#IHK175: Ideen haben Kraft

"Da entsteht eine Welle"

Madeleine Alizadeh alias Dariadaria beim IHK Talk Nachhaltigkeit beim 175jährigen IHK-Jubiläum
© Goran Gajanin / IHK

Die Bloggerin Madeleine Daria Alizadeh spricht mit IHK-Redakteur Martin Armbruster über den Megatrend Nachhaltigkeit und die Kraft des Vorbilds.

Raus aus der Komfortzone

Ihr Auftritt auf dem IHK-Talk auf der Zugspitze am 29. November war der emotionale Höhepunkt die IHK-Veranstaltungsreihe „Ideen haben Kraft“. Die Wiener Bloggerin Madeleine Daria Alizadeh erklärte, wie wütend sie auf die Gesellschaft ist. Nach ihrem Vortrag stellte sie sich den Fragen von IHK-Redakteur Martin Armbruster.

Sie haben vorhin auf dem Podium über Ihre Wut gesprochen. Was macht Sie denn so wütend?

Wenn wir heute über Nachhaltigkeit sprechen, müssen wir uns auch fragen, wie wir mit ganz großen Gefühlen umgehen. Denn die hat man, wenn man sich den Zustand unserer Welt anschaut.

Was macht Ihnen Sorgen?

Der jüngste IPCC-Bericht zum Klimawandel. Die CO2-Emmissionen sind weltweit wieder gestiegen. Wenn wir so weiter machen, können wir das Zwei-Grad-Ziel vergessen. Ich will nicht, dass die ärmsten Menschen am meisten leiden. Ich will nicht, dass Frauen unter schrecklichen Bedingungen in Sweatshops arbeiten. Ich will nicht, dass 90 Prozent unserer Kinder schlechte Luft einatmen. Ich finde das alles skandalös.

Macht Sie das wütend?

Ja, sicher. Was mich zudem nervt, ist diese Bequemlichkeit. Es wird endlos gejammert, darin sind wir in Wien richtig gut, aber es fehlt die Courage, etwas zu ändern. Ich könnte damit leben, wenn Leute sagen: Mir ist das Klima oder die Umwelt wurscht. Mir geht es nur ums Geld. Aber selbst dafür fehlt die Courage. Das macht mich wahnsinnig.

Wie reagieren Ihre Follower auf Ihre nachhaltigen Themen?

Die Resonanz ist so groß, das hat mich überrascht. Da entsteht eine richtige Welle da draußen, es gibt einen richtigen Hunger nach Information. Wobei ich schon spüre: Positive Botschaften wie die Erholung der Ozon-Schicht werden häufiger geklickt als schlechte Nachrichten, wie der Anstieg der CO2-Emissionen.

Wenn dieses Bewusstsein da ist, warum ändert sich dann so wenig in unserem Alltag?

Wir müssen die Normalverbraucher, die Industrie und die Politik zum Handeln bringen. Wir müssen raus aus der Komfortzone. Da tun sich viele schwer. Zudem erleben wir eine extreme Polarisierung in der Gesellschaft. Gerade die, die Macht und Geld haben, tun so, als ginge sie der Klimwawandel nichts an. Selbst im Europaparlament habe ich gehört: Ihr Jungen müsst das machen. Das ist völlig falsch, alle müssen etwas machen.

Was ist mit der Politik? Die hat heute Abend fast keine Rolle gespielt.

Die Legislative hat hier einiges zu tun, vor allem wenn es um die Industrie geht. Verbote sind dann sinnvoll, wenn es um wichtige, existenzielle Dinge geht. Ich finde es aber genau so wichtig, auf die Mündigkeit der Bürger zu setzen und sie nicht ihrer Verantwortung zu entledigen. Sie sollen selbst entscheiden, was gut oder falsch ist.

Der Mensch ist der Held, nicht die Marke

Über die Rolle der Unternehmen haben Sie heute Abend kaum geredet. Wollten Sie die verschonen?

Unser Bedürfnis nach schneller Mode ist dafür verantwortlich, dass Frauen unter unmenschlichen Bedingungen unsere Hosen und Jacken nähen - und dass Textilfabriken einstürzen und die hinterbliebenen Waisen keine Kompensationszahlungen erhalten. Das habe ich sehr deutlich gesagt. Mir war aber auch die positive Botschaft wichtig. Was möglich ist, wenn der Wille da ist, hat doch das Beispiel Kühlschränke gezeigt. Seit die FCKW-frei sind, erholt sich die Ozonschicht. So etwas müssen wir beim Klimaschutz wiederholen.

Trends ändern sich schnell. Glauben Sie, dass Nachhaltigkeit auf Dauer ein bestimmender Faktor bleibt?

Das Beispiel Patagonia zeigt doch, wohin die Reise geht. Kauf diese neue Jacke nicht, wenn Du Deine alte reparieren kannst – so ein Slogan war früher unvorstellbar, aber das ist die Zukunft. Patagonia hat das Steuergeschenk Trumps abgelehnt. Die Firma hat die 10 Millionen Dollar Steuererleichterung gespendet, während die meisten Unternehmen eincashen würden. Das ist ein starkes Signal.

Warum sollten die Konsumenten bei diesem Kurswechsel mitmachen?

Mehr Geld kann doch heute kein Ziel mehr sein. Das Denken gerade vieler junger Leute hat sich komplett verändert. Der Held ist wieder der Mensch, nicht mehr die Marke. Das Image eines Herstellers wird für den Käufer immer entscheidender. Ich sehe in der Gemeinwohl-Ökonomie eine Alternative zu einem System, in dem es nur um noch mehr Wachstum und noch Profit geht.

Auf Spiegel-Online hat sich eine junge Journalistin bei alten, reichen und weißen Männern für eine zerstörte Welt bedankt. Kann der Feminismus unseren Planeten retten?

Politik und Wirtschaft müssen weiblicher werden. Das ist sicher. Wir haben genug Männer, die alle gleich aussehen und das Gleiche sagen. Unserer Umwelt und unserer Gesellschaft würde es besser gehen, wenn wir in unseren Chef-Etagen weniger Testosteron und mehr Vielfalt hätten.

Die Männer in den Chef-Etagen sagen aber, das Geschlecht spiele keine Rolle. Es komme nur auf die Qualifikation an.

Das ist Quatsch. Frauen kommunizieren anders, sie denken anders, und sie entscheiden anders. Der Dokumentarfilmer Michael Moore hat das an einem schönen Beispiel gezeigt. Die einzige Bank, die in Island keine Probleme mit der Finanzkrise hatte, wurde von einer Frau geführt. Die hatte ganz logische Argumente dafür: Nur Produkte verkaufen, die wir verstehen, nur Risiken eingehen, die wir kalkulieren können.

Sie essen kein Fleisch, sie meiden das Flugzeug: Wie schwer fällt es Ihnen, ein Vorbild zu sein?

Ich kann mich schlecht für Nachhaltigkeit engagieren, wenn ich mich selbst nicht verändere. Diesen Widerspruch hältst du nicht aus. Außerdem ändert sich sonst nichts. Wenn wir alle nur etwas weniger Fleisch essen würden, würde das der Welt mehr helfen als politische Absichtserklärungen.

Glauben Sie an die Kraft des Vorbilds?

Wenn ich meine Möglichkeiten als Influencerin nicht nutze, wer dann? Ich gebe zu, manchmal habe ich keine Lust, mich acht Stunden lang in einen Zug zu setzen. Für solche Fälle habe ich das Bild meines Neffen dabei. Wenn ich an ihn und seine Zukunft denke, wird es leicht, auf Fleisch und Flüge zu verzichten.

Zur Person Madeleine Alizadeh

Madeleine Daria Alizadeh ist die Frau hinter dariadaria.com. Der gleichnamige Blog war einer der meistgelesen im deutschen Sprachraum, heute führt sie den Podcast „a mindful mess“ und ein nachhaltiges Modelabel. Allein ihr Instagram-Account verzeichnet 180.000 Abonnenten.

Madeleine Alizadeh beim IHK Talk "Nachhaltigkeit"

Die Macht des Einzelnen war das Thema von Madeleine Alizadeh beim IHK Talk zum Thema "Nachhaltigkeit" aus Anlass des 175jährigen IHK-Jubiläums.