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Suchen gemeinsame Lösungen statt zu polarisieren: Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, und Thomas Rehn, Leiter der Lokalbaukommission München

Suchen gemeinsame Lösungen statt zu polarisieren: Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, und Thomas Rehn, Leiter der Lokalbaukommission München

© Composing; Thorsten Jochim

„Es geht nur gemeinsam“

Wie kommt in München das Bauen in Schwung? Die Präsidentin der Architektenkammer Lydia Haack und Lokalbaukommissionschef Thomas Rehn debattieren, was wirklich hilft.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 11-12/2025

Baukrise, Stillstand beim Wohnungsbau, Mangel an bezahlbaren Wohnungen – seit Jahren beschäftigen sich unterschiedliche IHK-Ausschüsse mit diesen Themen. Gebessert hat sich bisher wenig, vieles hat sich noch verschärft. In München sind 2024 nur 6.500 neue Wohnungen fertiggestellt worden. Das ist der niedrigste Wert seit 2015 und weit entfernt von den 8.500 Neubauwohnungen, die sich die Landeshauptstadt selbst als Ziel gesetzt hat. Die Unternehmer bangen um die Zukunft der Stadt.

Eine Institution wird in diesem Kontext seit vielen Jahren von Unternehmen immer wieder kritisiert und mitverantwortlich gemacht: die Münchner Lokalbaukommission (LBK), die größte Baugenehmigungsbehörde Deutschlands. Ihre Prozesse, so lautet der Vorwurf, seien zu langsam und zu bürokratisch. Die IHK hat Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer (ByAK), und LBK-Chef Thomas Rehn zum Interview geladen – um zu erfahren, was an der Kritik dran ist und wie man zu Lösungen kommt.

Lotsen statt polarisieren

Herr Rehn, Ihre Behörde wird seit Jahren kritisiert. Wie gehen Sie damit um?
Rehn: Eine meiner Botschaften, die ich heute senden will, lautet: Es geht nur gemeinsam. In München kommen wir beim Bauen nur weiter, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Momentan passiert das Gegenteil. Die Fragen richten sich immer nur an uns. Was können wir besser machen? Was machen wir nicht gut? Diese Frontenbildung hilft niemandem.
Haack: Das sehe ich genauso. Es ist leicht, zu polarisieren. Was wir in Zukunft brauchen, ist das Gegenteil: Wir müssen gemeinsam Lösungen finden.

Herr Rehn, Sie sehen Ihre Rolle als die eines Lotsen. Was bedeutet das konkret?
Rehn: Tatsächlich habe ich mich mal so bezeichnet. Als Lotse. Ich finde, das ist eine schöne Aufgabe. Eine Aufgabe, die mir viel Spaß macht. Wer bauen will, soll bauen dürfen. Dafür braucht man eine Genehmigung. Das ist auch gut so, weil wir eine geordnete städtebauliche Entwicklung haben wollen. Wir vermitteln den Antragstellenden, was geht und was nicht geht. Wir suchen gemeinsam den richtigen Weg, um die Genehmigung hinzukriegen.

11.000 Anträge pro Jahr

Klingt gut. Warum hat Ihr Haus trotzdem ein schlechtes Image?
Rehn: Wir müssen auch den Betroffenen das Bauvorhaben vermitteln. Die Nachbarn finden das nicht immer gut, denen geht die Genehmigung oft zu schnell. Dann haben wir den Kostendruck. Man kriegt in München ein Grundstück nur noch, wenn man mehr bezahlt, als es wert ist. Die Leute versuchen, Geld bei uns wieder reinzuholen mit Bauwünschen, die rechtlich nicht möglich sind. Das zu vermitteln, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe (lacht).

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Ihr Haus arbeite zu langsam?
Rehn: Ich kenne die Klagen, in München würde alles so lange dauern. Die schiere Masse der Anträge verursacht das Problem. Die meisten Baugenehmigungen in ganz Bayern passieren hier bei uns. Wenn man alles zusammenrechnet, Bauanträge, Vorbescheide, baumschutz- und denkmalschutzrechtliche Prüfungen, bearbeiten wir hier 11.000 Anträge im Jahr.

Nur 20 Prozent ohne Fehler

Die ehemalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott meldete 1997 als Erfolg: Die Bearbeitungszeit für Bauanträge sei im Schnitt von 164 auf 137 Tage gesenkt worden. Wo stehen wir heute?
Rehn: Wir sind in dem Bereich drin. Ich bin mit diesem Wert ganz zufrieden. Ich denke, wir leisten da gute Arbeit. Wenn wir bei den Bauanträgen nicht so viele Nachforderungen stellen müssten, wäre die Zahl deutlich besser. Da haben wir ein irres Beschleunigungspotenzial, das wir selbst nicht nutzen können.

Wie oft müssen Sie Nachforderungen stellen?
Rehn: Ich habe mal unsere Controllingabteilung und unsere Teams gebeten, das stichprobenartig zu prüfen. Das Ergebnis war viel schlimmer, als ich mir das vorgestellt hatte. Bei mindestens 80 Prozent der Anträge muss nachgefordert werden – und das bei 11.000 Anträgen pro Jahr!

Nicht Architekten sind das Problem

Haack: Ich bin nicht davon überzeugt, dass 80 Prozent unserer Kollegen Bauanträge falsch ausfüllen. Schließlich ist es ja so, dass auch andere Berufsgruppen Anträge stellen können. Ich fände es daher sehr wichtig, eine nachweisbare Zahl zu haben, wie stark Architekten dazu beitragen. Auch wäre es wichtig zu wissen, ob es um kleinere formale oder um inhaltliche Fehler der Anträge geht. Denn dann könnten wir bei den Kollegen Ursachenforschung betreiben und notfalls gegensteuern.
Rehn: Ein Bauantrag stellt hohe Anforderungen an die Architekten, aber die können das auch. Die sorgen auch nicht für die Dinge, die uns Probleme machen.

Was macht Ihnen Probleme?
Rehn: Die Mängel sind oft so offensichtlich, dass ich mich manchmal frage: Wieso lasst ihr euer Vorzimmer da nicht mal drüberschauen? Ein Beispiel nur: Im Antragsformular muss man ankreuzen, ob die Nachbarn zugestimmt haben: Ja oder Nein. Einfacher und deutlicher geht es nicht. Wir kriegen aber massenhaft Anträge, in denen diese Antwort fehlt.

„Kostet Zeit, Nerven, Geld“

Haack: Fakt ist eben auch, dass es sehr viele Leute außerhalb unserer Kammer gibt, die im Rahmen der sogenannten kleinen Bauvorlageberechtigung Bauanträge stellen können. Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die geschult und entsprechend ausgebildet sind, die Dinge richtig ausfüllen können. Nur reicht das häufig nicht.

Wie groß ist denn der Unmut Ihrer Mitglieder?
Haack: Das heutige System der Nachforderungen unter anderem im Kontext der sogenannten Genehmigungsfiktion muss wieder weg. Das belastet alle, das erzeugt Unmut, kostet Zeit, Nerven, Geld. Selbst wenn der Bauantrag vollständig ist, werden Dokumente nachgefordert, Betriebsbeschreibungen und solche Dinge.

Konsequent durchdigitalisieren

Was schlagen Sie vor?
Haack: Was die Lage dramatisch verbessern würde, wäre der konsequent durchdigitalisierte Bauantrag.

Gibt es den nicht längst?
Haack: Die Lösung, die wir haben, ist je nach Ausstattung der Genehmigungsbehörde so halb digital. Es macht keinen großen Unterschied, ob ich einen Antrag in Papierform oder als PDF schicke. Eine wirkliche Digitalisierung bringt mir Interaktion und Vernetzung: Der Nutzer wird durch das Formblatt geführt. Fehlt ein Haken, kann ich es nicht abschicken. Mit dem Eingang werden alle Fachstellen informiert. Ich muss die nicht mehr wochenlang abklappern.

Nur 280 Mitarbeitende

Warum haben wir das nicht bereits?
Rehn: Wir sind da abhängig von der Staatsregierung. Das Bauantragsformular, die Anforderungen an den digitalen Antrag, das sind Vorgaben der Staatsregierung. Wenn diese Einengung eingeführt werden sollte, erzeugt das aber auch Frust und Ärger. Dann gehen die Anträge ewig nicht raus, weil irgendwelche Häkchen fehlen.Haack: Ich finde das Bild des Lotsen, das Herr Rehn erwähnt hat, wirklich toll. Das würde auch für die Digitalisierung sehr helfen. Rehn: Für die 11.000 Anträge pro Jahr habe ich aber nur rund 280 Leute. Es ist für uns kaum möglich, da noch 80 oder 90 Lotsen für die Digitalisierung abzustellen. Haack: Wenn ich da mal grundsätzlich werden darf …

Komplexität anerkennen

Ja, bitte …
Haack: Wenn wir die Konjunktur ankurbeln wollen, wenn Wohnungen fehlen und das Bauen gefördert werden soll, dann muss so eine Behörde auch ordentlich ausgestattet werden: technisch und personell.
Rehn: Es würde schon helfen, wenn man für unsere Arbeit mehr Verständnis hätte. Der Bauantrag ist eben unheimlich komplex. Planungsrecht, Brandschutz, Rettungswege, Barrierefreiheit, die Stufenhöhe der Treppen, Schallschutz – das muss alles in einem Plan geklärt werden. Und das braucht eine gewisse Zeit.

Widersprüche in den Regularien

Was wurde aus dem Versuch der Politik, Genehmigungen mit Gebäudetypen zu standardisieren?
Rehn: Ja, das haben wir jetzt in der Bauordnung drin. Es wurde versprochen, dass uns das nach vorn schleudert. Aber das ist pures Wunschdenken. Schauen Sie doch hier mal aus dem Fenster. Wie müsste ein Haus aussehen, das auf jedes Grundstück passt? Das müsste möglichst klein, das Grundstück groß sein. In München haben wir das genaue Gegenteil. Wir müssen Grundstücke maximal ausnutzen.
Haack: Bislang gab es nur „Schein“-Reformen, die nicht wirklich etwas bringen. Beispiel Dachausbauten. Dafür brauche ich keinen Architekten mehr, das kann der Bauherr mit oder ohne Planer machen. Da denkt man jetzt, super, toll, eine Erleichterung, nur haften die jetzt auch für die ganzen rechtlichen Vorgaben. Dann haben wir Modernisierungsgesetze, da stehen Dinge drin, die zum Gegenteil führen.

Wohnungs- contra Gewerbebau

Welche Regelungen meinen Sie damit zum Beispiel?
Haack: Etwa die Abstandsregelung. In Großstädten gilt der Faktor 0,4 der Gebäudehöhe, in Städten mit mehr als 250.000 Einwohnern oder in Gartenstädten ist es 1,0. Das wurde jetzt geändert. 1,0 gilt nur noch dort, wo eine kleinteiligere und niedrigere Bebauung ist. Bei einer höheren Bebauung beträgt der Abstand 0,4. Wer soll das entscheiden? In den Übergangsbereichen der Kernstadt geht das nicht mehr ohne Bauvoranfrage! Und das sind unglaublich viele Voranfragen. Das macht das Gesetz zum Bürokratiemonster. Für Wohngebäude gibt es in Bayern die Genehmigungsfiktion.

Wenn die Behörde einen Antrag nach drei Monaten nicht bearbeitet hat, gilt er als genehmigt. Was bringt das?
Haack: Das Instrument bringt einen kleinen bürokratischen Vorteil auf Kosten der Rechtssicherheit. Statt einer Baugenehmigung bekomme ich nur einen Fiktionsbescheid. Und es wird trotzdem nachgefordert. Die Baugenehmigung hat eine höhere Qualität. Das Mehr-Augen-Prinzip hat sich baukulturell und verfahrenstechnisch sehr bewährt.
Rehn: Diese Fiktion zwingt uns, Wohnungsbauvorhaben zuerst zu bearbeiten, um die Frist einzuhalten. Das verzögert gewerbliche Vorhaben und große Bauprojekte. Für die Wirtschaft ist das ein Problem.

Einfacher bauen mit Gebäudetyp E

Ist die Lage zu komplex für gute Regulierung?
Haack: Ja, ein Problem ist der Renditezwang. Die Baukosten sind immens gestiegen. Also werden sogar Wände dünner gemacht, um das Maximale aus dem Grundstück rauszuholen. Mein Albtraum ist das unsägliche Staffelgeschoss. Die ganze bauliche Landschaft wird doch überwiegend von einer Abstandsflächen-Architektur dominiert. Ich glaube nicht, dass die Kollegen das von sich aus so planen wollten.

Weniger Bürokratie könnte doch die Kosten senken.
Haack: Das wäre möglich, wenn nicht jedes Problem vor Gericht landen würde. Ein Irrsinn, der das Planen und Bauen unheimlich schwierig macht. Jeder muss sich absichern, deshalb kann auch keine Behörde mehr schnell entscheiden. Alle Welt weiß: Wir brauchen weniger Normen und Standards. Wir warten seit Jahren auf den Gebäudetyp E, aber es tut sich einfach zu wenig, es gibt eine Flut neuer Paragrafen und Normen.

Schneller durch Bauvoranfragen

Sehen Sie denn gar keine Lösungsansätze?
Haack: Die Bauvoranfrage ist ein Instrument, das meiner Ansicht nach wichtiger werden wird.
Rehn: Wunderbar, genauso ist es. Dafür werbe ich auch, zumal der Vorbescheid sehr günstig ist. Er kostet maximal 2.500 Euro Gebühr.Welche

Vorteile hat das?
Haack: Es gibt in der Planung viele Situationen, in denen man sich fragt: Geht das überhaupt? Kann ich damit weitergehen? Wenn man ein schnelles Feedback bekäme, würden sich viele Probleme erledigen.
Rehn: Die Idee ist, die wesentlichen Punkte zu klären, bevor es ins Detail geht: Art und Maß der baulichen Nutzung, Abstandsflächen, Baumbestand, Denkmalschutz. Der Vorteil ist, dass wir diese Punkte alle autonom in unserem Haus klären können. Wenn wir den Vorbescheid positiv beantworten, dann sind wir auch beim Bauantrag daran gebunden.

Verstehen, wie Antragsteller ticken

Warum wird das nicht schon häufiger so gemacht?
Rehn: Weil der Vorbescheid ein schlechtes Image hat. Das liegt aber nicht an uns. Es läuft häufig so: Wir besprechen mit dem Antragsteller eine Handvoll Fragen, dann redet der mit seiner Bank und seinem Anwalt – und dann schickt er uns 30 bis 40 detaillierte Fragen. Dass das dann ewig dauert, ist doch klar. So wird ein gutes Instrument missbraucht.

Sie sind bereit, Neues zu wagen. Für Ihre „Espresso-Interviews“ haben Sie den Innovationspreis der Stadt München erhalten.
Rehn: Ja, seit einem Jahr spreche ich jeden Montagmorgen eine halbe Stunde lang mit einem Architekten, Bauherrn, Investor oder Juristen. Die Interviews werden live ins Planungsreferat übertragen. Die Idee ist: Meine Leute sollen verstehen, wie die Antragsteller die Dinge sehen. Ich wünsche mir im Gegenzug, dass man sich mal in unsere Lage hineinversetzt.

Neue Prioritäten beim Service

Zum Beispiel beim Wunsch nach schnellerer Akteneinsicht?
Rehn: Wir sind kein öffentliches Archiv. Unsere Anlage war nie dafür konzipiert, so viele Anfragen zu bewältigen, wie wir sie heute haben. Sie ist überlastet und fällt ständig aus. Sie wird momentan generalsaniert, dann läuft das hoffentlich wieder besser.

Wenn es diesen Bedarf gibt, sollte man darauf nicht reagieren?
Rehn:
Wir bekommen massenhaft Anfragen, die nur dem Verkauf von Immobilien dienen. Das hat mit unserer eigentlichen Aufgabe nichts zu tun. Wir werden diesen Service weiter anbieten, aber klare Prioritäten setzen: Erst kommen wir, dann andere städtische Dienststellen. Als dritte Gruppe haben wir diejenigen, die die Akten für ihre Bauanträge brauchen. Danach kommt der Rest.

Erfahrene Leute bald in Rente

Haack: Das unterstütze ich. Das Zukunftsthema ist das Bauen im Bestand. Da kommen wir in der Planung nur gut voran, wenn wir dann auch an die dafür notwendigen Unterlagen, bestenfalls digitalisiert, kommen.
Was mich außerdem sehr beschäftigt: Ganz viele erfahrene Leute gehen jetzt in den Ruhestand. Man spürt überall, wie Wissen, Routinen und Vertrauen verschwinden. Wie geht ihr damit um?
Rehn: Ja, das ist bitter, aber da müssen wir durch. Gemeinsam mit meinem Vorgänger habe ich die Plan-Akademie in unserem Haus eingeführt mit Schulungsangeboten für neue Mitarbeiter. Aber klar ist auch, dass man Erfahrung nur sehr schwer weitergeben kann.

Zu den Personen: Lydia Haack und Thomas Rehn

Lydia Haack ist seit 2011 Professorin an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz. Seit 2021 ist die Architektin und Stadtplanerin Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. Mit ihrem Partner John Höpfner führt sie das Architekturbüro Haack + Höpfner Architekten in München.

Thomas Rehn ist seit 2023 Leiter der Lokalbaukommission München. Der studierte Architekt und Stadtplaner ist seit 1990 im Planungsreferat der Stadt München tätig und hat seitdem leitende Positionen sowohl in der Lokalbaukommission als auch in der Stadtplanung wahrgenommen.