerpolitischen Fragen. Schwab bewies zudem, dass man über Absurditäten des deutschen Steuerrechts auch herzlich lachen kann. Eine gekürzte Fassung erscheint in der Januar-Ausgabe des IHK-Magazins Wirtschaft.

Herr Schwab, warum hat Berlin die Steuerberater mit der Überbrückungshilfe beauftragt? War das ein Akt der Verzweiflung, oder gab es dafür sachliche Gründe?

Hartmut Schwab: Beides (lacht). Ich kann mich an den Anruf gut erinnern. Ich saß im Auto auf der Rückfahrt von Berlin. Der Amtschef vom Minister Altmaier war dran. Der sagte: Wir haben ein Problem. Können Sie das mit der Überbrückungshilfe übernehmen? Wir brauchen jemanden, der die Anträge vorfiltert, der eine Prüfung vornimmt. Dem wir vertrauen können.

Klingt doch vernünftig.

Schwab: Jetzt kommt der Akt der Verzweiflung. Es sollte sich nicht wiederholen, was bei der Soforthilfe passiert ist.

Was lief denn da schief?

Schwab: Ich formuliere jetzt einmal hemdsärmelig: Da haben offenbar einige tüchtig zugelangt. Wir Steuerberater hatten auch bei der Soforthilfe den Auftrag, unseren Mandaten zu helfen. Es gab Fälle, da sagten meine Kollegen ihren Mandanten: Das könnt Ihr so nicht machen. Die haben’s dann trotzdem gemacht und ihre Anträge eben selbst gestellt. Bei vielen Anträgen wurde der Steuerberater aber erst gar nicht gefragt.

Staatshilfe braucht ein Regulativ

Hartmut Schwab

Der Anruf bei Ihnen war also richtig.

Schwab: Ja, absolut. Der Staat hilft. Das ist gut, aber wir brauchen dafür ein Regulativ. Das muss im richtigen Rahmen sein.

Eberhard Sasse: Die Politik ist da sehr kreativ gewesen. Das kennen wir von der Politik sonst gar nicht. Aber dafür braucht sie in der nächsten Stufe jemanden, der das ordentlich organisiert, der die Prozesse bestimmt, der klar sagt: So läuft das alles ab.

Damit hat die IHK ja dann auch Neuland betreten …

Sasse: Das ist kein Neuland, das ist auch keine nette Geste von uns. Im IHK-Gesetz ist ganz klar geregelt: Wir haben uns um das Wohl und Wehe unserer Firmen zu kümmern. Corona hat viele unserer Mitgliedsfirmen in Schwierigkeiten gebracht. Wir mussten sofort helfen. Deshalb haben wir das IHK-Hauptamt mit gut 400 Mitarbeitern. Wir sind dem Ehrbaren Kaufmann verpflichtet. Insofern passt das. Und wir wussten: Wir können das auch.

Wie kam die IHK zu dieser Aufgabe?

Sasse: Die kam nicht, die war schon immer da. Wir sind dem Gemeinwesen verpflichtet. Die Staatsregierung. sagte uns: Ihr seid die Wirtschaft, Ihr müsst die Sache für Euch selbst organisieren. Ihr habt Vertrauen in 177 Jahren aufgebaut. Macht das jetzt, bitte. Und das haben wir auch gemacht: die Anträge für ganz Bayern bearbeitet.

Zögern kennt ein Unternehmer nicht

Eberhard Sasse

Wie lange haben Sie für Ihre Zusage gebraucht?

Sasse: Zögern kennt ein Unternehmer nicht. Wenn Du als Unternehmer zögerst, ist dein Mitbewerber schneller. In diesem Fall hieß der Corona. Wir haben natürlich stotterfrei Ja gesagt.

Wirtschaftsminister Aiwanger hat sich für Ihre gute Arbeit bei der Überbrückungshilfe bedankt. Warum lief das im Freistaat so rund?

Schwab: Die Überbrückungshilfe ist gut gelaufen, weil wir im Vorfeld gut zusammen gearbeitet haben. Wir haben eine Task Force gebildet, einen Frage- und Antwortkatalog erstellt. Dafür muss ich die IHK München einfach loben. In anderen Bundesländern sind staatliche Stellen mit im Boot. Und ich weiß, dass da vieles komplizierter und langsamer läuft.

Herr Sasse, wie hat Ihre IHK diese Aufgabe gestemmt?

Sasse: Für die Mitarbeiter bedeutet das einen ganz schweren Ritt. Und das in einer Phase, in der wir zurückfahren mussten, weil wir mit unseren Mitteln jetzt und künftig sparsamer umgehen müssen. Aber Schönwetter kann jeder. Das IHK-Management hat bewiesen, dass es Krise kann. Es wurde hart gearbeitet, Überstunden gemacht, man hat bereichsübergreifende Teams gebildet. Als Präsident sage ich: Das war vorzüglich, was unsere Teams da geleistet haben.

Viele Kanzleien arbeiten am Rand der Belastbarkeit

Hartmut Schwab

Den Steuerkanzleien geht die Arbeit derzeit wohl auch nicht aus.

Schwab: Viele Kanzleien arbeiten am Rand der Belastbarkeit. Es kommt jetzt alles zusammen: Fragen zum Kurzarbeitergeld, KfW-Kredite, Überbrückungshilfen, nun noch die als Novemberhilfe bezeichnete spezielle Wirtschaftshilfe und die Umstellung der Mehrwertsteuer zum Jahresende. Und die Steuererklärungen müssen ja auch vorbereitet und eingereicht werden. Wir setzen uns bei der Bundesregierung für eine Fristverlängerung ein. Bis Februar 2021 können wir das nicht schaffen.

Was ist dran an der Kritik, die Kriterien für die Überbrückungshilfe I seien zu streng, es werde viel zu wenig Geld abgerufen?

Schwab: Man sollte nicht darüber jammern, wenn von knapp 25 Milliarden Euro weniger als 2 Milliarden gebraucht werden. Das ist doch auch ein Glück. Das zeigt einerseits, dass die Wirtschaft nicht so stark betroffen war, wie man befürchtet hatte. Andererseits ist auch richtig, dass die Kriterien bei der Überbrückungshilfe I zu restriktiv waren. Ich begrüße, dass hier nochmal nachgebessert wurde und nun mehr Mandanten eine höhere Hilfszahlung erhalten, um Insolvenzen zu verhindern. Und jetzt ist genug Geld für die Überbrückungshilfe II da.

Es gibt auch Gewinner der Corona-Krise

Hartmut Schwab

Ist die wirklich notwendig?

Schwab: Wir haben zu Beginn der Pandemie in unseren Kanzleien festgestellt, dass davon nicht so viele Unternehmen betroffen waren. Brutal hart trifft es insbesondere die Branchen, die wir alle kennen: Gastronomie, Reisebüros, Messeveranstalter und so weiter. Die brauchen weiter Hilfe. Aber es gibt natürlich auch Gewinner der Corona-Krise.

Meinen Sie Amazon und Zalando?

Schwab: Die finden sich auch unter meinen Mandanten. Dazu gehören viele Online-Händler, die erleben gerade das beste Jahr ihrer Geschichte. Weil die Leute nicht in Urlaub fahren können, kaufen sie andere Sachen. Billardtische, Dartpfeile, Fahrräder oder Bohrmaschinen im Baumarkt.

Das tröstet Hoteliers wenig, die jetzt wieder im Lockdown hängen.

Schwab: Auch da müssen wir unterscheiden. Um Ferienhotels am Bodensee oder in den Alpen mache ich mir weniger Sorgen. Die haben zum Teil ihre Preise angehoben und die Mehrwertsteuersenkung mitgenommen. Einige haben im Juni, Juli, August hervorragend verdient. Wirklich schlecht geht’s den Stadthotels, die von Geschäftsreisenden leben. In Frankfurt haben die ersten Hoteliers aufgegeben. Den Wandel sehe ich auch bei mir: Wir machen Videokonferenzen, ich spare mir dadurch das Hotelzimmer in Berlin.

Sasse: Mir ist ein Punkt wichtig, bei dem Mittelständler benachteiligt werden. Wir sehen, dass Dax-Unternehmen damit beginnen, unter dem Schutzschirm ihre kostspieligen Übernahmetouren der jüngsten Vergangenheit massiv im Wert zu berichtigen. Auf diese Weise wird aus praktischer Hilfe eine indirekte Subventionierung von Zukäufen. Das ist sehr elegant. Für Mittelständler ist das so nicht möglich.

Kein Beamter weiß, was das bedeutet

Hartmut Schwab

Noch schlechter geht es Solo-Selbständigen, weil die keine Fixkosten haben.

Sasse: Da entsteht auch ein psychologisches Problem. Wenn ich diesen Unternehmern nur die Flucht in die Grundsicherung lasse, trifft das ihr Selbstbewusstsein massiv. Unternehmertum hat etwas damit zu tun, Risiko zu übernehmen – aber nicht auf Sozialhilfe zu vertrauen.

Schwab: Das kann ich nur unterstreichen. Zu meinen Mandanten gehören Schauspieler, Synchronsprecher und Musiker von Bands, die keine Auftritte mehr haben. Die müssen sich jetzt alle anstellen beim Sozialamt. Ich glaube nicht, dass ein Beamter weiß, was das für die bedeutet.

Warum tut sich die Politik bei dem Punkt so schwer? Am Geld kann es nicht liegen.

Schwab: Die Frage ist halt, wie definiere ich Kosten? Künstler zahlen auch für Miete, Krankenversicherung, Altersversorgung. Auch sie haben Kinder, die in die Schule gehen. Nur ist es schwierig, das zu erfassen. Das sind Kosten der privaten Lebensführung und im Rahmen der Hilfsprogramme können ausschließlich bestimmte Fixkosten im Unternehmenskontext berücksichtigt werden. Wir haben Rockbands, die eine hervorragende Buchhaltung haben. Und es gibt Schauspieler, die machen gar nichts, weil die nur einmal im Jahr in ihrer Steuererklärung ihre Honorare angeben müssen. Solche Leute fallen durch das Raster.

Was schlagen Sie vor?

Schwab: Dass unsere Regierung mal über die Grenze schaut. Die Österreicher verfahren da viel großzügiger. Die haben eine Art Unternehmerlohn eingeführt. Das wäre die bessere Lösung.

Das empfinde ich als extrem kleinkariert

Hartmut Schwab

Auch beim Verlustrücktrag verhalten sich andere Länder wie die USA sehr viel großzügiger.

Schwab: Ja, das ärgert mich wirklich. Das empfinde ich als extrem kleinkariert. Verlustrücktrag bedeutet ja nur, dass ich meine Steuerlast auf einen größeren Zeitraum verteile.

Auch ifo und IHK haben den erweiterten Verlustrücktrag gefordert.

Schwab: Weil das der beste Schritt gewesen wäre. Unternehmen, die vor Corona gutes Geschäft und Gewinne hatten, hätten sich ihre Steuern wiedergeholt und in Zukunft höhere Steuern gezahlt. Sie hätten es ohne staatliche Almosen aus eigener Kraft durch die Krise geschafft. Jetzt müssen wir dafür aufwändige Staatshilfen konzipieren und in Zukunft werden geringere Steuern fällig, sofern sie die Krise überstehen.

Zumindest hat die Bundesregierung ihre Hilfen laufend nachgebessert.

Schwab: Das stimmt. Die Förderkriterien sind jetzt beispielsweise für Gaststätten wirklich großzügig. Sie bekommen 75 Prozent des Umsatzes erstattet, und sie können über den Außer-Haus-Verkauf dazu verdienen. Der Wareneinsatz spielt hierbei keine Rolle.

Welche Lehren sollten wir aus der Corona-Krise ziehen?

Sasse: Die Wirtschaft hat sich in einer Krisenlage, wie wir sie in den letzten 70 Jahren nicht kannten, selbst organisiert. Wir haben bewiesen, wie hervorragend das Prinzip der Selbstverwaltung funktioniert.

Schwab: Unser System ist viel effizienter als staatliche Kontrollmechanismen. Nur so konnten wir die Überbrückungshilfe schnell in die Wege leiten. Ein Punkt, den viele übersehen: Deutschland wird auch durch diese Krise besser kommen als andere Länder, weil wir Steuerberater haben, die dem Mandanten verpflichtet sind. Für Mittelständler, die keine eigene Steuerabteilung haben, ist das jetzt Gold wert.

Wie ist das in anderen Ländern?

Schwab: Außer uns hat nur noch Japan so ein Steuerberater-System. Was ich absurd finde, ist, dass wir dafür von der EU ein Vertragsverletzungsverfahren nach dem anderen kassieren. Ich habe mich inzwischen auch an EU-Abgeordnete aus anderen Ländern gewandt. Wir müssen dieses Erfolgsmodell unbedingt erhalten.

Sasse: Den Unterschied spüre ich schon in England. Dort hat man immer den Eindruck, der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist ein weisungsgebundener Mitarbeiter des Finanzministeriums.

Wir starten jetzt offiziell in die Überbrückungshilfe II. Was kommt da auf Sie zu?

Sasse: Wir haben gut geübt, und jetzt wird es richtig heftig. Wir bekommen ganz andere Antragszahlen rein. Aber ich bin sicher: Wir kriegen das hin.

Schwab: Bis zuletzt hat man in Berlin um die Förderkriterien gerungen. Sie wurden grundsätzlich gelockert. Daher werden wohl wesentlich mehr Unternehmen profitieren können.

Für mich war es erstaunlich, was plötzlich alles ging

Eberhard Sasse

Wie zufrieden sind Sie mit dem Krisenmanagement der Regierung?

Schwab: In Bayern läuft es ohnehin gut. Auf Bundesebene handelt die Regierung endlich gemeinsam.

Sasse: Für mich war es erstaunlich, was plötzlich alles ging. Da hat die Regierung bewiesen: Auch Deutschland ist zu disruptivem Handeln fähig.

Sehen Sie die Chance, dass dieser Schwung nach Corona anhält?

Sasse: Wir müssen dafür sorgen, dass der Schub anhält, sonst kommen wir in gefährliches Fahrwasser. Die Steuerbelastung ist zu hoch. Uns droht ein Unternehmensstrafrecht, die Vermögensabgabe kommt laufend aufs Tapet, Sustainable Finance wird vorbereitet und mit dem Konstrukt einer „Verantwortungs-GmbH“ sollen Unternehmensnachfolger ihr Erbe in „volkseigene Betriebe“ umwandeln. Noch ist das im „Sleeping Modus“, aber die Risiken bestehen.

Schwab: Das sind herausfordernde Zeiten: Das tatkräftige Handeln der Bundesregierung begrüßen wir. Andererseits darf die Regulierungswut jetzt nicht eskalieren. In vielen Bereichen hat es sich bewährt, wenn der Staat auch auf die Eigenverantwortung seiner mündigen Bürgerinnen und Bürger vertraut.

Wie steht es um unsere Gründer?

Schwab: Da lautet die Frage, ob wir überhaupt ein Gründerstandort sind. In ein Start-up zu investieren, ist nicht attraktiv. Wenn es scheitert, hat man kaum Chancen, das steuerlich zu verrechnen.

Sasse: Was mich ärgert: Uns fehlt eine Kultur des Anreizes, in Gründer zu investieren. Auch fehlen attraktive Exit-Modelle. Der Staat hält hier allzu gern die Hand auf, wenn ein Unternehmen erfolgreich ist, wenn Gewinne da sind. Entstehen Verluste, ist es Sache der anderen. Deshalb entsteht bei uns keine Gründer-Kultur.

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© Wolf Heider-Sawall Hartmut Schwab und Dr. Eberhard Sasse

Aber genau die will doch die Bundesregierung fördern.

Sasse: Es gibt da ganz zauberhafte Modelle von den Fachministerien, wie Startups geholfen wird. Das Problem ist nur: Die Förderung hört bei einstelligen Millionenbeträgen auf. Sie findet nicht mehr statt, wenn es darum geht, beim Eintreten von Erfolg das anstehende Wachstum mit Raketenschub im zwei- oder dreistelligen Bereich in den Orbit zu bringen. Vielfach erinnert mich die Förderstrategie an lockere Fernseh-Shows, in denen man ein paar Jungunternehmern beim Spielen zusieht und nach dem Aha-Effekt ausblendet. Dem Standort bringt das nichts.

Was würde etwas bringen?

Sasse: Dazu ein Beispiel: Das Münchner Startup Lilium Aviation hat 340 Millionen US-Dollar eingesammelt – und das vorwiegend bei ausländischen Investoren. Das sind die Größenordnungen, über die wir bei disruptiven Geschäftsideen reden. So etwas wird in Deutschland derzeit nicht finanziert.

Die Wirtschaft könnte doch auf das Problem hinweisen.

Sasse: Wir haben in der IHK ein wunderbares Papier dazu gemacht. Da steht alles drin, was wir tun müssen, um Startups schnelles Wachstum zu ermöglichen. Wirtschaftsminister Aiwanger schreibt uns: Ihr habt vollkommen Recht. Wir werden das in Berlin vortragen. Dort passiert aber nichts. In zwei, drei Jahren können wir das Papier wegschmeißen, weil wir dann endgültig den Anschluss an andere Länder verpasst haben.

Das war für mich der Sündenfall

Hartmut Schwab

Schwab: Da handeln wir erschreckend kleinkariert. Schauen Sie sich die Forschungsprämie an. Das hat ewig gedauert, bis die überhaupt kam. Und jetzt dreht man da jeden Euro um. Auf der anderen Seite haut man über Nacht Milliarden raus für die Senkung der Mehrwertsteuer, die uns erwartungsgemäß nichts gebracht hat, außer Bürokratieaufwand, immense Kosten und eine zusätzliche Arbeitsbelastung. Das war für mich der Sündenfall.

Bei der Mehrwertsteuer ging alles schnell, weshalb bewegt sich bei den Unternehmensteuern nichts?

Schwab: Zumindest eine kleine Reform der Unternehmensteuern war von der Koalition angedacht. Aktuell geht da gerade nichts mehr. Eine schwerwiegende Folge: Es gibt auf absehbare Zeit keine Steuersenkung auf einbehaltene Gewinne, obwohl Deutschland da nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

Sasse: Ein Problem sind auch die Medien. Da heißt es schnell: Profitgierige Unternehmer verlangen nur Steuersenkungen. Die wollen sich nicht am Finanzieren der gemeinsamen Lasten beteiligen. Auch viele Politiker verstehen das nicht. Ja: Wenn ich nicht investive Mittel für mich privat aus dem Unternehmen rausnehme, akzeptiere ich den vollen Steuersatz von fast 50 Prozent. Ich will ja gar nicht, dass der gesenkt wird. Aber der Steuersatz für das Geld, das nicht entnommen wird, das im Unternehmen arbeitet - da muss die Steuerlast runter auf 25 Prozent inklusive Gewerbesteuer. Das ist international wettbewerbsfähig, und das bringt mehr Wachstum, Jobs und Wohlstand.

Wie wirkt sich die Erbschaftsteuer auf die Unternehmen aus?

Sasse: Das ist ein Problem, das nur wenige auf dem Schirm haben. Der jetzige Zustand ist kontraproduktiv, wenn man sein Unternehmen übergeben will. Ich habe gerade gelernt, dass offene Forderungen unter „schädliches Verwaltungsvermögen“ fallen. Beispiel: Wir haben Forderungen an Großkunden mit längeren Zahlungszielen. Das kann zweistellige Millionenbeträge an Erbschaftssteuern nach sich ziehen.

Schwab: Das ist komplett absurd. Das heißt: Unternehmen müssen Liquidität rausziehen, aber gerade Dienstleister brauchen die ja, weil sie immense Lohnkosten haben. Und Liquidität und eine starke Eigenkapitalbasis sind doch die wesentlichen Krisen-Puffer, wie wir auch derzeit wieder sehen. Sämtliche Hilfsprogramme, ob Soforthilfe, Überbrückungshilfe oder Novemberhilfe zielen doch gerade darauf ab, den Unternehmen Liquidität zu gewähren. Aber erbschaftsteuerlich wird das bestraft.

Können Sie als Steuerberater da nicht irgendwie vorbeugen?

Schwab: Bei einem geplanten Übergang ist das vielleicht noch irgendwie machbar. Aber stellen Sie sich vor, wenn der Unternehmer zum falschen Zeitpunkt stirbt. Dann hat ein Familienunternehmen plötzlich ein riesiges Verwaltungsvermögen, das für den Fiskus als schädlich gilt. Ähnliche Probleme gibt es derzeit auch bei der erbschaftsteuerlichen Lohnsummenregelung; hier muss dringend nachgebessert werden.

Eines der schlimmsten Gesetze, die es gibt

Hartmut Schwab

Um diese Reform hat die Politik zweieinhalb Jahre gerungen.

Schwab: Als Ergebnis haben wir eines der schlimmsten Gesetze, die es gibt. Auch für uns Berater. Sie können da leicht Fehler machen und kaum Rechtssicherheit schaffen. Die einzige Chance für Unternehmer besteht notfalls darin, die Übergabe rückgängig zu machen, wenn die Steuerbelastung zu groß wird. Aber sie übergeben doch kein Unternehmen an ihre Kinder, nur um sich von denen die Firma danach wieder zurück zu holen. (lacht)

Teilen Sie die Sorge vor einer kommenden Pleitewelle?

Schwab: Es kommt darauf an wie lange die Pandemie und die wirtschaftlichen Einschränkungen noch andauern werden. Hotels in der Innenstadt und einige Gastronomen könnte es treffen. Aber ich denke optimistisch und sehe zumindest bei unseren Mandanten keine großen Probleme.

Sasse: Auf der Kippe stehen die, die schon vor der Krise Probleme hatten. Was aber zu spüren ist: Die Unternehmen stellen sich neu auf. Das wird auch mein Unternehmen treffen. Die Anforderungen des Marktes ändern sich, das erzeugt Handlungsdruck. Die Umsätze werden stagnieren oder sogar zurückgehen, wir müssen als Dienstleister neue Konzepte anbieten.

Brauchen wir einen Exit aus der Staatswirtschaft?

Schwab: Ohne den Staat wäre die Lufthansa schon pleite.

Sasse: Da kommen wir zum springenden Punkt. Es ist richtig, dass der Staat die Lufthansa rettet. Als Exportnation brauchen wir sie. Wir müssen jetzt nur aufpassen, dass der Staat nicht übergriffig wird. Das ist die große Gefahr, wenn das „sozial“ in „Sozialstaat“ ein falsches Gewicht bekommt, wenn es zum Selbstzweck wird und nicht mehr Teil des unternehmerischen Handelns ist. Dann wird der Sozialstaat ausufern, dann werden wir ein Land der volkseigenen Betriebe.

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