Unternehmerprofil
„Habt keine Angst!“
Unternehmerin Günes Seyfarth über Gründerinnen/Frauen in der Wirtschaft, Klimaschutz und was wir von Kindern lernen können.
Du hast vorhin erklärt, wir müssten uns von der Angst befreien. Aber die Angst wird geschürt und nimmt zu. Wie kommt das?
Leider haben ein paar Entscheider oder Manager auf der Welt herausgefunden, dass sich Produkte mit Angst leichter verkaufen lassen.
Wieso? Wenn ich Angst habe, kaufe ich nichts …
Der Trick geht so: Wenn du das isst, wirst du dick und kriegst keinen Partner – hier, kaufe meinen Shake, mit dem wirst du abnehmen, du wirst glücklich werden. Das wird jetzt überall gemacht, um die Menschen in die gewünschte Richtung zu lenken.
Als Konsument wehre ich mich doch gegen Manipulation.
Das ist aber ganz schön schwer. Ich sehe ein systemisches Problem. Wir laufen alle in einem Hamsterrad. Der einzelne Bürger hat gar keine Chance mehr, alle Informationen zu prüfen. Er weiß nicht, was wahr und was Fake ist. Er ist den Medien ausgeliefert. Unter Medien verstehe ich jetzt auch, wenn die IHK eine Broschüre herausgibt. Oder die Politik.
Du glaubst nicht an den mündigen Verbraucher.
Erstens hat der keine Zeit, die Informationen zu prüfen. Zweitens haben die Menschen fast kein Selbstvertrauen. Die glauben blind an das Mindesthaltbarkeitsdatum und schmeißen die Sachen ungeprüft und ungesehen weg. Sie vertrauen nicht mehr ihrem Geschmacks- und Geruchssinnn, sie misstrauen ihrem eigenen Verstand. Das halte ich für ein Manko unseres Bildungssystems.
Müssen wir uns als Erwachsene wieder selbst entdecken?
Ja, das stimmt total. Wenn wir Kinder haben, sollten wir aufhören, sie zu erziehen. Das hat schon Karl Valentin gesagt: Die machen uns eh‘ alles nach. Wir sollten von ihnen lernen – diese gesunde Naivität, die Unbefangenheit einen anderen etwas zu fragen oder sich etwas zu nehmen. Kinder trauen sich, über Grenzen zu gehen, die man sich selbst steckt.
Für eine Grenzüberschreitung brauche ich Ziele.
Ja. Deshalb sind Vorbilder wichtig. Egal ob das Barack Obama ist oder eine Oprah Winfrey oder, um eine Deutsche zu nennen (überlegt) … wie heißt die nochmal? Atemlos. Achja, die Helene Fischer.
Das hatte ich befürchtet.
Diese Personen können das: Grenzen überschreiten. Wieso soll ich es nicht können? Ich als kleine Günes irgendwo in München.
Es sind Frauen, die heute die Welt verändern. Wie kommt das?
Ach, das ist kein Zufall. Der Nobelpreisträger Muhammad Yunus hat gesagt, dass er 98 Prozent seiner Mikrokredite an Frauen vergibt. Das macht auch ökonomisch Sinn, weil Frauen immer in ihr Umfeld investieren. Frauen denken immer an ihre Community, Männer an sich.
Ist deshalb die Klimaschutz-Bewegung so weiblich? Ja, weil die Klimathemen größer sind als man selbst. Eine Mutter fängt an zu sagen: Ich habe Kinder, die sollen auch mal gut leben. Es wäre schön, Enkel zu haben. Und die Frauen sind mutiger geworden, sie sind sichtbar, zeigen echte Power. Sie sagen jetzt: Stopp! So nicht!
Dafür fangen sie sich unglaubliche Hass-Kommentare ein. Was empfindest Du, wenn Du das liest?
Da sind wir wieder bei der Angst, die Angst seinen Status zu verlieren. Vorher habe ich mich als Vertreter der männlichen Elite nur mit meinesgleichen auseinandergesetzt. Jetzt kommen Leute - also Frauen - daher, die stellen alles infrage. Die kann ich nicht greifen, die verstehe ich nicht, die erreiche ich mit meinen alten Argumenten nicht.
Noch sitzt es sich in der Wagenburg aber noch sehr bequem: Wir sind die Profis, wir haben das Sagen.
Nur wird es da drin ziemlich einsam. Wenn mir heute noch jemand zuhören soll, muss ich anders denken und argumentieren. Ich kann nur allen Männern sagen: Bitte, habt keine Angst! Gemischte Teams sind einfach besser. Lasst uns gemeinsam arbeiten! Wir machen gemeinsam unsere Kinder, also erhalten wir auch gemeinsam unsere Erde. Gemeinsam schaffen wir so viel.
The Change is coming, sagt Greta Thunberg: Empfindest Du das als Drohung oder Hoffnung?
Ja, der Wandel kommt, ob du willst oder nicht. Ich glaube, wir sind schon mittendrin in diesem Wandel. Jetzt wird es Zeit, dass der Staat in seine Bürger investiert. Es geht nicht nur um die Menschen, die 20 oder 30 sind. Wir reden über 50- und 60-Jährige, die Angst davor haben, nicht mehr mitzukommen, weil sich ihre Welt so dramatisch und schnell verändert.
Du meinst, viele Menschen sind überfordert.
Ja, das sehe ich an meinen eigenen Eltern. Die sind eigentlich nicht so alt, aber sie kommen in der digitalen Welt kaum hinterher. Da sind Politik und Unternehmen gefordert. Sie müssen jeden einzelnen Menschen stärken, nicht einschüchtern. Damit müssen wir in der Schule anfangen.
Was könnten Schulen tun?
Selbstvertrauen schaffen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir arbeiten bei Foodsharing viel mit dem Ministerium für Ernährung zusammen. Da gibt es ein von der EU finanziertes Schul-Food-Programm. Obst und Milch für Schulen und Kindergärten. So werden Kinder sozialisiert auf Milch-Geschmack. So sichert man mit Steuergeld die Nachfrage. Viele Hektoliter Milch werden damit jede Woche verbraucht.
Was wäre denn die Alternative?
Stattdessen müssten wir den Bauern sagen: Hey, die Welt verändert sich, die Leute leben veganer, Kanada hat die Milch aus der Ernährungspyramide gestrichen. Macht Euch auf den Weg, stellt Euch auf diesen Trend ein. Von der Politik wünsche ich mir den Mut, mal deutlich zu sagen: In fünf Jahren wollen wir keine Milchseen und Fleischberge mehr sehen.
Du engagierst Dich für so viele Themen. Wie würdest Du Dich selbst beschreiben?
Ich habe eine Multi-Business-Identität (lacht). Ich gehe einfach meiner Nase nach. Ich bin wie ein Trüffelschwein. Ich rieche etwas, und dann mache ich das.
Ich möchte morgen eine bessere Günes als heute sein. Das ist mein Anspruch.
Das Ziel haben auch viele andere Frauen, nur tun sie sich gegen die Boy-Groups schwer. Banken finanzieren lieber Männer.
Ich kann Frauen nur raten: Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen! Es gibt Zahlen, wonach Gründerinnen viel weniger Geld für die Finanzierung fordern als Männer. Das finde ich falsch. Wenn es mit der Finanzierung nicht auf Anhieb klappt, geht noch mal hin. Zehnmal, wenn es sein muss. Aber lasst nicht zu, dass die auf einer sachlich-fachlichen Ebene einen Grund haben, den Kredit abzulehnen. Verbessert eure Zahlen und euren Plan bis ihr finanziert werdet.
Dazu braucht es aber viel Mut.
Warum sollten Frauen weniger selbstbewusst verhandeln als Männer? Sie sollen sagen: Schaut, hier, das ist ein mega-geiler Businessplan, der ist von der IHK geprüft, whatever. Womit habt Ihr eigentlich ein Problem? Dann kommen wir dahinter, was der wirkliche Grund ist.
Werden wir jetzt viele nachhaltig orientierte Start-ups bekommen?
Das denke ich schon. Aber ich habe immer noch das Gefühl, dass sich Deutschland selbst lähmt. Erst waren wir das Land der Dichter und Denker, dann das Land der Ingenieure, heute das Land der Bürokraten. Wenn ich im Ausland bin, spüre ich da eine ganz andere Agilität und Lebendigkeit. Na, gut, dafür gibt es hier weit weniger Korruption.
Auch andere Unternehmer klagen über diese Selbstlähmung. Warum tun wir uns mit Aufbruch so schwer?
Weil wir in der Vergangenheit so erfolgreich waren. Jetzt haben wir die große Angst, Wohlstand zu verlieren. Und wir sind zu bequem. Das lähmt Innovationen. Und wir machen zu wenig aus den Menschen. Millionen Talente bleiben ungenutzt.
Lähmend wirkt das Erstarken der Rechtspopulisten, die auf den Retro-Trend setzen …
Leider, ja. Das verstehe ich auch nicht, wie das passieren konnte.
Auf der anderen Seite steht eine sehr politische Jugend, die auf Veränderungen drängt. Wird das für mehr Bewegung sorgen?
Ganz ehrlich: Ich glaube, dass die Politik die Fridays for Future belächelt. Die Politiker setzen sich mit den Jugendlichen an einen Tisch, man macht Selfies. Aber was die Politik dann als Ergebnis liefert, da kommt einfach nichts raus. Es wird immer noch zu wenig an die Zukunft gedacht.
Zumindest hat es die Jugend geschafft, Klimaschutz ganz oben auf die politische Agenda zu setzen.
Ich habe die Sorge, dass das nicht reicht. Deshalb finde ich es gut, dass es jetzt auch die Entrepreneurs for Future gibt. Ein Problem ist sicher, dass die Politik und beispielsweise die Autoindustrie sich gegenseitig nähren. Ich würde mir wünschen, dass auch Konzerne sagen: Stopp! So geht es nicht weiter.
Was hindert sie?
Ich weiß, dass ein großer Auto-Zulieferer ein wahnsinnig progressives Klimaschutz-Programm entwickelt hat. Es wird nur nicht umgesetzt, weil es den Profit schädigen würde und politisch nicht gefordert wird. So etwas nervt mich, da denke ich: Leute, Ihr könntet besser sein. Deshalb müssen wir Kleinen uns zusammentun. Wir dürfen nicht lockerlassen.
IHK Ratgeber
Zur Person
Günes SeyfarthSie gründete 2010 mit anderen Eltern die Krippe Karl & Liesl e.V. in München, 2012 dann die Online-App Mamikreisel, um gebrauchte Baby- und Kindersachen zu tauschen, verkaufen und verschenken. Seit 2017 berät sie mit ihrem Team von „Die MacGyvers“ Gründer, StartUps und kleinere Unternehmen in allem, was es für mehr Sichtbarkeit braucht. Günes Seyfarth ist zudem Vorständin des Vereins Foodsharing München, der die Verschwendung von Lebensmitteln bekämpfen will.