Top-Markt für Bayerns Schlüsselbranchen

Wie geht es weiter in der Türkei?

Trübe Aussichten für die Geschäftsviertel Istanbuls. Der gescheiterte Militärputsch und die Verhängung des Ausnahmezustands in der Türkei haben eine Annahme als Illusion entlarvt: Die Welt hielt die politischen Verhältnisse des Landes für stabil. Frank Dollendorf, Bereichsleiter der IHK-Außenwirtschaft, erklärt, welche Folgen die politischen Unruhen in der Türkei für Bayerns Wirtschaft haben – und weshalb das Land dennoch als Auslandsmarkt viel Potenzial hat.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildrim hat beschwichtigt. Der gescheiterte Putsch in der Türkei habe keine Auswirkungen auf die Wirtschaft. Können wir alle aufatmen?

In Panik verfallen – das wäre sicher falsch. Aber ganz so harmlos ist die Sache nicht. Der türkischen Wirtschaft wird das sicher schaden. Das schon deshalb, weil die Türkei stark auf die Finanzierung aus dem Ausland angewiesen ist. Die jüngsten Ereignisse im Land dürften internationalen Investoren kaum gefallen.

Was hat sich denn geändert?

Um es vorsichtig zu formulieren: Auch in der Wirtschaft ist der Regierungsstil von Präsident Recep Tayyip Erdoğan umstritten. Aber bislang galt die Türkei politisch als stabil. Dieses Vertrauen wird gerade sehr stark auf die Probe gestellt. Das macht die Lage für die türkische Wirtschaft sicher nicht leichter. Die Auslandsschulden der Türkei steigen, weil das Land viel mehr Waren und Dienstleistungen verbraucht als exportiert. Wenn die Ratingagentur Fitch die Drohung wahr macht, die Türkei abzuwerten, wird das die türkische Lira weiter schwächen – und auch unsere Exporte treffen.

Wie steht es mit dem Tourismus? Die Türkei versucht seit Jahren mit großem Aufwand gerade das Geschäft mit deutschen Urlaubern am Laufen zu erhalten …

Der Tourismus wird sich allenfalls geringfügig erholen. Die Branche musste 2015 ein Minus von 8,5 Prozent hinnehmen. Seit Jahresbeginn ging es nochmals um 25 Prozent nach unten. Das ist schon ein dramatischer Einbruch. Es ist der Türkei immerhin gelungen, das Geschäft mit russischen Touristen wiederzubeleben. Aber das wird nicht ausreichen, um die Einbußen insgesamt auszugleichen.

Deutsche Unternehmen in der Türkei melden „business als usual“. Gibt es keinen Grund zur Sorge?

Ob wirklich jede Firma in der Türkei derzeit glücklich ist, halte ich für fraglich. Offen spricht niemand etwas Kritisches aus. Man will es sich mit der Regierung nicht verscherzen. Klar ist aber: Die politischen Unruhen werden das Geschäft belasten.

Können Sie den Schaden beziffern?

Erst, wenn belastbare Zahlen auf dem Tisch liegen. Was wir wissen: Reisen und Delegationen wurden abgesagt, neue Investitionen und Kapazitätserweiterungen werden erstmal auf Eis gelegt, die Tourismusbranche wird mit Sicherheit noch stärker leiden. Schon nach den Terroranschlägen der vergangenen Monate war Last-Minute-Buchern die Lust auf die Türkei ziemlich vergangen. Der gescheiterte Putsch und Ausnahmezustand werden für einen weiteren Dämpfer sorgen.

Wie wichtig ist die Türkei für Bayerns Wirtschaft?

Die Türkei hat sich zu einem wichtigen Markt entwickelt für die Branchen, in denen Bayern besonders stark ist: Chemie, Maschinenbau und Autoindustrie. Seit 2007 hat sich der Automarkt in der Türkei mehr als verdoppelt. Fast jedes zweite Auto kommt aus Deutschland. Hinzu kommt die günstige geostrategische Lage. Eine Niederlassung in der Türkei ist der ideale Brückenkopf, um in dieser Region sein Geschäft aufzubauen.

Es gibt auch enge zwischenmenschliche Kontakte …

Das ist ein weiterer Faktor. Mehr als 200.000 aus der Türkei stammende Menschen leben in Bayern. Mit einem Anteil von 15,6 Prozent der ausländischen Bevölkerung sind sie die größte Migrationsgruppe im Freistaat. In Oberbayern stellen sie einen Anteil von knapp 12 Prozent. Bei der IHK für München und Oberbayern sind mehr als 3.700 türkische Firmen registriert. Eine wichtige Zielgruppe für unsere Exportwirtschaft sind auch die 2,6 Millionen Rückkehrer, die heute in der Türkei leben. Ein Großteil davon spricht gut Deutsch und hat in unseren Firmen gearbeitet. Das schafft die ideale Basis für den Handel mit der Türkei.

Wie werden die Unternehmen auf die politischen Unsicherheiten reagieren?

Die großen Unternehmen halten an dem Standort Türkei fest. Mercedes hat im Februar 150 Millionen Euro in den Ausbau der Busproduktion in Aksaray investiert. Bosch hat im Mai 200 Millionen Euro in den Ausbau der Hub-Struktur und F&E in der Türkei gesteckt. Die Produktionskapazitäten in der Türkei: sind mit 76 Prozent gut ausgelastet, die deutschen Unternehmen beurteilen die Geschäftsaussichten für 2016 positiv.

Die Stimmung dürfte nach dem Putsch etwas gekippt sein …

Davon ist auszugehen. Niemand mag derzeit langfristige Prognosen abgeben. Der Mittelstand wird bei Investitionen in der Türkei sicher noch zurückhaltender werden.

Wird das bayerisch-türkische Geschäft in nächster Zeit komplett einbrechen?

Nein, das Risiko sehe ich derzeit nicht. In der ersten Jahreshälfte hat die Türkei ein kräftiges Wachstum verzeichnet. Aller Voraussicht nach wird die türkische Wirtschaft im laufenden Jahr um 3 Prozent und 2017 mit 2 Prozent wachsen. Es gibt langjährige Geschäftsbeziehungen und Partnerschaften mit Unternehmen in der Türkei. Niemand gibt so etwas leichtfertig auf. Was zudem Hoffnung macht: Die Türkei will in den Kreis der zehn größten Volkswirtschaften aufsteigen. Das geht nicht ohne Investitionen, dafür braucht es florierenden Handel. Wenn die Türkei ausländische Unternehmen gängelt, schadet sie sich selbst. Alle Erfahrungen zeigen: freier Warenaustausch führt auch zu einer liberaleren, weltoffeneren Politik.

In der Türkei ist davon derzeit nichts zu spüren …

Das ist leider wahr. Nichts scheuen Unternehmer mehr als fehlende Rechts- und Planungssicherheit. Vieles, was die türkische Regierung in jüngster Zeit beschlossen hat, wirkt verstörend. Das beginnt bei immer stärkeren Beschränkungen für den Alkoholkonsum, reicht über das Verbot von rotem Lippenstift für Stewardessen der Turkish Airlines und geht bis hin zu dem angekündigten Ausreiseverbot für Akademiker. Von hier an ist es nur ein kleiner Schritt bis zu Eingriffen in Geschäftsreisen und den freien Warenverkehr.

Europa hat mit Gegenmaßnahmen gedroht, falls die Türkei die Todesstrafe wieder einführen sollte. Verhängt die EU wieder Wirtschaftssanktionen – wie gegen Russland?

Momentan sind das alles Spekulationen. Was niemand wollen kann, ist eine weitere Vertiefung der politisch-kulturellen Kluft zwischen Europa und der Türkei. Wachsen die politischen Spannungen, verschlechtert sich auch das Wirtschaftsklima. Das steht außer Frage.

Wäre die mittelfristige Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen wünschenswert?

Das steht momentan überhaupt nicht auf der Agenda. Die kurzfristigen Ziele heißen Normalisierung der Lage und Frieden. Und natürlich hoffen wir, dass die Türkei auf dem Kurs bleibt, der europäischen Werten entspricht. Europa steht für freie Märkte, Demokratie, Schutz der Menschenrechte und eine liberale, weltoffene Gesellschaft.

Das Interview führte Martin Armbruster