Brexit und der Finanzmarktsektor
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Einleitung
London ist der Finanzplatz Europas. Derzeit werden etwa 90 Prozent aller in Euro gehandelten Derivate in London gehandelt. Der Finanzsektor des Vereinigten Königreichs ist der größte innerhalb der EU und für die Entwicklung des Europäischen Wirtschaftsraums von zentraler Bedeutung. Eine wesentliche Säule der EU-Binnenmarktfreiheiten ist die Kapitalverkehrsfreiheit. Kommt es durch den Brexit zu einer Einschränkung dieser Freiheit, gefährdet es die bayerisch-britischen Wirtschaftsbeziehungen. Die Auswirkungen des Brexit sind bisher unklar, ebenso die Folgen für den Finanzmarkt.
Finanzdienstleistungen
Innerhalb der EU dient der sogenannte EU-Pass als Basis für Finanztransaktionen. Für Aktivitäten in der gesamten EU reicht damit die Lizenz einer nationalen Aufsichtsbehörde aus. Wenn eine einmalige Zulassung eines Finanzprodukts in einem EU-Mitgliedsland erreicht wurde, kann der Vertrieb in der gesamten Union erfolgen.
Tritt das Vereinigte Königreich mit dem Brexit aus dem Binnenmarkt aus, verlieren Finanzdienstleister aus dem Vereinigten Königreich die Möglichkeit des Financial Passporting und gelten in der Folge als Anbieter aus Drittstaaten. Die Probleme gelten auch umgekehrt für Finanzdienstleister aus der EU-27, die ihre Produkte auf der Insel vertreiben möchten. Eine Kompensation könnte durch die Gründung einer nationalen Tochtergesellschaft erfolgen, die die britische Aufsichtsbehörde künftig regulieren würde.
Großbritannien ist derzeit Europas größter Versicherungsmarkt. Wenn bei den Austrittsverhandlungen keine Lösung gefunden wird, könnten laufende Finanzprodukte wie zum Beispiel Versicherungsverträge oder Derivate nach dem Austritt des VK aus der EU ungültig werden bzw. nicht mehr bedient werden können. Aus diesem Grund sollten Sie Ihre Versicherungsverträge prüfen und ggf. zu einem Anbieter mit Sitz innerhalb der EU wechseln.
Investitionen
Rund um das Thema grenzüberschreitender Investitionen gelten im Binnenmarkt der EU für alle Mitgliedstaaten dieselben EU-Vorschriften. Diese Regeln betreffen insbesondere den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit. Viele Unternehmen haben ihren Standort aus diesen Gründen in das VK verlagert. In der Folge des Brexit fällt für europäische Investoren der unionsrechtliche Schutz weg, dies betrifft entsprechend auch deutsche Investoren. Bis zur Aushandlung eines neuen Investitionsschutzabkommens kann einige Zeit vergehen. Unternehmen sollten daher bei Investitionen berücksichtigen, dass es bis zur Unterzeichnung eines möglichen Schutzabkommens zwischen dem VK und der EU hinsichtlich des Marktzugangs und des Verbots der Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs keine Garantien geben wird.
Gesellschaften macht die ungewisse Lage aufgrund des Brexit zu schaffen. Laut einer Umfrage des DIHK planen fast zehn Prozent der befragten Unternehmen mit Investitionen im VK bereits eine Verlagerung auf andere Märkte. Die Statistik verdeutlicht die große Verunsicherung betroffener Unternehmen. Das aktuell geschwächte Pfund könnte einen Investitionsrückgang zumindest teilweise kompensieren. Investieren Unternehmen in Produktionsstätten vor Ort, können sie mögliche Risiken durch Hürden bei Exporten reduzieren. Weniger Investitionen deutscher Unternehmen im VK erscheinen aus diesen Gründen langfristig als wahrscheinlich.
Unternehmensfinanzierung
Ein Thema nach dem Brexit ist das Eigenkapital für Banken außerhalb der EU. Möglicherweise sind die Banken in Zukunft bei der Abwicklung ihrer Geschäfte über Clearingstellen dazu verpflichtet, zur Risikovorsorge deutlich mehr Eigenkapital vorzuhalten. Die Folge: Müssen Banken eine höhere Eigenmittelbindung vorhalten, könnte sich der Spielraum für Kreditausreichungen reduzieren und die Finanzierungskosten für Unternehmen könnten sich verteuern.
Für Banken aus Großbritannien gilt: Tritt der Brexit in Kraft, unterliegen die britischen Banken nicht mehr dem EU-weiten Aufsichtsrahmen. Innerhalb der Europäischen Union konkurrieren Banken in Bezug auf Vorschriften zu Eigenkapital und Liquidität zu gleichen aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen. Lockern die Politiker die Bankenregulierung, könnten Finanzierungen für Unternehmen von Banken aus dem VK günstiger werden. Auf lange Sicht hätte eine überhöhte Risikoübernahme höhere Risiken für die Finanzstabilität zur Folge. Folgt auf den Brexit eine negative wirtschaftliche Entwicklung Großbritanniens, könnten Banken im Inland weniger Kredite vergeben. Die Finanzierung von Unternehmen im VK könnte sich dadurch schwieriger gestalten. Gleichzeitig müssen Unternehmen mit erhöhten Risikoaufschlägen für die Finanzierung von Projekten im Vereinigten Königreich rechnen.
Hinweis: Bayerische Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu Banken aus den VK sollten die Entwicklung im Auge behalten.
Wirtschaftsprüfer
Mit einem ungeordneten Austritt des Vereinigten Königreichs könnte es zu Änderungen bei der Anerkennung von Qualifikationen kommen.
Natürliche Personen, die das VK als Wirtschaftsprüfer derzeit anerkennt, gelten dann als Wirtschaftsprüfer aus Drittländern. Damit werden diese nicht mehr als Abschlussprüfer angesehen.
Hinweis: Unternehmen sollten alternative Wirtschaftsprüfer mit Sitz innerhalb der EU in Betracht ziehen und so mögliche negative Folgen minimieren.
FAQ zu Brexit und Finanzmarkt
Mit dem Brexit geht die rechtliche Basis für die Versicherungspolicen zunächst verloren, denn Anbieter aus dem Vereinigten Königreich verlieren die nötige EU-Zulassung. Das müsste insbesondere Konsequenzen für obligatorische Versicherungen haben, zu der bestimmte Branchen gesetzlich verpflichtet sind, wie der Berufshaftpflicht oder Versicherungen zum Betrieb von Anlagen oder Fahrzeugen. Würden die bestehenden Versicherungen ungültig, stehen auch Zulassungen und Genehmigungen der Versicherungsnehmer infrage. Damit ist der Fortbestand der Verträge fraglich, sofern es keine Regelung gibt. Um Risiken zu minimieren, sollten Unternehmen bestehende Verträge prüfen und ggf. zu einem Anbieter außerhalb des VK wechseln.
Transaktionsdokumente und Kundenbedingungen können durch das Repapering in der Folge des Brexit in unterschiedlich großem Umfang betroffen sein. Ändert sich bei einer Transaktion die Gegenpartei, sind Auswirkungen auf sämtliche Transaktionsdokumente möglich, unter anderem auf:
- Globale Rahmenverträge über Wertpapierleihe (GMSLAs)
- Gliabel Master-Pensionsgeschäftsvereinbarungen (GMRAs)
- ISDA-Rahmenverträge
- Prime-Brokerage-Verträge
- Verträge über börsennotierte Optionen und Futures
- Darlehnsverträge
- Sicherungsverträge
- Clearing-Vereinbarungen
Eine Bestandsschutzlösung oder Übergangsregelung könnte das Fortlaufen derzeitiger Vertragsvereinbarungen für einen definierten Zeitraum oder bis zur Fälligkeit ermöglichen. Unternehmen sollten zur Sicherheit für einen harten Brexit planen, eine Tätigkeit auf grenzübergreifender Basis von Großbritannien aus ist dann nicht mehr möglich.
Die neue Dokumentation kann eine Reihe von Veränderungen mit sich bringen, damit vertraglich geregelte Vereinbarungen den neuen regulatorischen Anforderungen gerecht werden. Folgende Auswirkungen auf die Dokumentation sind denkbar:
- Es können Gerichtsstandsklauseln und Kollisionsnormen betroffen sein.
- Änderungen bei Vermögensschutzprogrammen und die Dokumentation sind möglich.
- Unter Umständen müssen Sicherheitsdokumente neue Sicherungsvereinbarungen widerspiegeln.
- Gegebenenfalls müssen neue datenschutzrechtliche Einwilligungen eingeholt werden.
Der Brexit führt zu administrativem und monetärem Mehraufwand, zum Beispiel bei der Besteuerung grenzüberschreitender Vorgänge und der Niederlassungsfreiheit. Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit wird eingeschränkt. Bilaterale Vereinbarungen sollten zur Verhinderung der Doppelsteuerung verhandelt werden, ebenso wie Investitionsschutzabkommen. Auch die Transaktionskosten im Zahlungsverkehr müssen gering bleiben. Da das Vereinigte Königreich mit dem Brexit aus der gemeinsamen Banken- und Finanzaufsicht austritt, haben sich die Banken der Insel zum Schutz vor Destabilisierungen eng an die Kapital- und Liquiditätsvorschriften der europäischen Regulierung zu halten. Für die Wirtschaft wäre eine möglichst schnelle Klärung künftig geltender Regeln das Beste. Auf diese Weise könnten sich die Unsicherheiten in allen Branchen beseitigen lassen. Die ökonomischen Folgen für den Finanzmarkt könnten sich so in Grenzen halten.
Zusammenfassung
Zur Risikovorsorge müssen Banken außerhalb der EU nach dem Brexit bei ihren Geschäften ggf. mehr Eigenkapital vorhalten, was die Unternehmensfinanzierung verteuern könnte. Eine unsichere wirtschaftliche Entwicklung des Vereinigten Königreichs könnte zudem die Finanzierung von Projekten und Niederlassungen im VK erschweren. Denken Sie bei Investitionen daran, dass es bis zur Unterzeichnung eines möglichen Schutzabkommens in Bezug auf den Marktzugang und für das Verbot der Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs keine Garantien geben wird. Prüfen Sie Ihre Versicherungsverträge und wechseln Sie ggf. zu einem Anbieter mit Sitz innerhalb der EU. Achten Sie außerdem darauf, dass Wirtschaftsprüfer aus Großbritannien unter Umständen nicht mehr als Abschlussprüfer anerkannt werden.
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Joachim Linke
Beratung zu: Brexit und Finanzdienstleistungen & Wechselkurs+49 89 5116-1110
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