Gesundheitswirtschaft
Der demografische Wandel, in Kombination mit einem steigenden Gesundheitsbewusstsein und der zunehmenden Bereitschaft des Einzelnen, Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten und zu fördern, erhöhen die Nachfrage nach Gesundheitsleitungen.
Unternehmen, die sich dieser innovativen und hochaktuellen Branche verschrieben haben, sind von herausragender Bedeutung für den Standort.
IHK Startup-Slam
Im Rahmen des Europäischen Gesundheitskongresses im September 2019 veranstaltete die IHK für München und Oberbayern bereits zum zweiten Mal einen Startup-Slam. Junge Unternehmen konnten sich bei der IHK mit innovativen Produkten bzw. digitalen Lösungen für das Gesundheitswesen bewerben. Aus über 30 Bewerbungen wurden für den Kongress sieben Startups ausgewählt (entscheidend waren neben der Idee/Originalität des Produktes bzw. der Dienstleistung der Mehrwert für die Gesundheitsbranche) und konnten sich am Stand der IHK für München und Oberbayern sowie im Rahmen eines Pitches den Kongressteilnehmern präsentieren. Beim Pitch galt es, das Fachpublikum vom Produkt oder der Dienstleistung zu überzeugen – denn dieses durfte im Anschluss an die Pitches abstimmen. Aus der Abstimmung gingen vier Startups als Sieger hervor:
- Reactive Robotics GmbH: Intelligente Assistenz-Robotik zur Frühmobilisierung von Intensivpatienten
- munevo GmbH: Smartglass-Applikation, die Menschen mit Behinderung zu unabhängiger Mobilität und mehr Selbstbestimmung verhilft
- Nui Care GmbH: App zur effizienteren Organisation des Alltags von Pflegebedürftigen und deren Familien
- Kumovis GmbH: 3D Drucker zur Verarbeitung von Hochleistungskunststoffen, z.B. für patientenindividuelle Implantate
Die vier Sieger gewannen je ein Mentoring von einem erfahrenen Experten aus der Gesundheitsbranche.
Forderungen zur Gesundheitswirtschaft
Die Gesundheitswirtschaft gehört in Bayern zu den größten Arbeitgebern. Darüber
hinaus ist ein funktionierendes Gesundheitswesen nicht nur ein unverzichtbarer
Standortfaktor für Betriebe, sondern bildet mit Angeboten und Leistungen Möglichkeiten für die Bewältigung des demographischen Wandels.
Es schlummern in diesem Bereich aber auch Risiken. Wie lässt sich das Gesundheitssystem trotz des Anstiegs der Zahl alter Menschen, des drastischen Rückgangs des Erwerbspersonenpotenzials und der wachsenden medizintechnischen Möglichkeiten finanzieren? Der Anpassungsdruck ist beträchtlich - vor uns liegen große Herausforderungen.
Die IHK für München und Oberbayern hat in ihrem Positionspapier sieben Stellschrauben herausgearbeitet, an denen die Politik in den nächsten Jahren drehen sollte.
Zentrale Forderungen an die Politik sind:
- Fachkräfte
- Digitalisierung
- Finanzierung und Kostentransparenz
- Versorgung in Stadt und Land
- Bürokratieabbau
- Innovationen in der Gesundheitswirtschaft
- Prävention und betriebliches Gesundheitsmanagement
IHK besorgt über Fachkräftemangel
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist da. Diese Situation wird sich aufgrund der großen Krankenhausdichte vor allem in der Stadt München und seinem Umland noch weiter verschärfen. Fast sieben von zehn Betrieben aus dem Bereich der Gesundheits- und Sozialdienstleistungen sehen ihn als großes Risiko für ihre Geschäftsprozesse an. Vor diesem Hintergrund herrscht ein harter Konkurrenzkampf um gut ausgebildete Fachkräfte in der Pflege.
Übereinstimmung besteht unter Experten deshalb darin, Pflegeberufe attraktiver zu machen, um mehr junge Leute für die Pflege zu gewinnen und so dem Fachkräftemangel in diesem Bereich entgegenzuwirken. Die Bundesregierung hat deshalb am 13. Januar 2016 einen Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe beschlossen. Nach mehr als einjährigen Verhandlungen hat man sich nun geeinigt:
Das Konzept sieht vor, dass künftig in allen Pflegeschulen die Ausbildung mit einer zweijährigen generalistischen Pflegeausbildung beginnen wird. Nach zwei Jahren haben die Auszubildenden die Wahl, die generalistische Ausbildung fortzusetzen oder den bisherigen Abschluss als Altenpfleger oder Kinderkrankenpfleger zu wählen. In der generalistischen Ausbildung wird es eine Vertiefung in der Alten- und Kinderkrankenpflege geben. Einen Einzelabschluss in der Krankenpflege soll es künftig nicht mehr geben.
Die Neuregelungen sollen für die Ausbildungsjahrgänge ab 2019 gelten. Die Ausbildung soll über einen Fonds finanziert werden, dadurch würden die in mehreren Bundesländern üblichen Schulgebühren entfallen.
Gesundheitsfonds in der Kritik
Bei den Gesundheitskosten nimmt Deutschland mit Ausgaben von 344 Milliarden Euro einen internationalen Spitzenplatz ein. Allein die gesetzliche Krankenversicherung gab im Jahr 2015 rund 200 Milliarden Euro aus. Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurde mit dem Morbi-RSA (morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich) im Jahr 2009 neu gestaltet.
Der Morbi-RSA regelt als wichtigstes Steuerungsinstrument den Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen. Er wurde zeitgleich mit dem Gesundheitsfonds eingeführt. Darin werden die für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen Mittel – wie Steuerzuschuss des Bundes und Beitragssätze zur Krankenversicherung – gesammelt. Die Krankenkassen erhalten aus dem Gesundheitsfonds Zuweisungen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Wie hoch die Zuweisungen für den einzelnen Versicherten an die Krankenkassen ausfallen, legt der Morbi-RSA fest.
Die Kritik an diesem Zuweisungssystem zwischen den gesetzlichen Krankenkassen hält an. Denn es berücksichtigt nicht die regionalen Kostenunterschiede: Lt. einem Gutachten des bayerischen Gesundheitsministeriums fließen rd. 2 Mrd. Euro im Rahmen des Ausgleichs für Krankenkassen aus Bayern ab. Gleichzeitig reicht in einzelnen Regionen Bayerns (v.a. in den Ballungsgebieten) das Zuweisungsvolumen nicht, um den Versorgungsbedarf zu decken. Es ist wird daher gefordert, die Zuweisungsgerechtigkeit zu verbessern. Bestehende regionale Kostenunterschiede müssen mittels eines Regionalfaktors im Morbi-RSA einen Ausgleich erfahren.
Allerdings sind die Daten des Gutachtens umstritten. Dies rührt daher, dass einzig das Bundesversicherungsamt (BVA) über die relevanten Daten verfügt und diese bislang (auch aus Gründen des Konkurrenzschutzes zwischen den Krankenkassen) nicht offengelegt wurden.
Digitalisierung kann ärztliche Versorgung auf dem Land verbessern
Die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum ist eine der großen, künftigen Aufgaben. Denn der demografische Wandel führt dazu, dass in einigen Regionen Oberbayerns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Bevölkerungsdichte massiv abnehmen wird. Diese geht mit einem steigenden Durchschnittsalter der verbleibenden Bevölkerung einher und damit mit einem steigenden Bedarf an medizinischer Betreuung. Doch auch in diesen oberbayerischen ländlichen Regionen muss die medizinische Versorgung aufrechterhalten werden, denn es gibt letztlich eine gesellschaftliche Pflicht, für gleiche Lebensbedingungen und gleiche Lebensqualität zu sorgen.
Um die Attraktivität dieser ländlichen Räume aufrecht zu erhalten und so Fachkräfte in diese Regionen zu ziehen, kommt der Vernetzung der Sektoren ein hoher Stellenwert zu. Gerade in dünn besiedelten Gebieten spielen die unter dem Oberbegriff E-Health zusammengefassten Aktivitäten eine große Rolle. Zu den möglichen Einsatzgebieten zählen insbesondere die Telemedizin, die die räumliche Trennung von Arzt und Patient überbrücken soll, sowie die Möglichkeiten, die eine elektronische Gesundheitskarte bieten.
Hindernisse liegen insbesondere noch in fehlenden flächendeckenden, bundesweiten schnellen Breitbandanschlüssen. Auch die heutigen heterogenen IT-Landschaften in der Versorgung sind ein wesentlicher Hemmschuh für eine bessere Zusammenarbeit. Die Bundesregierung hat diese Herausforderungen erkannt und plant laut Koalitionsvertrag eine Ausweitung der Telemedizin. Dieses Ziel ist nach Ansicht der IHK prinzipiell sinnvoll, der Weg dorthin ist jedoch noch zu konkretisieren.
Der Krankenhaussektor in Deutschland – wie investiert man sinnvoll?
Der Krankenhaussektor hat mit einer Bruttowertschöpfung von mehr als 60 Mrd. Euro und über 1,5 Mio. Erwerbstätigen eine enorme Bedeutung. Seine Potenziale – insbesondere die der Krankenhäuser in privater Trägerschaft – müssen genutzt werden. Die Finanzierung ist dafür ein Kernmechanismus.
Das Wichtigste in Kürze:
Die duale Finanzierung ist nicht zukunftsfähig. Die Trennung zwischen krankenkassenfinanzierten Betriebskosten und steuerfinanzierten Investitionen hindert die Krankenhäuser an einer sinnvollen betriebswirtschaftlichen Planung. Zudem sind sie stark von kommunalpolitischen Einflüssen abhängig.
- Die Monistik sollte als mittelfristiges Reformziel angestrebt werden. Bei dieser „Finanzierung aus einer Hand“ ergänzen die Krankenkassen die diagnosespezifischen Fallpauschalen, die sie an die Krankenhäuser zahlen, um Investitionszuschläge.
- Es sollte umfassend selektives Kontrahieren (Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern) für selektive Leistungen ermöglicht werden. Vorausgesetzt ist die Anwendung des Wettbewerbsrechts bei allen Beteiligten. Die Länder sind dann mittel- bzw. langfristig – und unter Beteiligung privater Anbieter – für die Notfallversorgung und die Versorgung im ländlichen Raum zuständig.
Download: DIHK-Positionspapier
Gesundheitswirtschaft in Deutschland – demografischer Wandel
Demografischen Wandel als Chance begreifen – die Demografie eröffnet neue Geschäftsfelder für die Akteure der Gesundheitswirtschaft, um eine steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und Gütern zu bedienen. Auch der Export bietet große Chancen.
Neue Kooperationsformen sind nötig: Die Akteure der Gesundheitswirtschaft sind aufgefordert, Kreativität zu zeigen, um die langlebigen und zähen Hemmnisse in der Zusammenarbeit der Sektoren – Prävention, ambulante und stationäre Kuration und Rehabilitation – zu überwinden. Hierfür bieten lokale Netzwerke, in die alle Akteure – auch Kommunen – eingebunden werden, den richtigen Einstieg.
Zweiter Gesundheitsmarkt mit Potenzial: Alle Beteiligten benötigen Informationen über die tatsächlich anfallenden Kosten von Gesundheitsleistungen. Auch muss klar sein, was die Kassen und Versicherungen im Rahmen der Versicherungspflicht – also des ersten Gesundheitsmarkts – leisten. Ausgehend hiervon müssen private Ergänzungs- oder Aufstockungszahlungen durchgängig möglich sein. Das Sachleistungsprinzip muss schrittweise überwunden und das Kostenerstattungsprinzip in der GKV umfassend und ohne Nachteile für die Versicherten angewendet werden.
Die Fachkräftebasis sichern: Insbesondere zur Sicherstellung der ambulanten und stationären Versorgung und Pflege sollte
- mehr Raum für die flexible Zusammenarbeit über die Sektorengrenzen hinweg bestehen. Kooperationen zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen im Gesundheitswesen sollten in größerem Umfang möglich sein
- die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessert werden. Hier können auch die Betriebe ihren Mitarbeitern vielfach Unterstützung geben
- die Pflegeausbildung ausgeweitet werden. Hierzu müssen die Betriebe und Schulen mehr ausbilden, und die Ausbildungen müssen insgesamt aufgewertet werden. Ebenso ist die Einführung eines bundeseinheitlich geregelten IHK-Pflegeberufs überlegenswert
- das Potenzial ausländischer Fachkräfte angehoben werden. Die schnellere Anerkennung
ausländischer Abschlüsse und sinnvolle Zuwanderungsregeln sind ebenso wichtig wie die Herstellung von Rechtssicherheit für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen - der Nachwuchs für neue Berufe, etwa im IT-Bereich, gesichert werden. Hier müssen sich vor allem die Betriebe anstrengen, um für Fachkräfte attraktiv zu sein. Aber auch die Politik muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass bisher ungenutzte Potenziale von den Betrieben gehoben werden können.
Prävention stärken: Im Zuge des demografischen Wandels wird Prävention immer wichtiger. Sie muss auf allen Ebenen – in den Betrieben, auf kommunaler Ebene und institutionell im System der Sozialversicherungen – gestärkt werden und einen größeren Stellenwert erhalten.
Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter erhalten: In diesem Feld kommt der Gesundheitswirtschaft eine besondere Rolle als Akteur und Betroffenem zu. Insbesondere gilt es, KMU zu unterstützen und ihnen einfache, praktische Hilfen aufzuzeigen.
Finanzierung sichern: Die Politik muss die gesetzliche Krankenversicherung,
ebenso wie die sozialen Pflegeversicherung, auf eine lohnunabhängige Finanzierung in Verbindung mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich umstellen. Ergänzende Kapitaldeckung ist notwendig, um eine spätere hohe Belastung von Beitragszahlern und Betrieben zu vermeiden.
Debatte über zukünftigen Versorgungsumfang führen: Politik und Gesellschaft müssen die Diskussion über den künftigen Leistungsumfang des Gesundheitswesens führen, um auch künftigen Generationen eine angemessene Versorgung zu ermöglichen.