IHK Interview

Karin Elsperger „Ich liebe das noch immer“

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Agentur-Chefin und IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger über Mode-Leidenschaft, Krisen, Instagram und das, was die Politik für Selbstständige tun könnte.

Das erste, was überrascht, wenn man an diesem warmen Juli-Tag an der der Karl-Weinmair-Straße aus der S-Bahn steigt, sind diese großartigen Schrebergärten. So viel Grün hatten wir hier nicht erwartet. Die Anlage lädt förmlich ein zum Spazierengehen. Ein Restaurant gibt es da auch. Das Schnitzel mit Fritten für 9,80 Euro. Wahnsinn, dass es so etwas in München noch gibt.

Wir sind auf dem Weg zur „Agentur für Textilien, Schuhe und Accessoires“ von Karin Elsperger. Laut LinkedIn ist Elsperger seit gut 24 Jahren in der Modebranche als Selbstständige aktiv. Die Unternehmerin engagiert sich stark im Ehrenamt der IHK. Elsperger ist Mitglied der Vollversammlung, des Präsidiums, des Aussschusses Unternehmerinnen und des Regionalausschusses Landeshauptstadt München.

Wir lassen die Schrebergärten rechts liegen und biegen in die Karl-Weinmair-Straße ein. Die nächste Überraschung. Die Straße entpuppt sich als Münchner Mode-Boulevard – mit zwei Fashion Malls, dem Sturm Plaza und vielen kleinen Mode-Agenturen.

Auch das Gebäude, in dem Elsperger mit ihrer Agentur sitzt, ist mit Modefirmen gespickt. An Wänden und Türen prangen die Logos italienischer und auch großer Mode-Labels. Schießlich haben wir pünktlich den Showroom der Agentur Elsperger erreicht.

Die Chefin wartet schon, sie nimmt sich Zeit. Was auffällt, ist, wie stilsicher sie sich kleidet. Elsperger hebt sich ab vom Einheitsgrau der Business-Welt mit dezenten Farben, die nicht knallen, die für das Auge angenehm wirken.

(Natürlich gibt es für den Journalisten einen Cappuccino. So freundlich aufgenommen, entschließen wir uns für einen sanften Einstieg. Tasten wir uns mit Warm-up-Fragen an das Thema ran.)

Frau Elsperger, bitte klären Sie uns auf: Was tragen die Frauen in diesen Sommer so?

Nach der Pandemie war in diesem Sommer natürlich Farbe angesagt, also richtig Farbe. Tolle bunte Kleider und Hosen, dazu die passenden Taschen und Schuhe. Farbe war der Wahnsinn: Grün, Gelb, Pink. Ich bin immer ein Freund von Farbe, es hängt schön im Laden, es sieht besser aus, dir geht das Herz auf, wenn du es nur siehst.

Warum dann nicht immer Farbe?

Es gibt ein Grundgesetz des Handels. Wenn es schlecht läuft, und die Stimmung schlecht ist, wenn wenig Geld ausgegeben wird, weil alles teuerer wird, dann ist Opulenz mehr gefragt. Diese Opulenz schafft man mit Farbdrucken. Wenn alles wieder besser ist, kommen wieder mehr Naturtöne.

München war schon immer mehr von Italien geprägt.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Ziehen sich Münchnerinnen besser an als die Kölnerinnen?

Ja, München war schon immer hochwertiger, mehr von Italien geprägt. In München können wir andere Preislagen verkaufen, die ganze Stadt ist modischer, in Nordrhein-Westfalen schaut man schon weit stärker auf den Preis.

(Karin Elsperger hat uns einen Teller mit kleinen feinen Sachen zum Essen hingestellt. Auch das absolut stilsicher. Mini-Croissants und belegte Oliven-Walnuss-Baguetttes, die mehr als appetitlich aussehen)

Wer sind denn Ihre Kunden?

Das sind vor allem inhabergeführte Läden, die vorwiegend in Süddeutschland sitzen. Wir haben in München auch das Kaufhaus Beck und den Hirmer als Kunden, wir haben ein paar Onliner, das ist ein guter Mix. Wir arbeiten nicht mit Amazon und Zalando.

(das Mini-Croissant mit der Schoko-Füllung schmeckt besser als ohnehin befürchtet. Wir haben Amazon und Zalando auf dem Zettel aufgeschrieben, da fragen wir nach)

Wie pflegen Sie Ihre Kundenkontakte? Liefern Sie nur die Ware oder tauschen Sie sich regelmäßig aus?

Wir beraten auch sehr viel. Wir erklären unseren Kunden die Fragen, die heute wichtig sind: Wo wird es produziert? Welche Materialien werden verwendet? Wie sind die Produktionsbedingungen? Natürlich tauschen wir uns auch darüber aus, was gut gelaufen ist, und was nicht so gut verkauft wird. Darauf kommt es eben an. Nur wenn der Abverkauf gut ist, funktioniert das System. Dann sind alle happy. Die Hersteller, wir und die Fachläden.

Was unterscheidet Ihr Sortiment von anderen Anbietern?

Wir haben kein „Made in China“. Alles kommt aus Europa. Nachhaltigkeit ist auch für uns ein Riesenthema. Wir haben das „Made in Italy“ und für die Beschaffung kurze Wege. Im Notfall holt man sich die Kollektion eben selbst in Italien. Wir haben besondere Label, die für das Geld einen sehr guten Mehrwert bieten. Und wir haben keine Sachen, die Sie bei Amazon und Zalando finden.

(Schon wieder: Amazon und Zalando. Wir schreiben Nachhaltigkeit auf den Zettel. Und: Qual der Wahl – nehme ich jetzt das Schnittchen mit dem Schinken oder doch lieber mit Camembert?)

Meine Sachen sprechen selbstbewusste Frauen an.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Welche Frauen tragen dann Ihre Sachen?

Es kommt ein bisserl auf das Label darauf an. Teenies sicher nur im Ausnahmefall, weil die in einer ganz anderen Preislage unterwegs sind. Meine Sachen sprechen gestandende Frauen an, die selbstbewusst sind, einen guten Job haben und selbst wissen, was sie wollen – und die ein gutes Teil für den Urlaub oder für ihr Business suchen.

Und die sich das leisten können.

Ja, sicher sind wir in der mittleren bis höheren Preislage unterwegs. Aber generell ist auch die Kunden-Frequenz weniger geworden. Also muss der Verkaufsbon höher sein, damit der Umsatz stimmt, damit sich das überhaupt rechnet.

Sie haben auch Schuhe in Ihrem Sortiment.

Ja, das ist tatsächlich mein Hauptgeschäft, auch wenn es nicht so ausschaut. Schuhe machen 60 Prozent meines Umsatzes aus. Auch da haben wir italienische Produkte, wir verkaufen viel nach Österreich und in die Schweiz. Ich zeige Ihnen jetzt mal was …

(Während die Agentur-Chefin Muster-Exemplare aus dem Regal holt, stellt sich Ihr Lebenspartner vor und sagt, dass er unser Interview mit Ortvox-Chef Schneidermeier wirklich gut fand. Sehr nett. Karin Elsperger legt drei Frauenschuhe auf den Tisch, die für einen Wow-Effekt sorgen. Wildes Hellgrün, warmes Orange, sieht definitiv sehr, sehr cool aus, wir suchen nach passenden Worten)

Stark. Die sehen wirklich gut aus.

Ja, das sind tolle Farben. Das sind schon die Modelle für 2023. Man sieht: Die werden femininer, die Absätze höher. Dann haben wir den sportlichen Trend. Wir kommen aus diesem Mokassin-Bereich, feines Leder, gute Sohle. Wenn du ein g‘scheites Kleid hast, kaufst du halt den farblich passenden Schuh dazu, wenn das Preis-Leistungsverhältnis stimmt.

(Gut, kommen wir zum harten Teil. Die Schinken-Camembert-Frage ist geklärt, wir nehmen beides)

Wir hatten einen Mega-Einbruch.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Spüren Sie die Folgen des Ukrainekriegs?

Ja. Extrem. Januar und Februar liefen so gut, das war der Hammer, wir konnten das fast nicht glauben. Wir haben Ware nachbestellt, wir haben über Zwischenkollektionen nachgedacht, ich dachte: Gott sei dank, wir holen wieder ein bisschen was auf. Dann kam der Krieg, es gab kaltes Wetter. Wir hatten einen Mega-Einbruch. Jetzt läuft der Abverkauf etwas besser.

Wann hatten Sie zuletzt den Gedanken: Ich schmeiß alles hin?

Nie. Ich lerne schnell und bin vielseitig einsetzbar. Ich würde wahrscheinlich einen anderen Job finden, aber Mode – das war schon immer mein Ding. Ich habe auch Betriebstextilwirtschaft studiert in Nagold. Ich liebe das noch immer. Die Kunden, die noch übrig geblieben sind, machen das alles mit Leidenschaft. Das sind alles Power-Frauen. Mit denen zu arbeiten, das macht richtig Spaß.

(„Wollen’s noch einen Kaffee? Frau Elsperger beweist im richtigen Moment Empathie. Wir fragen trotzdem nach der Krise.)

Für mich war es wie eine Schockstarre.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Wie haben Sie die Coronakrise erlebt?

Brutal. Für mich war es wie eine Schockstarre.

Hatten Sie denn nicht mit einem Lockdown gerechnet?‘

Ich hatte mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass man Geschäfte schließt. Von heute auf morgen wurde nichts mehr geliefert, es ist überhaupt kein Geld mehr reingekommen. Kunden, die ich gut kenne, saßen weinend vor mir. Das sind lauter gestandene Frauen. Das war wirklich eine schwere Zeit.

Fühlten Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Ja, komplett. Uns Kleine hat es am meisten erwischt. Man hatte den Eindruck, dass die denken: Modebranche war ja schon immer unwichtig. Kauft doch eh keiner. Ich hatte das spezielle Problem, dass ich drei Lieferanten auf einen Schlag verloren habe. Den Umsatz hatte ich fest eingeplant. Zum ersten Mal war ich an einem Punkt, wo alles auf der Kippe stand. Mir war klar: Entweder es kommt jetzt Geld rein, oder ich bin weg.

(Ich nehme doch noch eines von diesen Mini-Croissants, vorher aber noch eine Schlüsselfage)

Ich empfand da vieles als Willkür und absurd.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Fanden Sie die Corona-Maßnahmen für richtig?

Ich habe ein starkes Gerechtigkeitsgefühl, daher empfand ich da vieles als Willkür und absurd. Denken Sie nur an die Debatte um die Masken. Die schützen schnell und einfach. Nur gab es die in Bayern wochenlang nicht. Aber die kleinen Läden machten sie zu.

Die Staatsregierung begründete das mit Infektionsrisiken.

Da muss man nur schauen, wo diese Risiken liegen. Sie haben die Buchläden und Spielzeuggeschäfte zugemacht – und beim Drogeriemarkt Müller daneben war die Bude voll. Das versteht niemand. Selbst wenn in einem größeren Geschäft viel los ist, dann verteilt sich das auf die Stockwerke, man kann sich aus dem Weg gehen. Beim Aldi standen sich die Leute an der Kasse fast auf den Füßen rum.

(Der wunde Punkt Ungerechtigkeit. Karin Elsperger ist jetzt on fire)

Was Einzelhändler verärgert: Supermärkte bauen ihr Sortiment immer weiter aus.

Ja, ich bin da fast ausgerastet. Ich fand es unfassbar, wie die Supermärkte aufgerüstet haben. Die haben Klamotten aus Billiglohnländern verkauft – zu Dumpingpreisen, die mit fairen Produktionsbedingungen sicher nicht möglich sind. Die Supermärkte haben damit dickes Geld verdient, weil die Läden dicht waren. Ich war so sauer! Ich hätte die vielen Regale mit dem Billig-Schrott am liebsten umgehauen.

Sogar bei den Blumen war das so.

Stimmt. Der Rewe in Unterföhring, da wo ich wohne, hatte schlagartig die Hälfte seines Eingangbereichs voller Blumen. Unser Blumenladen hat inzwischen aufgegeben. Den gibt es nicht mehr.

(Der Lebenspartner von Karin Elsperger gesellt sich kurz dazu und bemerkt, dass man die Kleinen auch bei den Staatshilfen klar benachteiligt habe. Für seine Branche besonders bitter: die knapp 500 Millionen Euro des Bundes für Karstadt/Kaufhof. Dann fährt die Agentur-Chefin fort)

Wir Selbstständige haben als Letzte und am wenigsten von den Corona-Hilfen profitiert. Und wenn ich mir dann die Autokonzerne ansehe! Die hatten jahrelang Milliardengewinne eingefahren, beantragen Kurzarbeit, die wir alle bezahlen, und schütten dann noch Dividende aus. Das ist schon dreist. Wenn wir mal ein paar Tausend Euro Gewinn machen, werden sofort 50 Prozent an das Finanzamt abgeführt.

Ich habe ganz neu angefangen.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Wie hat Ihre Agentur die Krise überlebt?

Nach der Schockstarre kam der Aktivismus. Ich habe alles auf den Prüfstand gestellt - Kosten, Dienstleister, die Kunden, mit denen ich zusammenarbeite. Ich habe ganz neu angefangen.

Wie haben Sie Ihren Kundenstamm verändert?

Am Ende muss ich sehen, dass meine Kunden die Rechnung auch bezahlen können. Erst dann bekomme ich meine Provision. Ich arbeite daher nur noch mit Kunden, die mit uns den digitalen Weg weitergehen, die einen gewissen Umsatz machen und Stammkundschaft haben. Vor Corona gab es immer noch einige Händler die sagten: „Eine Website brauche ich nicht“. Aber das hat sich durch Corona komplett verändert. Es gibt noch einzelne Digital-Verweigerer, aber die werden hintenrunter fallen.

Sie haben das Gegenteil gemacht. Sie haben Ihre Agentur in der digitalen Welt quasi neu erfunden.

Ja, ich wollte einfach irgendetwas machen, nicht nur zuschauen, wie das Geschäft einbricht.

Wie kamen Sie auf die Idee, Instagram zu nutzen?

Ich hatte ein paar Kunden, die mit Instagram schon Erfolg hatten, die wussten, wie das funktioniert. Ich wollte das auch einfach mal ausprobieren mit den Kunden, die bereit waren, mitzumachen. Das lief vom Start weg gut, das hat mir Auftrieb gegeben. Ich hatte wieder das Gefühl, ich bin doch nicht so verkehrt auf der Welt. Heute ist Instagram mein Hauptkanal.

Sie haben auch Pop-up-Stores aufgemacht.

Ja, ich hatte das große Glück den Laden meiner Freundin an der Einsteinstraße zu einem guten Preis mieten zu können. Da war vorher ein Fotogeschäft drin, das stand leer. Wir haben alles weiß gestrichen, coole Regale und ein paar Möbel reingestellt. Dann sah das toll aus. Die Lage war gut, im Umfeld gab es zum Glück keine Bekleidungsgeschäfte, nur einen Blumenladen, ein paar Gastrobetriebe, einen Kindergarten.

Das Wichtigste war, dass Geld reinkam.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Hatten Sie noch andere Standorte?

Ich war mit dem meinem Store dreimal in der Einsteinstraße für jeweils vier bis sechs Wochen. Und einmal war ich in der Reichenbachsraße in einem Atelier von zwei jungen Frauen, die sehr nachhaltig arbeiten. Die hatten vor ihrem Atelier einen kleinen fertigen Laden. Da musste ich gar nichts machen. Einfach die Ständer mit meiner Bekleidung aufstellen. Fertig.

Haben Sie auf Instagram für Ihre Pop-up-Stores geworben?

Ja, das ergab eine gute Synergie. Ich hatte ein paar Lieferanten, die sehr viel Ware am Lager hatten, weil der Handel wegen der Ladenschließungen fast nichts mehr abgenommen hatte. Ich bekam die Ware günstiger als in normalen Zeiten. Wenn man so eine gute Spanne hat, bleibt auch was hängen. Das Wichtigste war, dass Geld reinkam, um die Fixkosten zu decken. Wenn nichts los war, habe ich YouTube-Videos angeschaut. Ich habe gelernt, wie ich Instagram noch besser nutzen kann.

Hat sich das Engagement auf Instagram gelohnt?

Auf alle Fälle. Ich bekam sehr viel gutes Feedback von den Kunden. Die meinten ja, super, toll, wir kommen vorbei. Dann kamen auch Einzelhändler, die mich besuchten um zu sehen, was ich so mache. Und Kunden, die sagten, sie wollten die Kollektion eines bestimmten Herstellers schon immer mal sehen. Da hieß es: Ich bestell das dann auch gleich bei Ihnen. Der Umsatzverlust in der Pandemie war gigantisch. Aber so konnte ich diese Phase überstehen.

(Jetzt kommen die Fragen auf meinem Zettel)

Warum arbeiten Sie nicht mit Amazon und Zalando?

Ich habe schon viel mit Amazon gearbeitet – aber was die an Kundendaten haben, das ist unfassbar. Wenn du mit Amazon arbeitest, bestimmt Amazon alle Regeln und vor allem die Preise. Amazon macht einfach zu viel kaputt. Wir wollen den stationären Einzelhandel unterstützen.

Amazon sorgt dafür, dass alle gleich ausschauen.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Meinen Sie die leerstehenden Läden in den Innenstädten?

Das auch. Amazon sorgt dafür, dass alle gleich ausschauen. Amazon kauft nur die Labels, die man kennt. Der Algorithmus listet nach Suchanfragen als erstes die Waren auf, die ohnehin am besten laufen. Am Ende steht der Einheitslook.

Was stört Sie an Zalando?

Sie können über Zalando ein Label bekannt machen und super verkaufen. Wenn das gut läuft, kommt irgendwann der Punkt, bei dem Zalando dann direkt mit dem Hersteller zusammenarbeitet. Dann gibt es eine Shop-in-Shop-Lösung, und man ist raus.

Markiert Corona den endgültigen Sieg des Online-Handels?

Es gibt auch den gegenläufigen Trend. Die Leute gehen nach der Pandemie wieder mehr zurück in die Geschäfte – weil sie da einen guten Berater haben. Der stellt mir in einer halben Stunde ein Paket zusammen, das mir auch gefällt, das ich nicht zurückschicken muss. Und der Einkauf verschafft das gute Gefühl, einen Familienbetrieb zu unterstützen.

Sind das nicht schöne Einzelfälle?

Nein, es gibt zum Glück eine Menge Verbraucher, die so denken. Da verstehe ich auch die Leute nicht. Im Fachhandel kostet die Handtasche vielleicht 20 oder 30 Euro mehr, aber die Händlerin bestellt dann nach, wenn sie noch etwas brauchen oder lässt die Handtasche reparieren.

(Ihr Lebenspartner berichtet kurz über Fachgeschäfte für Männer-Mode. Die hätten Whisky- und Coffeebars eingerichtet, um den Kunden beim Anzugkauf ein echtes Erlebnis zu bieten)

Wie wichtig ist der Aspekt Nachhaltigkeit in Ihrer Branche?

Das ist schon ein großes Thema, die Händler fragen mmer häufiger danach. Wobei, wenn man ehrlich ist, da wird viel Greenwashing betrieben. Ich denke da an die letzte Messe in Berlin, da stand wirkich an jedem zweiten Stand „Ich war eine Plastikflasche“.

Die ewige Unsicherheit ist das Schlimmste.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Was ist dann wirklich nachhaltig?

Wenn man die Produktonskette gut nachvollziehen kann. Für uns ein erster Schritt ist Made in Italy. Kurze Wege, Familienbetriebe, kurze Lieferketten.

Was könnte die Politik tun, um Ihnen das Geschäft zu erleichtern?

Für unsere Branche wäre wichtig zu wissen, welche Corona-Maßnahmen auf uns zukommen. Die ewige Unsicherheit ist das Schlimmste.

Glauben Sie nicht an die Zusage, es gebe keinen Lockdown mehr?

Ich glaube gar nichts mehr. Ich fand auch die Nacht der Bayerischen Wirtschaft in Berlin (Veranstaltung der bayerischen IHKs mit bayerischen MdBs, die Red.) so ernüchternd.

Ich hatte Absagen ohne Ende.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Was hat Sie da frustriert?

Ich habe an diesem Abend mit Abgeordneten der Regierungsparteien gesprochen. Ich habe sie gefragt, ob sie weitere Hilfen oder Steuererleichterungen für Soloselbstständige planen. Viele von uns haben nämlich ein Problem. Die haben in der Corona-Zeit ihre Rücklagen für die Altervorsorge aufgebraucht. Mehrere Hunderttausend Euro. Das erwirtschaftest du mit deinem Geschäft nie mehr – außer du machst ein Start-up auf mit einer Mega-Idee.

Und? Kamen da Vorschläge?

Die haben das teilweise überhaupt nicht verstanden. Wir kleinen Betriebe kommen in der Politik leider nicht vor. Meine zweite Frage war: Welche Corona-Maßnahmen sind geplant? Zu dem Zeitpunkt hatte ich gerade ein Zwischenprogramm für kurzfristige Lieferung für den Winter 2022 verkauft. Die Händler sagten mir: „Super schöne Sachen. Aber ich bin vosichtig und man weiß nicht, was in Sachen Corona noch alles kommt.“

Konnten Ihnen die bayerischen Bundestagsabgeordneten diese Befürchtung nehmen?

Sie sagten mir: Wir glauben, dass es keinen Lockdown gibt. Sie glauben. Als Selbstständige muss ich es wissen. Das mit dem Christkindlmarkt in München hätte ich auch nicht geglaubt. Alles aufgebaut und dann wird abgesagt.

In Ihrer Rolle als IHK-Vizepräsidentin konnten Sie in Berlin solche Fragen stellen. Macht Ihnen das Ehrenamt auch Freude?

Mir macht das Ehrenamt super viel Spaß. Das hätte ich nie gedacht. Dass ich überhaupt in die IHK-Vollversammlung gewählt werde, hat mich genauso überrascht. Ich dachte: Mich kennt doch keiner. Aber dann haben mich viele Kunden gewählt und mir das auch erzählt. Das hat mich wahnsinnig gefreut. 2021 wurde ich wiedergewählt und bin sogar ins Präsidium hineingerutscht.

Sie sind die einzige Soloselbstständige im Präsidium.

Dass ich da mitwirken darf, freut mich sehr. Ich kämpfe da sehr für uns Soloselbstständige. Ich finde den Austausch und auch das Netzwerken sehr spannend – gerade im IHK-Ausschuss Unternehmerinnen. Das sind alles Frauen, die etwas bewegen. Die machen alle coole Sachen, man kann voneinander lernen. Social Media ist für uns jetzt ein Riesenthema, da bin ich für jede Anregung dankbar.

Eine finanzielle Hilfe täte uns natürlich gut.

IHK-Vizepräsidentin Karin Elsperger

Was sind die größten Probleme der Soloselbstständigen?

Die meisten von uns haben in der Corona-Zeit brutal viel Geld verloren. Eine finanzielle Hilfe, ein Freibetrag oder eine Steuererleichertung, täte uns natürlich gut. Politisch ist das kaum durchsetzbar, weil das Geld für was anderes verwendet wird.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wollte einen „Small Business Act“ erlassen – weniger Bürokratie und Steuern für Kleinbetriebe. Was ist daraus geworden?

Ich spüre nichts davon. Sie können von uns Soloselbstständigen fragen, wen Sie wollen – alle klagen über das Gleiche. Du kannst dich wegen der ganzen Bürokratie fast nicht mehr um das Hauptgeschäft kümmern, weil es so viele Nebenschauplätze gibt. Man hat immer Hinterkopf: Oh Gott, das muss ich noch erledigen, um das muss ich mich noch kümmern. Du machst dann alles, aber nichts hundertprozentig. Dann bist du juristisch wieder angreifbar. Das ist das, was mich wahnsinnig macht.

Was würde Ihnen gegen die Bürokratie helfen?

Jemand, der mir jede Neuerung in einer einfachen Sprache erklärt, und klar sagt, was ich tun muss. Ich wünsche mir eine To-Do-Liste mit Punkten, die ich abarbeiten kann - und das gerade, wenn es um schwierige Themen wie Datenschutz-Grundverordnung oder Telekommunikationsgesetz geht. Ich kann mir keine Consultants leisten. Ich sitze oft in der IHK, höre mir einen Vortrag an und denke mir: „Oh Gott, das habe ich ja gar nicht beachtet“. Mich sprechen oft Kollegen an, die sagen: „Du bist doch jetzt bei der IHK, kannst Du nicht rausfinden, wie das geht?“

Ihre Agentur hat den Lockdown überlebt. Wo stehen Sie mit Ihrem Geschäft heute?

Ich habe in der Corona-Zeit brutal Geschäft verloren, aber die Krise hatte auch eine gute Seite. Ich kann jetzt mit Instagram einen viel größeren Kreis von Menschen erreichen. Ich habe die Schuhkollektion digitalisiert. Die Besonderheiten einer Kollektion kann ich heute mit kurzen YouTube-Videos viel besser zeigen als mit dem gängigen Lookbook und seinen vielen Fotos. Ich kann heute das, was ich immer können wollte: Kunden für eine neue Kollektion mit einem Video oder REEL Lookbook begeistern. Nur einen neuen Steuerberater suche ich noch.

Das Interview führte Martin Armbruster.