„Der Wettbewerb wird brutaler“
Das chinesische Start-up Byton will mit vollvernetzten und elektrisch angetriebenen Autos die Märkte aufmischen. Die Präsentation der ersten Byton-Prototypen hat in der Fachwelt Aufsehen erregt. Henrik Wenders, Marketing-Leiter und Mitgründer des Start-ups, stellte auf dem IHK Talk zum Thema „Mobilität der Zukunft“ am 24. Juli in den Räumen des Donaukuriers das Byton-Konzept vor. Vor seinem Auftritt stellte sich Wenders den Fragen von IHK-Redakteur Martin Armbruster.
Wie fühlt sich das an, in einer traditionellen deutschen Autostadt ein ganz neues Auto-Konzept vorzustellen?
Das fühlt sich ganz gut an. Weil dieses Automobilunternehmen, auf das sie anspielen, inzwischen von einem ehemaligen Kollegen geführt wird, von Herbert Diess. Mit ihm haben wir BMWi aufgebaut. Diess war damals Entwicklungsvorstand bei BMW. Bevor ich Byton mitgegründet habe, war ich für Marketing und Vertrieb von BMW i (Elektrofahrzeuge, die Red.) verantwortlich.
Warum halten Sie diese Personalie für so entscheidend?
Weil das ein klares Signal zum Neuanfang ist. Wenn der neue Vorstand des Volkswagenkonzerns die Diesel-Katastrophe nicht so entschlossen als Chance zum kompletten Umbau des ganzen Konzerns nutzen würde – dann würde ich mich heute Abend hier nicht so wohlfühlen. Dann säßen wir hier nicht mehr in einer Boomtown, sondern in einer kommenden Geisterstadt. Ich lebe jetzt in China und sehe jeden Tag, in welchem Tempo China technische Fortschritte macht. Deshalb bin ich wirklich froh, dass strategisches Zukunftsdenken auch hier in Ingolstadt stattfindet. Ich bin weiterhin Deutscher und Europäer. Und so will ich natürlich auch, dass Ingolstadt eine Autostadt bleibt.
Die Fachjournalisten erzählen mir etwas anderes. Sie erwarten, dass Europas Autoindustrie China nur noch hinterherfahren wird. Haben Sie diese Befürchtung nicht?
(holt Luft, überlegt) Sagen wir mal so: Es wird nie mehr so sein wie in den vergangenen Jahrzehnten. Solange es nur den Verbrennungsmotor gab, kämpfte jeder neue Anbieter mit sehr hohen Einstiegsbarrieren. Wir haben den Markt geschützt und fast nach Belieben beherrscht. So. Heute stehen wir vor einer Zeitenwende. Mit der Elektromobilität werden die Karten komplett neu gemischt. Ein Großteil dessen, womit gerade die deutsche Automobilindustrie jahrzehntelang super erfolgreich war, wird heute nicht mehr gebraucht.
Weshalb gehen Experten davon aus, dass China der Gewinner dieser Entwicklung sein könnte?
China hat sich rasend schnell zum bedeutendsten Markt für E-Mobilität entwickelt. Aber das ist nur ein Aspekt eines grundlegenden Strategiewechsels. China hat 30 Jahre lang versucht, ausländische Autobauer zu Joint-Ventures mit chinesischen Staatsunternehmen zu zwingen. Man hatte die Hoffnung, dass so der Wissenstransfer nach China geht. Nach 30 Jahren hat Chinas Regierung eingesehen, wie schlecht das funktioniert. Nun werden die Automärkte in China reguliert und eine komplett eigene Automobilwirtschaft aufgebaut.
Ist dafür der Qualitätsvorsprung der europäischen Hersteller nicht zu groß?
Es ist eben nicht nur das Elektroauto, bei dem China führend sein will. Wenn Sie mal die Gelegenheit haben, besuchen Sie mal eine Peking Motor Show oder die Shanghai Motor Show. Da werden Sie viele Marken kennenlernen, von denen Sie noch nie gehört haben. Dann setzen Sie sich mal in diese Autos rein und erklären Sie mir den Unterschied zu einem Volkswagen oder Mercedes. Man spürt vielleicht noch ein minimales Gefälle (hält Daumen und Zeigefinder einige Zentimeter auseinander). Und morgen wird es so sein (Daumen und Zeigefinger berühren sich fast).
Und das Lohn- und Produktionsniveau ist in China ein völlig anderes. Da muss sich der Standort Deutschland schon die Frage stellen: Bin ich noch wettbewerbsfähig?
Wie steht es um Bayerns Zulieferindustrie? Was sollen die Betriebe jetzt tun?
Die sind gut unterwegs. Sie denken und agieren global. Das gilt für die Großen wie Bosch und auch für die meisten kleinere Betriebe. Allerdings ist sicher: Wer nicht global agiert, wer über keine Kernkompetenz verfügt und jetzt nicht in Forschung und Entwicklung investiert, wird untergehen. Es geht um höchste Qualitätsstandards. Zulieferer und Autohersteller brauchen eine Globalstrategie. Die Frage lautet: Welche Märkte gibt es für uns Europäer außerhalb von China? Der Wettbewerb wird deutlich brutaler, weil sich die Automobilwirtschaft gnadenlos globalisiert.
Ich habe mir heute Ihre Byton-Website angesehen. An Selbstbewusstsein mangelt es Ihnen ja nicht.
Das braucht man auch. Risiken gibt es genug. Es wäre fatal, wenn sie nicht wissen, von was sie sprechen was sie können, und was sie wollen. Ansonsten brauchen sie gar nicht erst versuchen, ein Automobilunternehmen aufzubauen.
Was können und wollen Sie denn?
Ich bringe viel Erfahrung aus der Autoindustrie und Einzelprojekten mit. Das gilt für meine Kollegen genauso. Zweitens bin ich auch naiv genug, um nicht alles zu wissen. Man braucht Selbstbewusstsein, aber auch ein gewisses Maß an Offenheit, weil gewisse Dinge auch schiefgehen können. Man muss auch nicht alles alleine machen. Wir sind unglaublich offen für Partnerschaften. Den elektrischen Antrieb nehmen wir beispielsweise von Bosch. Die haben schon einen derart hohen Standard entwickelt, dass es keinen Sinn machen würde, das selbst zu machen. Die E-Achse entwickeln wir nun gemeinsam – und wird in einem Byton in die Serienproduktion gehen.
Wie eigenständig ist dann ein Byton-Auto überhaupt?
Wir haben überhaupt nicht den Anspruch, alles selbst zu entwickeln. Der Fahrzeugbau ist heute auch eine Integrationsindustrie. Das, was andere besser können, übernehmen wir. Dort, wo unsere Stärken liegen, differenzieren wir uns von den Wettbewerbern. Und das ist bei Byton die Digitalisierung.
Verstehe ich Sie richtig: Sie wollen keine besseren Autos als Audi und Mercedes bauen. Sie wollen ein anderes Auto bauen.
Absolut richtig. Das sehen Sie, wenn Sie die Tür aufmachen und in einen Byton einsteigen. Der Innenraum ist komplett anders gestaltet. Wir haben vorne das sogenannte Shared-Expierence-Display, mit dem Sie alle digitalen Dienste und Services nutzen können.
Das bieten doch andere Hersteller grundsätzlich auch.
Nicht in diesem Umfang. Unsere ganze IT-Infrastruktur ist völlig anders als bei Audi. Es gibt eine Byton-Cloud, Sie haben Ihre persönliche ID. Wenn Sie beispielsweise auf dem Rücksitz eines Bytons einsteigen, den sie bei Uber oder DiDi (chinesischer Ride-Sharing-Konzern, die Red.) angefordert haben, werden Sie mit einer Gesichtserkennungskamera identifiziert. Sie können sofort alle Ihrer Daten auf dem Bildschirm nutzen. Sie brauchen Ihr Smartphone nicht mehr aus der Tasche zu nehmen. Auf Ihrem persönlichen Display ist alles da.
Können andere Autofirmen das nicht leicht kopieren?
Nein, das ist für uns das entscheidende Differenzierungsmerkmal. Das voll vernetzte Auto ist quasi unsere DNA. Das kann ein Audi nicht, weil Audi keinen Direktkundenvertrieb aufbauen kann. Ein Audi-Käufer geht zum Händler, nicht zu Audi. Die wichtigen Kundendaten hat der Händler. Bei uns ist das anders. Wir sind ein Direktvertrieb wie Apple und Tesla. Wir binden unsere Kundendaten ein in unsere Byton-Cloud, die Byton-Kunden jederzeit abrufen können. Und natürlich lassen sich Third-Party-Services ebenfalls einbinden. Das ist eine neue Dimension der Konnektivität. Das gibt es auch bei Tesla in dieser Ausprägung nicht.
Sie setzen offensichtlich auf einen neuen Typ des Autofahrers. Ihre Zielgruppe sind wohl Leute, die zwar Autofahren wollen, aber nebenbei noch viele andere Dinge erledigen wollen.
Ja, das stimmt absolut.
Glauben Sie, dass es für dieses Konzept in Deutschland genügend Käufer gibt?
Wir setzen auf Leute, die innovationsgetrieben sind, die sich für digitale Produkte begeistern. Wir reden von Menschen, die das neueste iPhone haben, für die die Nutzung digitale Services selbstverständlich ist, die Amazons Alexa mit Sprachsteuerung zuhause haben. Ich rede nicht von Menschen, die es gigantisch finden, sich in vier Sekunden von null auf 100 Stundenkilometer zu katapultieren. Das ist nicht unsere Zielgruppe. Auch Langstrecken-Berufspendler, die pro Jahr 80.000 Kilometer auf der Autobahn zurücklegen, fahren besser mit ihrem Diesel – von 2020 bis 2025 wird sich auch das ändern. Denn ab dann werden die Batterien auch solch hohe Reichweiten zulassen.
Sie haben zu Jahresbeginn in Las Vegas für Furore gesorgt mit der Präsentation Ihres SUVs. Wie waren die Reaktionen der Fachwelt?
Wir haben dort unseren ersten fahrfähigen Prototypen präsentiert – weil wir gesagt haben, wir müssen Zeit aufholen. Wir gehen nächstes Jahr schon in Produktion. Für uns war es auch wichtig zu erfahren, wie die Menschen reagieren. Wie fühlt sich das denn an, in einem Byton zu fahren? Wie ist das Innenraumerlebnis? Wichtig war es für uns, das dynamisch fahrend zu erleben.
Wie urteilten die Probefahrer?
Die Resonanz war wirklich weltweit positiv. Natürlich wurden auch kritische Fragen gestellt. Es gab das Bedenken, der große Bildschirm könne den Fahrer zu stark ablenken.
Halten Sie den Einwand für berechtigt?
Das erledigt sich beim Byton-Fahren. Die Inhalte auf dem Display sind ja vom Fahrzustand abhängig. Entertainment bekomme ich nur dann, wenn ich etwa im Stau stehe, nicht beim Stop-and-Go in der City. Man muss das selbst in einem unserer Prototypen erlebt haben: Wie sich das anfühlt, wenn ich meine Navigationskarte auf einem großen Monitor sehe – und nicht länger auf ein Mini-Display klicken muss. Erst mit so einer großen Fläche macht es Sinn, das Internet der Dinge auch im Auto zu realisieren. Der Fahrer kann ortsabhängige Services in vollem Umfang nutzen – er bekommt auf der Karte die Information zugespielt. Sie brauchen dann nur noch zu sagen: Ja, interessiert mich.
Kann ich als bayerischer Konsument die Chance, im kommenden Jahr einen Byton zu kaufen?
Nein, aber Sie können jetzt schon eine Reservierung machen. Wir werden auch die Menschen, die zuerst eine Reservierung gemacht haben, als erste beliefern. Der Kunde, der so früh an uns geglaubt hat, soll natürlich auch belohnt werden. Die Bestell- und Vertragssysteme werden 2019 live geschaltet. Mit der Produktion für den europäischen Markt beginnen wir 2020.
Das heißt, der chinesische Markt hat Vorrang?
Ja, wir beliefern chinesische Kunden zuerst, weil China der größte E-Mobilitätsmarkt der Welt ist. Ende nächsten Jahres werden wir dort die ersten Modelle ausliefern, das wird unser Kernmarkt sein. 50 Prozent wollen wir in China verkaufen, in den USA 30 Prozent, in Europa 20 Prozent. Innerhalb Europas werden Norwegen und die Niederlande ganz vorne sein. In Norwegen wird E-Mobilität staatlich gefördert. Dort sind bereits 40 Prozent des gesamten Automarkts elektrisch. Aber auch Deutschland ist sicher ein Thema.
Würden Sie mich auf eine Testfahrt mitnehmen?
Wenn wir dann die ersten Serienmodelle anbieten, gerne ja. Die ersten Testfahrten machen wir Ende 2019. Wir bauen gerade unser Werk. Wir haben da einen Trial-Shop, mit dem wir Produkt-Qualität und Produktionsverfahren überprüfen. Wir wollen das Beste aus einer einmaligen Chance machen. Wir wollen in dem neuen Werk die modernsten und intelligentesten Prozesse der Welt installieren.
Fürchten Sie deutsche Widrigkeiten wie den Datenschutz?
Nein, überhaupt nicht. Im Mai ist die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft getreten. Wir haben jetzt europaweit einheitliche Regelungen. Ich halte das für einen großen Fortschritt. Wir können jetzt eine IT-Infrastruktur aufbauen, die genau dem entspricht. Im Zeitalter der Digitalisierung halte ich das für hochgradig wichtig.
Ich finde die Auseinandersetzung über Datenschutz sehr gut, wie sie momentan in Europa stattfindet.
Viele unsere Mitgliedsunternehmen beklagen den hohen Datenschutz-Aufwand.
Ich weiß, viele Unternehmen sehen darin eine große Bürde und Herausforderung. Möglicherweise hat man bei der Konzeption der Richtlinie nicht ausreichend genug an die kleinen Firmen gedacht. Aber grundsätzlich bin ich von diesem Ansatz des Schutzes von Verbraucherdaten überzeugt.
Ist der europäische Datenschutz für die Byton-Cloud kein Hindernis?
Nein, wir richten uns danach. Der Kunde muss zustimmen. Er muss damit einverstanden sein mit dem, was wir mit seinen Daten tun. Er muss die Möglichkeit haben, das zu kontrollieren. Er muss darüber informiert werden. Wir müssen dafür Sorge tragen, wo die Daten gespeichert werden. Daten aus Bayern dürfen nicht in China auftauchen, es sei denn, es ist für Sie in Ordnung. Sie müssen jederzeit die Möglichkeit haben, sich dagegen zu entscheiden. Wir bauen unsere IT-Infrastruktur und Datenbanken so auf, dass das all das kein Problem ist.
Ist der nächste Schritt dann das autonome Fahren?
Auch darauf wollen wir vorbereitet sein. Für die nötigen Radarstationen und Sensoren ist das Set definiert. Die Autos, die wir jetzt bauen, lassen sich jederzeit nachrüsten. Die Frage ist, wann es rechtlich möglich ist, selbstfahrende Autos unter realen Bedingungen zu testen. Ich könnte mir vorstellen, dass das von 2020 mit den ersten Pilotfahrzeugen möglich sein wird. China wird wohl als erstes Land solche Testgebiete ausweisen. Die USA werden dann wohl nachziehen. Ich befürchte, dass Europa auch da zu spät kommen wird.
Was raten Sie denn als neuer Mitbewerber den europäischen Traditionsmarken?
Es sind vier Themen, mit dem sich jeder Hersteller auseinandersetzen muss - der E-Antrieb, die Konnektivität, autonomes Fahren und die Shared Mobilität. Diese Trends werden die Automobilwirtschaft prägen. Zu diesen vier Themen muss man eine Antwort oder Lösung haben. Wer das nicht kann, wird große Probleme bekommen.
Wir sich Byton bis 2025 auf dem europäischen Markt als Marke etabliert haben?
Ja, ganz sicher. Der Marktanteil in Prozent vorherzusagen ist schwierig, aber Byton wird bis dahin für jeden deutschen Autofahrer ein fester Begriff sein.
Henrik Wenders, Vizepräsident Marketing von Byton