Unternehmerprofil
Sourcing & Recruiting - „Viele haben das verpennt“
Recruiting-Experte Tobias Ortner erklärt, was Firmen besser machen müssen, um an Fachkräfte zu kommen.
Du hälst die schlechte Außendarstellung der Firmen für ein Problem. Sind die Unternehmen selbst schuld am Fachkräftemangel?
So pauschal kann man das nicht sagen. Wenn man sich aber in der HR und Recruiting Landschaft umschaut, stellt man fest: Die Firmen haben hohe Erwartungen an die Bewerber und Kandidaten, die sich bei ihnen vorstellen sollen. Die Firmen tun aber relativ wenig dafür. Da gibt es ein großes Gap. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.
Und diese Lücke zwischen Anspruch und Engagement wächst …
Ja, sicher. Es spielt auch keine Rolle, wie groß die Firmen sind. Dieses passive Verhalten sehe sich in allen Branchen, in IT-Unternehmen und in Handwerksbetrieben. Nur den Handwerksbetrieb treffen die Folgen härter, weil den Digitalunternehmen derzeit die Leute quasi eher noch zulaufen.
Wenn man gute Leute will, muss man heute online und offline präsent sein. Und dafür genügt nicht die Standard-Homepage, man braucht die richtige Message. Das haben ganz viele schlicht verpennt.
Voraussetzung für eine überzeugende Message ist doch, dass die Unternehmenskultur stimmt.
Ganz genau. Wenn wir heute von Employer Branding oder Außenkommunikation sprechen, muss man wissen, dass der Impuls von innen kommen muss. Das ist alles ganz einfach: Es gibt einen Anker, die Basis der Kultur, das sind die Mitarbeiter. Es gibt eine Mission, die Geschäftsführung, die vorgibt, wo wir hin wollen oder müssen. Dann gibt es den Faktor Differenzierung. Die Frage, wie unterscheidet sich mein Unternehmen vom Rest? Firmenkultur und Führungsstil sind ganz entscheidend, ebenso wie der Wille für ständige Veränderung, um mit dem Markt sich entwickeln und wachsen zu können.
Sollte das nicht längst selbstverständlich sein?
In erstaunlich vielen Firmen wurden diese Fragen aber noch nie gestellt. Wenn ich auf die Frage „Wer bin ich als Arbeitgeber und Unternehmen?“ keine klaren Antworten habe, habe ich in der Außendarstellung ein Problem. Dann kommuniziere ich heiße Luft.
Was rätst Du Chefs, die keine heiße Luft verbreiten wollen?
Zwei Schritte sind wichtig. Erstmal das Grundsätzliche klären: Wo will ich wirklich hin? Was bin ich? Dann sollte man sich überlegen, wie es wäre, sich für das eigene Unternehmen zu bewerben. Sich fragen: Was hätte ich für Erwartungen an diese Prozesse bzw. an die Candidate Journey?
Was bringen diese Gedankenspiele?
Sie sind die Voraussetzung, um überhaupt passiv und aktiv nach Mitarbeitern zu suchen. Wenn man zu den genannten Fragen überzeugende Antworten hat, ist man den meisten Firmen einen großen Schritt voraus. Das ist ein klarer Vorteil.
Im Mittelstand entscheidet der Chef in der Regel selbst: Der passt, den nehme ich. Wie kommt man von diesem hierarchischen Denken weg?
Wenn der Chef nicht bereit ist, weniger hierarchisch zu denken, wird es schwierig. Wobei es für bestimmte Berufe gut ist, wenn das so bleibt. In einer Notfall-Klinik muss es den Chefarzt geben, der sein Team zusammenstellt und das Sagen hat. Der generelle Trend geht aber in eine andere Richtung. Die Firmenleitung gibt einen Rahmen vor, in dem jeder einzelne mehr Freiräume hat. Der Mitarbeiter soll sich im Interesse seiner Firma selbst verwirklichen.
Was brachte dich dazu, dich für das Thema Recruiting zu engagieren?
Wir sind 2009 zum ersten Mal auf einer Recruiting-Veranstaltung gewesen, das Thema war „Recruiting Trends“. Im FoKus standen der Fachkräftemangel und was können wir als Unternehmen in Zukunft tun, um die Bedarfe zu decken. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion kam Sourcing bzw. Direktansprache als das Thema für die Zukunft auf.
Damals war unser Start-up schon zwei Jahre lang am Laufen, in dem wir Direktansprache und Sourcing mit einem Team von 20 Mitarbeitern für die BFFT GmbH umgesetzt haben. So hat die Reise begonnen.
Wie ging die Reise weiter?
Danach sind die Unternehmen auf uns zugekommen und haben gesagt, wir würden gerne eure Dienstleistung und euer Wissen einkaufen. Dadurch ist u.a.„die grüne 3“ (Online-Blog, die Red.) entstanden. Wir haben angefangen, Trainings für Sourcer und Recruiter anzubieten und Unternhemen zu beraten.
Wie machst du Mittelständlern Mut, die das für zu teuer und zu aufwändig halten?
Viel investieren muss man dafür nicht. Entscheidender als das Geld ist heute das Wissen über die Instrumente, die ich nutzen kann. Das sind die Unternehmer heute in der Pflicht. Es muss genauso selbstverständlich werden wie die Tagesschau sehen, sich über die Möglichkeiten zu informieren, mit denen ich Menschen für meine Firma gewinnen kann.
Du hältst es für entscheidend, dass ein neuer Mitarbeiter zur Kultur des Unternehmens passt. Wie lässt sich das feststellen? Entscheidet man da nach Gefühl?
Da gibt es schon objektive Kriterien. Jeder weiß doch, ob sein Unternehmen unter die Rubrik klassisch-konservativ oder neu-hipp fällt. Es macht für ein „neu-hippes“ Unternehmen wenig Sinn, sich mit einem Bewerber zu beschäftigen, der klare Prozesse, Führungsstrukturen und große Sicherheit haben will. Wenn man so einem Menschen viel Freiraum gibt, wird der „lost“ sein und wahrscheinlich nicht lange im Unternehmen bleiben.
Das ist aber nur ein sehr grobes Raster.
Das lässt sich natürlich vertiefen. Etwa mit den Aspekten Nachhaltigkeit, Gender oder Diversity. Wichtig ist ein neuer Ansatz bzw. Blick auf das, was wirklich wichtig ist. Nicht mehr nur auf die Zeugnisnoten zu schauen, sondern was bringt der Mensch mit und sich stattdessen überlegen: Wer bin ich? Was will ich? Passt dieser Mensch, der sich mir vorstellt, wirklich dazu?
Kann man sich den Luxus leisten in Zeiten knapper Fachkräfte?
Wenn der Mitarbeiter nicht zum Unternehmen passt, wird sich das menschlich und fachlich negativ auswirken. Dann wird das Arbeitsverhältnis für beide Seiten zur Quälerei und kein schönes Ende finden. Durch Kununu wird auch hier für den Kandidaten nach außen einiges transparent. Und schlechte Bewertungen kann sich hier keiner leisten. Entscheidend ist die Motivation. Die lässt sich nicht blind einkaufen.
Brauchen wir mehr Vielfalt in der Belegschaft?
Das kommt darauf an, ob diese Vielfalt zum Unternehmen passt. Wichtiger sind die Fragen, was tut sich den gerade auf dem Arbeitsmarkt? Und was kann ich dem Arbeitsmarkt anbieten?
Dafür ist die Digitalisierung doch eine große Chance. Mittelständler können heute Recruiting-Strategien fahren, die früher nur Konzernen möglich war.
Genauso ist das. Aber die Chance habe ich nur, wie du das vorhin gesagt hast, wenn ich keine Angst vor Veränderung habe. Ich muss die Instrumente kennen, wenn ich sie nutzen will. Allerdings gebe ich zu, dass dieser Lernprozess für kleine Handwerksbetriebe schon sehr schwierig ist. Aber dafür gibt es heute Agenturen, die diesen Betrieben helfen können.
Rechnet sich dieser Aufwand?
Das steht völlig außer Frage. Da muss man sich nur das Beispiel der BFFT (Ingolstädter Industrieunternehmen, Fahrzeugtechnik, die Red.) anschauen. Wir haben die Firma binnen fünf Jahre vervierfacht – wir sind von 100 Mitarbeitern auf 850 gewachsen.
Hältst Du es für eine kluge Idee, den Kontakt zu Schulen und Unis zu suchen?
Das ist absolut sinnvoll. Erstens einmal, um zu sehen, was wächst da heran. Für Industrie- und Handwerksbetriebe ist das ganz wichtig. Man kann diese Kontakte über Praktika vertiefen. Das ist Talentmanagement, über das ich vorhin gesprochen habe. Ich interessiere mich für einen Menschen, ich begleite ihn auch während seiner Studien- oder Ausbildungszeit. Man kann auch zur IHK gehen und Partnerschaften schließen. All das spart eine Menge Kosten. Man muss es nur machen.
Zur Person
Tobias OrtnerEr hat 2007 das Start-up “work performance GmbH” gegründet. Seit 2007 ist er Verantwortlicher für Recruiting und das Personal-Marketing der BFFT GmbH in Ingolstadt. Tobias Ortner ging 2016 für neun Monate nach San Francisco, um dort eine Recruiting-Einheit zu gründen und frische Ideen zu sammeln. Er ist Mitbetreiber des Blogs „die grüne 3“. Heute leitet er die Bereiche HR Marketing, Sourcing und Talent Management bei der EDAG Engineering GmbH.