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IHK Talk "Nachhaltigkeit"

Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Wirtschaft? Welchen Beitrag kann sie beispielsweise zum Erhalt der natürlichen Umgebung leisten? Damit beschäftigte sich der IHK Talk auf dem Gipfel der Zugspitze - gestartet wurde mit einer gemeinsamen Fahrt mit der Zahnradbahn.

Nachhaltigkeit - was bedeutet das? Beim Talk auf dem Gipfel der Zugspitze wurde das Thema von drei Seiten beleuchtet:

  • Die Bloggerin Madeleine Alizadeh (Dariadaria) berichtet, was der Einzelne dafür tun kann, die Umwelt zu schützen.
  • Florian Kohler ist Inhaber und Geschäftsführer von Gmund Papier am Tegernsee. Die traditionelle "Büttenpapierfabrik", hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben.
  • Dr. Tobias Hipp ist Geograph. Sein Forschungsgebiet war der Permafrost, heute ist er beim Deutschen Alpenverein Vertreter des Naturschutzes und beschäftigt sich in dieser Funktion auch mit den Auswirkungen des Klimawandels im Alpenraum.

Meine Rage, meine Wut

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© IHK / Goran Gajanin v.l.: Dr. Tobias Hipp (Deutscher Alpenverein), Florian Kohler (Gmund Papier), Madeleine Alizadeh (dariadaria), Eberhard Sasse (IHK-Präsident); Karen Webb (Moderatorin), Peter Driessen (IHK-Hauptgeschäftsführer, Leonhard Nima (Moderator)

Es gab nur diese eine Fahrt. Wer ‎es am 29. November nicht bis zur ‎Abfahrt der Zahnradbahn um 15:30 ‎Uhr hinauf zur Zugspitze geschafft ‎schaffte, mußte draußen bleiben. ‎Der hatte die 4. Ausgabe der IHK-‎Talkreihe „Ideen haben Kraft“ zum ‎Thema Nachhaltigkeit verpasst. Es ‎wäre schade gewesen. ‎

Die rund 150 Teilnehmern erlebten ‎einen Abend der Superlative. Auf ‎dem höchsten Punkt Deutschlands ‎zeigten die Referenten so viel ‎Emotion wie nie im Rahmen dieser ‎Talkreihe. Erstmals gab es auch ‎eine feministische Ansage auf dem ‎Podium. Tenor des Abends: Wenn wir ‎jetzt nicht handeln, war es das ‎mit der Welt, wie wir sie kannten. ‎

Vermutlich trugen die grandiose ‎Aussicht vom Zugspitzblatt und der ‎Blick auf den sterbenden Gletscher ‎dazu bei. Das kann Augen öffnen. ‎‎„Schluss mit der Heuchelei“, ‎forderte jedenfalls Florian ‎Kohler, Geschäftsführer von Gmund ‎Papier. Über „meine Rage, meine ‎Wut“ berichtete die Bloggerin ‎Madeleine Daria Alizadeh ‎‎(„DariaDaria“). Dr. Tobias Hipp, ‎Geograph und Naturschutzfachmann ‎beim Deutschen Alpenverein (DAV), ‎sagte, der Klimawandel habe Bayern ‎erreicht: „Wir sind live dabei.“‎

Moderator Leonhard Nima brachte ‎ebenfalls Schwung in den Abend. Er ‎wollte wissen, ob sich ‎Nachhaltigkeit für die Firmen ‎rechne. Fast alle Teilnehmer ‎beantworteten das mit Ja, worauf ‎sich nicht nur Nima fragte, ‎weshalb so wenig passiert. ‎

Kohler klagte über Selbstbetrug, ‎über „Greenwashing“ im großen ‎Stil. Das Verbot von Plastiktüten ‎im Supermarkt und ‎Plastikstrohhalmen werde als ‎Durchbruch verkauft, während pro ‎Jahr 350 Millionen Tonnen ‎Kunststoff in den Ozeanen ‎landeten. Bis 2050 wird sich die ‎Plastikschwemme verdreifachen. ‎

Alizadeh kritisierte ‎Bequemlichkeit als Massenleiden. ‎Das menschliche Gehirns sei auf ‎Risikovermeidung programmiert, ‎eine Trägheit, die den Kampf gegen ‎die abstrakte Gefahr Klimawandel ‎erschwere. Was der Frau aus Wien ‎auf die Nerven geht, ist die ewige ‎Jammerei. Schluss damit, forderte ‎sie im Konsens mit dem ‎Papierhersteller Kohler, es sei ‎‎„time for action“. ‎

Die Politik spielte an diesem ‎Abend fast keine Rolle - trotz des ‎Berliner Klimaschutz-Versagens. ‎Der Unternehmer Kohler hat ohnehin ‎nie auf andere gewartet. Er nimmt ‎die Dinge selbst in die Hand. Mit ‎Produkten, die ohne Plastik ‎auskommen, mit rigorosem ‎Umweltschutz. ‎

Gmund Papier hat eine Öko-Bilanz, die sich sehen lässt: 70 Prozent weniger Wasserverbrauch, 82 Prozent weniger Abfall, 75 Prozent des selbst produzierten Stroms sind CO2-frei. Trotzdem sieht sich Kohler noch lange nicht am Ziel. Er sucht nach Verbesserungen in jedem Teil. Diese Konsequenz will der Firmenchef überall in der Gesellschaft sehen.

„Es muss weh tun“, sagte Kohler. Den Grünen warf er vor, zu feige zu sein. Erst ein Benzinpreis von 10 Euro pro Liter würde Veränderung bringen. Jeder einzelne müsse Nein sagen zum eingeschweißten Marmorkuchen in der Lufthansa-Maschine. Es sei absurd, Fair-Trade-Tee mit Plastikverpackung zu kaufen.

DAV-Experte Hipp formulierte nüchtern deprimierende Botschaften. Hipp zitierte auf der Zugspitze aus dem „Emissions Gap Report 2018“ der UN. Nie war die Rettung vor dem Klimawandel so weit weg. Seit 2015 sind die weltweiten CO2-Emissionen wieder gestiegen. Für den Zugspitz-Gletscher kommt die Rettung ohnehin zu spät. Er hat schon heute 80 Prozent seiner Fläche verloren. Die Durchschnittstemperatur in den Alpen steigt schneller als im Flachland. Das Plus liegt bereits bei 1,6 Grad. Das hat dramatische Folgen für den Tourismus. Die Zeiten schneereicher Winter sind für immer vorbei. „Es geht um die Frage, wie ich heute noch mit halbwegs gutem Gewissen Bergsport betreiben kann“, erklärte Hipp. Der Alpenverein suche nach Antworten und erfinde sich neu. „Die Erschließung neuer Skigebiete lehnen wir klar ab“, betonte der Geograph. Man führe derzeit in den Alpen Gespräche mit allen Verantwortlichen. Gebraucht würden neue Konzepte für Tourismus, Skisport, Bergsteigen und Mountainbiken.

Alizadeh ging das Thema Nachhaltigkeit sehr persönlich an. Der Einsturz einer Textilfabrik bei Bangladesch und die Weigerung der Modemarken, den Familien der mehr als 1.100 Todesopfer Entschädigung zu zahlen – das hat ihr Leben verändert. „Ich wollte keine Kleidung mehr, an der Blut klebt“, sagte die Bloggerin.

Die Frau aus Wien wurde Vegetarierin, sie verzichtet auf das Flugzeug, wann immer es geht. Als Influencerin will sie nicht länger nur Profitinteressen dienen. Die Zukunft müsse gerechter und weiblicher werden. „Ich will nicht, dass meine Mutter, meine Tochter, oder meine Schwester in einem Sweatshop in Mumbai arbeiten“, machte der Instagram-Star vor Oberbayerns Unternehmern klar. Alizadeh sieht trotz aller Probleme Hoffnung. Dank des FCKW-Verbots werde sich die Ozonschicht erholen. Diesen Erfolg müsse man beim Klimaschutz wiederholen. Als Bloggerin hat sie ihre Follower für Umwelt- und Klimaschutz begeistert. Ihr alternatives Modelabel kann die Nachfrage kaum noch bedienen. Mit Unternehmen wie Patagonia habe die Zukunft schon begonnen.

Am Tag der IHK-Veranstaltung machte die Meldung Furore: Patagonia weigert sich von der US-Steuerreform zu profitieren. Der kalifornische Outdoor-Ausrüster hätte 10 Millionen US-Dollar einstreichen können, spendet das Geld stattdessen aber Umwelt- und Klimaschutzaktivisten. Patagonia-Chefin Rose Marcario hat dafür ein starkes Argumet: „Unser Heimatplanet braucht das Geld dringender als wir.“ Auch im Marketing schwimmt Patagonia gegen den Strom. Die Firma warnt Konsumenten, („Don’t buy this jacket“), grundlos neue Sachen zu kaufen. Man könne eine kaputte Jacke auch flicken lassen.

Alizadeh hält das für den Beginn eines Trends, der nicht zu stoppen sei. Man könne nur mitmachen oder untergehen. Die Wiener Bloggerin sprach an dieser Stelle ihre Zuhörer direkt an: „Sind Sie bereit für die Veränderung?“. IHK-Präsident Eberhard Sasse nahm den sofort Ball auf. Er erklärte, der Impuls zur Veränderung sei immer von einer kleinen Elite ausgegangen. Die Teilnahme an diesem IHK-Talk auf sei ein Privileg, das zum nachhaltigen Engagement verpflichte. „Jeder einzelne von uns ist nur ein Moskito. Aber gemeinsam werden wir zu einem unaufhaltsamen Moskito-Schwarm“, meinte der IHK-Präsident.