Ausbildung 4.0
Mit Tablet & Co. in die Lehre
Um weiter wettbewerbsfähig zu sein, müssen Unternehmen gerade in der Ausbildung auf dem aktuellen Stand bleiben. Wer Digitalisierung und Vernetzung fest integriert, macht junge Menschen fit für die Arbeitswelt von morgen.
Autorin: Sabine Hölper
Digitaler Alltag
Martina Brunner leitet die Ausbildung bei Brunata Wärmemesser in München. Sie stellt jedes Jahr etwa zehn Azubis, Dual Studierende und Trainees ein. Aus den vielen Gesprächen, die sie führt, weiß die 48-Jährige eines ganz genau: „Das Digitale ist für die jungen Leute selbstverständlich.“ Deshalb sei es genauso selbstverständlich für das Unternehmen, die Ausbildung digital zu gestalten. Fragt man Brunner, seit wann diese Philosophie bei Brunata existiere, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: „Schon immer.“ Zehn Jahre sind das mindestens. So lange arbeitet die Ausbildungsleiterin in der Firma.
Unternehmen sind gut beraten, Ausbildung 4.0 als Topthema im Betrieb zu betrachten. Ein gewichtiges Argument dafür ist, dass die Ausbildung eine der wichtigsten Säulen ist, um sich die Fachkräfte von morgen zu sichern. „Am Markt gibt es sie schlichtweg nicht mehr“, sagt Brunner.
„Die Ausbildung 4.0 ist alternativlos“, bekräftigt Josef Buschbacher, Geschäftsführer der Corporate Learning & Change GmbH. Sein Unternehmen hat sich auf die Qualifizierung von Ausbildern spezialisiert und hilft Ausbildungsleitern bei der Strategiefindung. Buschbacher ist also Experte auf dem Gebiet. „Der Kampf um die jungen Menschen ist entbrannt“, sagt er. Firmen hätten nur dann eine Chance, die Talente zu gewinnen, wenn die Unternehmen als zeitgemäß wahrgenommen würden. Die digitale Ausbildung sei daher bestes Ausbildungsmarketing. „Langfristig müssen sich die Firmen der digitalen Ausbildung öffnen“, folgert der 46-Jährige. „Wer es nicht macht, wird ins Hintertreffen geraten.“
Das Digitale ist für die jungen Leute selbstverständlich.
Arbeitswelt von morgen
Auszubildende zu finden und damit Fachkräfte zu sichern, ist aber nur ein Grund, warum die digitale Ausbildung in jedem Unternehmen verankert werden sollte. Entscheidend ist, dass die Fachkräfte von morgen nicht mehr in einer Arbeitswelt von gestern agieren. Sie sind vielmehr Teil eines immer vernetzteren, schnelleren und komplexeren Umfelds. Die Ausbildung muss genau darauf vorbereiten - die Arbeitswelt der Zukunft.
Buschbacher kennt die typischen Einwände der Ausbilder: „Wir bringen die Auszubildenden doch gut durch die Prüfung, warum sollten wir etwas ändern.“ Stand heute haben die Zweifler recht, sagt der Experte. Doch Stand heute zähle bereits in naher Zukunft nicht mehr viel.
Man müsse nur den drastischen Wandel der vergangenen Jahre betrachten. Die Menschen selbst haben sich verändert. „Die Generation Z will eine hohe Individualisierung erleben“, sagt Buschbacher und meint damit die ab 1995 Geborenen. „So kennen sie es aus ihrer Freizeit, und so erwarten sie es vom Ausbildungsbetrieb.“ Hinzu kommen Veränderungen in der Wirtschaft. Es dominieren Internationalisierung, Zeit- und Kostendruck; ständige Innovationen sind gefordert. Elementar ist außerdem die technologische Weiterentwicklung, die vieles möglich macht, was noch vor kurzem undenkbar schien.
Bildung mit Zukunft
Auch der Bildungsmarkt hat sich enorm verändert. Heute existieren ganz andere Lernmethoden und -formate als früher. Gerade deshalb sei es „notwendig, am Ball zu bleiben und die Themen Digitalisierung und Vernetzung zukünftig fest in die betriebliche Ausbildung zu verankern“, sagt Eberhard Sasse, Präsident der IHK für München und Oberbayern. Für Experte Buschbacher ist das ein elementarer Baustein. „Bewusstsein schaffen“ nennt er das. Alle im Betrieb, insbesondere die Ausbilder, müssten hinter dem Projekt Ausbildung 4.0 stehen.
„Das ist nicht immer leicht“, sagt Harald Zillner. Der 58-Jährige ist Ausbildungsleiter bei den Stadtwerken München (SWM). Er weiß, dass insbesondere bei gleichaltrigen Kollegen manchmal viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Doch wer Zillner reden hört, hat nicht den geringsten Zweifel daran, dass er diese Aufgabe zum größten Teil bereits gemeistert hat. Bei den Stadtwerken München ist die digitale Ausbildung seit Jahren Normalität. Die Stadtwerke München sind nicht mehr nur ein Traditionsbetrieb, der Energie liefert und Bahnen und Busse betreibt. Längst sind sie auch Anbieter einer „neuen Energiewelt“ und betreiben virtuelle Kraftwerke, Smart City Home, WLAN-Stationen, Ladestationen für Elektroautos und Carsharing-Apps. Für Zillner ist es daher nur logisch, auch die Ausbildung zukunftsfähig aufzustellen.
Konkret bedeutet das für alle 13 Berufe, in denen das Unternehmen seine rund 400 Azubis ausbildet, vor allem mehr Medien- und IT-Kompetenzen zu vermitteln: Die Industriekauffrau muss in die Lage versetzt werden, eine Rechnung mit Hilfe des SAP-Systems digital zu bearbeiten – und nicht mehr wie früher händisch. Der Industriemechaniker muss Simulationen an modernen CAD-Programmen herstellen oder mit dem 3D-Drucker umgehen können. Der Mechatroniker muss die Hochvolttechnik erlernen, wo früher Niedervolt ausreichte. Um all dies zu gewährleisten, setzen die Stadtwerke München auf noch mehr innerbetrieblichen Unterricht.
Aber nicht nur die Lerninhalte müssen aktualisiert werden, sondern auch die Lernmethoden. Viele jungen Leute möchten in kleineren Häppchen lernen, mit sogenannten Learn-Nuggets, und moderne Medien wie Smartphones oder Kanäle wie YouTube nutzen. Genau diese Möglichkeiten sollten die Unternehmen ihnen einräumen. Außerdem erstellen sie selbstständig Lernfilme, die sie dann auf YouTube hochladen. Gut geeignet sind ebenfalls sogenannte Massive Open Online Courses, kurz MOOCs. Das sind kostenlose Computerkurse, die traditionelle und progressive Formen der Wissensvermittlung vereinen. Die Firmen beziehungsweise ihre Azubis können jederzeit darauf zurückgreifen. Künftig können die SWM-Azubis außerdem virtuell schweißen üben. Mit Hilfe einer 3D-Brille wird der Schweißvorgang simuliert. Das Gerät meldet zurück, ob der Azubi seine Sache gut gemacht hat.
Die neuen Lehrmaterialien und -methoden verändern die Rolle der Ausbilder. Überflüssig werden diese in keinem Fall.
Die Smartphones sind immer angeschaltet. So können die jungen Leute eine Reihe guter Apps benutzen.
Checkliste: Darauf sollten Unternehmen bei der Ausbildung 4.0 achten
Strategie is Key
Die Geschäftsleitung entwickelt – aufbauend auf der Unternehmensstrategie – eine Ausbildungsstrategie.
Sie bestimmt, in welchen Berufen das Unternehmen ausbildet, welche Themen vermittelt werden und welche Methoden dafür angewendet werden.
Alle mitnehmen
Eine digitale Agenda für die Ausbildung muss durch alle Ausbilder getragen werden. Sie sollten Unterstützung erhalten, wo immer sie sie brauchen.
Ausbildungsleitung und Ausbilder müssen ein Bewusstsein für die Ausbildung 4.0 entwickeln. Mehr noch: Die Ausbilder sollten wie Trend-Scouts arbeiten. Sie sollten herausfinden, was sich in der Ausbildung verändert und was das für das Unternehmen bedeutet.
Drei Hürden überprüfen und abbauen
Fähigkeitsbarriere
Es fehlt an Qualifikation. Der Ausbilder ist fachlich perfekt, muss aber dennoch dazulernen. Dies macht ihm Angst, so dass er nicht am Wandel teilnimmt.
Willensbarriere
Manche Ausbilder lehnen Veränderungen ab, weil sie mit der aktuellen Situation grundsätzlich zufrieden sind. Sie bringen ihre Azubis durch die Prüfung und finden, dass sie eine gute Ausbildung machen.
Verständnisbarriere
Manchen Ausbildern ist nicht klar, warum sie sich auf die Ausbildung 4.0 einlassen sollten. Sie wissen nicht, worum es geht. Das Unternehmen hat es versäumt, sie ins Boot zu holen.
In Neues eintauchen
Ausbilder sollten sich selbst mit dem Thema Ausbildung 4.0 praktisch vertraut machen und ausprobieren, was alles möglich ist. Sie können das Smartphone herausholen, Websites aufrufen, neue Tools kennenlernen.
Vom Sprint zum Marathon wechseln
Ein iPad macht noch keine Ausbildung 4.0. Wer die digitale Ausbildung im Unternehmen verankern will, muss sich klar darüber sein, dass die Lern- und Lehrwelt maßgeblich verändert werden muss.
Ein 100-Meter-Sprint, sprich Aktionismus, ist fehl am Platz. Es geht ums Durchhaltevermögen. Die Ausbilder müssen verinnerlichen, dass Kanäle wie YouTube von jungen Leuten selbstverständlich genutzt werden und dass sie dem Ziel dienen können, junge Leute fit fürs Berufsleben zu machen.