Startup Gründerin Maria Sievert zu Wirtschaft 2030
„Unfassbare Zustände“
Maria Sievert, Gründerin der inveox GmbH, erklärt, wie sie die Verlässlichkeit von Krebsdiagnosen dramatisch verbessern will.
Es war der Schocker des Abends. Gründerin Maria Sievert berichtete auf dem 6. IHK-Talk „Wirtschaft 2030“, dass man aufgrund einer vertauschten Gewebeprobe einer gesunden Frau die Brüste abgenommen habe. Im Interview mit IHK-Redakteur Martin Armbruster sagt Sievert, wie inveox-Technologie solche Katastrophen verhindern kann.
Frau Sievert, Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml sagt, das Potenzial der Medizintechnik werde unterschrätzt. Hat Sie damit Recht?
Ja, absolut. Ich glaube, dass das Thema Health-Care absolut im Kommen ist. Das gilt auch für die Geschäftsideen der Start-ups.
Was macht Sie da so sicher?
Uns gibt es seit zweieinhalb Jahren. Als wir im Münchner Gründerzentrum anfingen, waren wir das einzige Start-up weit und breit, das sich mit Medizin- und Gesundheitsbranche beschäftigt hat. Inzwischen gibt es da schon einige. Es wurden hierzu Initiativen gestartet. Digital Health ist wohl die bekannteste. Gesundheit wird schon deshalb ein riesengroßes Thema, weil es jeden betrifft.
Erleben wir bei Start-ups einen qualitativen Sprung? Online-Boutiquen und Pizza-Lieferservices - diese Ideen sind doch ziemlich ausgelutscht.
Ich glaube nicht, dass das alles ausgelutscht ist. Gute Ideen gibt es in jeder Branche. Aber es stimmt schon, und das zeigen auch Studien, dass es Gründungswellen gibt. Derzeit läuft mit Gesundheits- und Medizinthemen die dritte oder vierte Welle. Für Start-ups ist das keine leichte Branche. Es geht da um komplexe Probleme und Lösungen.
Warum steigen die Gründer erst jetzt in die Branche ein?
Möglicherweise mussten die Gründer erst so selbstbewusst werden, um sich da ranzutrauen. Auch die Ärzte denken heute anders. Sie sind offener für neue technische Lösungen. Ich kenne Mediziner, die machen heute einen MBA-Abschluss in Data Science. Das hat es bislang nicht gegeben.
Wir erklären Sie einem Passanten auf der Straße, was er von Ihrer Technik hat?
Die Gewissheit, dass er eine richtige, zuverlässige Krebsdiagnose bekommt – und das sehr schnell. Wir unterstützen alle, die an diesem Prozess beteiligt sind: Patient, Arzt, die MTAs (Medizinisch-Technische Assistenten, die Red.) und den Pathologen.
Wie setzen Sie diesen Anspruch technisch um?
Derzeit haben wir im Labor noch sehr unübersichtliche, fast schon chaotische Prozesse. Magen-Darm-Spiegelung, Leberfleck-Entfernung – man kennt das ja auch aus persönlicher Erfahrung. In ein Labor kommen pro Tag Hunderte bis Tausende solcher Proben rein. Die werden noch auf Papier registriert, manuell beschriftet, verpackt und so weiter.
Warum sollten Labore Ihre Technik einkaufen?
Weill der Pathologe eine bessere Diagnostik machen kann. Es kann passieren, das jede sinnvolle Krebstherapie daran scheitert, dass im Labor ein Zettel vertauscht wurde. Das ist vermeidbar mit der Technologie, die wir heute haben.
Wie kamen Sie auf Ihre Geschäftsidee? Sind Sie Medizinerin?
Nein, Wirtschaftsingenieurin. Die Idee habe ich in den USA entwickelt. Ich habe einen Pathologen kennengelernt und den einfach gefragt: Was ist in Deiner Praxis das größte Problem? Er hat mir gesagt, er arbeite mit der Sorge, dass Proben vertauscht werden könnten. Ich habe mir dann sein Labor angesehen und fand die Zustände unglaublich.
Was hat Sie denn so schockiert?
Sie müssen sich vorstellen: Wenn ich heute bei Amazon etwas bestelle, weiß ich immer, wo das Paket hängt. Der Leiter einer BMW-Werkstatt kann Ihnen präzise sagen, welches Ersatzteil vor 8 Jahren in welchem Auto verbaut wurde.
Aber als Krebspatient lebe ich mit dem Risiko, dass meine Gewebeprobe beim McDonald´s vergessen wird. Das ist tatsächlich passiert.
Wie finanzieren Sie sich? Sie gehören wohl zu den Start-ups mit hohem Kapitalbedarf.
Das kommt auf die Perspektive an. Wir haben jedenfalls ganz tolle Investoren gefunden, die wirklich an unserem Unternehmen interessiert sind.
Aber die Banken finanzieren Sie noch nicht?
Für die Banken sind wir noch zu jung. Bevor man über Bankkredite spricht, muss man schon eine stabile Geschäftsentwicklung hinlegen. Diese Phase kommt für uns noch.
Wie sieht denn Ihre Lösung aus? Ist das eine reine Software?
Unser System besteht aus drei Produkten. Eines ist tatsächlich eine Software, die den einsendenden Arzt mit dem Pathologie-Labor verbindet. Da werden die Daten sicher übertragen. Es gibt regelmäßige Status-Updates, jeder weiß, wo die Probe liegt. Wir haben einen neuen Probenbehälter mit Barcode entwickelt. Damit lassen sich die Proben absolut sicher dem richtigen Patienten zuordnen.
So weit verstanden. Was ist die dritte Kompenente?
Wir haben eine Maschine entwickelt, die alle manuellen Labortätigkeiten automatisiert: die Registrierung, das Umpacken und Beschriften der Proben. Zudem erfassen wir alle Bilddaten. Das macht dem Pathologen die Diagnose wesentlich leichter.
Haben Sie schon getestet, ob Ihr System funktioniert?
Ja und das gründlich. Wir sind jetzt in der Phase der Kommerzialisierung. Wir starten mit der Vor-Serienproduktion. Die implemtentieren wir in drei Laboren in Deutschland. Die Software ist schon in acht Laboren im Einsatz.
Hilft das dem Gesundheitssystem, Kosten zu sparen?
Ja, aus zwei Gründen. Es entlastet die medizinisch-technischen Assistenten ganz erheblich – sie haben dann für andere, anspruchsvollere Aufgaben viel mehr Zeit. Natürlich wird das System effizienter, wenn weniger Fehler passieren. Das spart Behandlungskosten. Es gibt keine falschen Diagnosen mehr, was auch die Therapiechancen verbessert.
Das deutsche Gesundheitssystem gilt als extrem reguliert. Glauben Sie, dass Sie diese Hürde nehmen?
Immer dann, wenn die Krankenkassen ins Spiel kommen, wird es wahnsinnig schwierig. Das ist bei uns nicht der Fall. Wir produzieren Labor-Equipment. Die zweite Hürde ist die Zertifizierung. Die greift bei uns auch nicht. Wir fallen unter die Kategorie „Sonstiges Laborprodukt.“
Was wollen Sie mit Ihrem Start-up bis 2030 erreicht haben?
Wir sind bis dahin hoffentlich Marktführer für die Prozess-Automatisierung in Pathologie-Laboren.
Planen Sie die internationale Expansion?
Klar. Wir haben erste Kontakte zu US-Laboren geknüpft. Es gibt auch britische Labore, die uns angeschrieben haben. Wir haben Anfragen aus den Niederlanden und aus Singapur, es läuft gut an.
Fühlen Sie sich vom Datenschutz behindert?
Nein, im Gegenteil. Wir fangen als Start-up quasi auf der grünen Wiese an. Unser System ist absolut datenschutz-konform. Das ist für uns ein Wettbewerbsvorteil. Papier gilt nicht mehr als datensicher. Die Ärzte müssen umsteigen. Die Datenschutz-Grundverordnung hat viele Ängste geschürt. Dabei macht sie ziemlich klar, was geht, und was nicht.