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Engagiert – Plenum im IHK-Stammhaus

Engagiert – Plenum im IHK-Stammhaus

© IHK

Von Euphorie keine Spur

Die Vollversammlung diskutiert in der Generaldebatte über die Berliner Koalitionsgespräche und Finanzpakete. Unternehmer warnen deutlich: Ohne Reformkurs verpufft das Geld.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 05-06/2025

Wie viel Vertrauen die Politik in der oberbayerischen Wirtschaft zerstört hat – das konnte man live erleben auf der Sitzung der IHK-Vollversammlung Ende März. Die angesetzte Generaldebatte „Nach der Wahl – unternehmerische Einschätzungen und Auswirkungen“ hatte ohnehin Spannung versprochen.

Und dann ereignete sich einen Tag vor der Sitzung in Berlin Historisches: Grundgesetzänderung, Lockerung der Schuldenbremse, neues Sondervermögen, insgesamt laut Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld womöglich 1,8 Billionen Euro auf Pump für Bundeswehr und Infrastruktur. Noch nie hatte eine Bundesregierung so viel Geld.

Fokussierte Investitionen

Von Aufbruchstimmung war trotzdem nichts zu spüren im Börsensaal der IHK. Präsident Klaus Josef Lutz sprach von „Sonderschulden“. Und Plenumsmitglied Sven Keussen stellte die Frage: Würde ein Unternehmer so vorgehen?

Keussen forderte „fokussierte Investitionen“, die Wachstum schaffen und somit das Land voranbringen. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hält das für schwierig. Nach 20 Jahren Reformstau sei Deutschlands Volkswirtschaft nicht mehr fähig, die frischen Milliarden „produktiv aufzunehmen“. In Oberbayerns Wirtschaft herrscht zudem die Sorge, in den Koalitionsgesprächen könnte sich die von Friedrich Merz (CDU) versprochene Reformagenda in nichts auflösen.

Dringender denn je – Reformen

Lutz kündigte daher an, er werde die Vorschläge und Forderungen aus dem Plenum nach Berlin mitnehmen zur DIHK-Vollversammlung, in der alle 79 deutschen IHKs eine Stimme haben. Gemeinsam mit DIHK-Präsident Peter Adrian und DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov werde man Reformen einfordern, die Wachstum und Wohlstand schaffen.

Nach Ansicht von Plenumsmitglied Eva Vesterling ist das dringend nötig. Irgendjemand werde irgendwann für die neuen Schulden bezahlen müssen. Dafür brauche es einen „Wachstumsplan für Deutschland“ und „Strukturreformen“, an die sich bislang keine Regierung gewagt habe.

Sich nicht selbst lähmen!

Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl warnte, die Milliardensummen würden verpuffen, solange sich das Land mit ausufernder Bürokratie selbst lähme.

Die Beispiele sind bekannt. Am Beschaffungsamt der Bundeswehr sind Unternehmen schon verzweifelt. Frankreich kommt mit einer Datenschutzbehörde aus (CNIL), Deutschland hat dafür 17 Landesbeauftragte – Bayern sogar zwei. Laut „Handelsblatt“ hat die EU in den jüngsten 5 Jahren sagenhafte 13.000 neue Gesetze erlassen. Es sei leider „typisch deutsch“, so Gößl, noch eine nationale Zusatzregelung draufzusatteln und das Vorschriftenpaket buchstabengetreu umzusetzen.

Vorbild Schweden

IHK-Bereichsleiterin Elke Christian vertiefte das Thema mit ihrem Bericht über eine IHK-Delegationsreise ins gelobte Land des Bürokratieabbaus: Schweden. Christian zitierte eine ifo-Studie, wonach man Deutschlands Wirtschaft jedes Jahr um 146 Milliarden Euro entlaste, wenn man die Bürokratie auf schwedisches Niveau drücken würde.

Was Schweden macht, ist keine Zauberei: Pragmatische Regelorientierung, mehr E-Government, eine von der Software generierte Steuererklärung, die man nur mit Mausklick bestätigen muss – das hätten auch wir Deutsche gern. Für entscheidend hält Christian das andere Denken („Mindset“) von Staat und Verwaltung in dem skandinavischen Land ( siehe Artikel „Ein gutes Vorbild“).

Mindestlohn als Bremse

Lutz betonte, Schweden zeige, dass es gehe, wenn man wolle, selbst als EU-Mitglied. Ob man in Berlin diesen Willen hat, daran äußerte das Plenum Zweifel. Keussen kritisierte die Fixierung auf den Verbraucherschutz. Das koste zu viel Geld und vergifte die Stimmung: „Man erweckt den Eindruck, die Bürger müssten vor uns Unternehmern geschützt werden.“

Sonja Ziegltrum sagte, ein Mindestlohn von 15 Euro würde ihre Branche extrem treffen. Wenn Ungelernte schon 15 Euro bekämen, müsste sie auch Fachkräften mehr bezahlen, um sie zu motivieren. Die höheren Lohnkosten könne sie aber nicht auf die Preise umlegen. Ziegltrum: „Dann muss ich Jobs abbauen.“

Lust auf mehr Arbeit fördern

Es tue seiner Branche, dem Einzelhandel, gut, wenn mehr investiert werde, erklärte Ernst Läuger. Einen höheren Mindestlohn sah aber auch er kritisch. Ein Großteil der 3 Millionen Mitarbeitenden des Einzelhandels sei in Teilzeit oder als Minijobber beschäftigt. Zudem sei es im Einzelhandel üblich, ein niedriges Fixgehalt mit Verkaufsprovisionen aufzustocken.

Vladimir Lasic sagte, ein höherer gesetzlicher Mindestlohn wirke schädlich, weil er nicht regional unterscheide. Er gelte in Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie in München. Wie wichtig auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten hin zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit – nicht nur für seine Branche Veranstaltungswirtschaft – sei, betonte Tobias Viße. „Wir haben heute Mitarbeiter, die wollen das. Die haben Lust, auch mal länger zu arbeiten.“

Maut gegen marode Straßen

Thomas Dittler plädierte für eine Flucht nach vorn. Er riet dazu, „sich nicht von den momentanen Problemen beeindrucken zu lassen“. Also besser gleich in die Zukunft, in KI-Anwendungen, investieren. Humanoide Roboter würden immer besser und günstiger. Der Kauf habe sich schnell rentiert, so Dittler. Nur müsse man da noch kulturelle Hürden nehmen.

Lobende Worte für das Finanzpaket fand Georg Dettendorfer. Schließlich hatte er auch als Vorsitzender des IHK-Verkehrsausschusses seit Jahren mehr Geld für marode Straßen und Brücken gefordert. Zugleich warnte er vor einem „Strohfeuer-Effekt“. Man müsse die bessere Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur verstetigen – etwa mit der strikten Zweckbindung von Mauteinnahmen.

Eigene digitale Lösungen schaffen

Johannes Hauner bezeichnete Investitionen in die digitale Infrastruktur als ebenso wichtig. Man brauche auf deutscher und europäischer Ebene eigene Cloudlösungen. Derzeit sei man da zu 70 bis 80 Prozent von den USA abhängig. In der Ära Trump II sei das riskant. Zudem müsse das Kunststück gelingen, mehr als 1 Billion Euro in den Markt zu pumpen, ohne die Inflation drastisch anzuheizen.

Angst vor steigenden Zinsen

Renate Waßmer sprach von „Kollateralschäden“, die man im Blick haben müsse. Wenn die Banken Kredite mit mehr Eigenkapital hinterlegen müssten, hätte das einen bremsenden Effekt. Hauptgeschäftsführer Gößl wies darauf hin, dass der Traum vom Eigenheim für viele abrupt zu Ende sein könnte. Die 10-jährigen Bauzinsen hätten sich innerhalb von 3 Wochen von 3,4 auf 3,7 Prozent erhöht als Folge der gestiegenen Renditen für Bundeswertpapiere. Raiffeisenbanker Reinhard Schwaiger unterstrich das: „Der Zins hat sofort auf die Schuldenpakete reagiert.

Er befürchtet Konsequenzen für Deutschlands Bonität. Zudem entziehe die Europäische Zentralbank über das Auslaufenlassen von Anleihen dem Markt schon Geld. Schwaiger und Gößl hielten es für möglich, dass als Folge der Finanzpakete Inflation und Zinsen dauerhaft steigen – mit negativen Folgen für Konjunktur und hoch verschuldete EU-Partner wie Frankreich und Italien.

In Sicherheit investieren

Der Zinsanstieg mache viele Hoffnungen des Wohnungsbaus zunichte, klagte Werner Mooseder. Seine Branche stünde vor dem schwersten Jahr ihrer Geschichte. Falle der neuen Koalition nicht mehr zum Wohnungsbau ein, blieben 320.000 neue Wohnungen pro Jahr bis 2030 eine Illusion.

Mehr Geld für die Bundeswehr ist gut, schafft aber noch keine umfassende Sicherheit – diese Erkenntnis brachte Ingrid Obermeier-Osl aus einer Unternehmerinnen-Reise des IHK-Ehrenamts aus Brüssel mit. Obermeier-Osl äußerte sich beeindruckt über ein Gespräch mit der FDP-Abgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann im EU-Parlament. Demnach ist Putins hybride Kriegsführung längst im Gange.

Bitte keine Stillstandskoalition!

Gößl nannte das alarmierend. Man erlebe im IHK-Bezirk, wie Drohnen Firmengelände ausspähen. Die Stadtwerke München wehren sich gegen gehäufte Cyberangriffe und Sabotageversuche von prorussischen Gruppierungen. Der Hauptgeschäftsführer sieht beim Thema Sicherheit auch die Unternehmen in der Pflicht. Dies gelte etwa für die Freistellung von Reservisten für Wehrübungen und den Heimatschutz. Man müsse ferner alle logistischen Prozesse unterstützen, die eine moderne Armee brauche.

Präsident Lutz machte abschließend klar, wo er aktuell die IHK-Organisation am meisten gefordert sieht: in Berlin. Es gelte, eine weitere Stillstandskoalition zu verhindern. Lutz versicherte, er habe alle Anregungen notiert und sagte: „Sie können sich auf unseren Einsatz verlassen."