Von Harriet Austen, IHK-Magazin 10/2025
Gleich am Tag nach dem Gespräch fährt Petra Waldherr-Merk an den Gardasee. Dort warten 4 große Weinberge und Olivenhaine auf die Unternehmerin. Seit 2021 runden Wein und Olivenöl ihr Sortiment ab, das 2004 mit dem Rezeptbuch von Großtante Lena und dem Kräuterlikör Hirschkuss seinen Anfang nahm. Heute entstehen in der Hirschkuss-Genussmanufaktur GmbH Liköre, Brände, Tees und Gewürze, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen und nach wie vor ganz traditionell per Hand hergestellt und abgefüllt werden.
„Ich wusste schon als 10-Jährige, dass ich mich selbstständig machen will“, sagt Waldherr-Merk. Damals saß sie an der Kasse des größten deutschen Tiermuseums, das ihre Eltern in Lenggries betrieben. Dort machte sie ihre Lehre und arbeitete eine Zeit lang. Bis sie 1992 in die Türkei nach Antalya zu einem Juwelier ging, wo sie ihr Verkaufstalent auslebte, „alles fürs Leben lernte und eine ganze Menge verdiente“, wie sie sagt. Damit und mit einem Bankkredit erfüllte sie sich ihren Traum: Sie kaufte und sanierte ein altes Kleinbauernhaus in Lenggries und eröffnete ihren ersten Laden mit Antiquitäten, Geschenkartikeln und Wohnaccessoires.
Das alte Kochbuch von Großtante Lena
13 Jahre danach sollte Großtante Lena ihr Leben komplett verändern. Ihre Verwandte weihte sie in die Geheimnisse der Kräuterwelt ein und schenkte ihr ihr altes Kochbuch mit über 40 Kräuterlikörrezepten.
Den ersten Ansatz machten beide Frauen zusammen, den Likör bot Waldherr-Merk ihren Kunden zur Verkostung an. Und die waren vom Geschmack so begeistert, dass sie den Likör gleich kaufen wollten. Also bestellte die Unternehmerin Bügelflaschen („unser Alleinstellungsmerkmal“), gab dem Produkt den Namen Hirschkuss, ließ ein Logo zeichnen und füllte den Likör in der Küche ab. Das lief so gut an, dass sie die kleine Fertigung bald in den elterlichen Keller verlegte. Den Namen meldete sie als Wortmarke beim Patentamt an.
TV-Sendung verhilft zum Durchbruch
Das wiederum rief die Mast-Jägermeister AG auf den Plan, die einen Markenrechtsstreit begann. Eine Auseinandersetzung zwischen David und Goliath. Doch das kleine Unternehmen bekam unerwartete Hilfe: Die BR-Sendung „quer“ berichtete über den Fall. Hirschkuss flogen Sympathien aus ganz Deutschland zu. „Der Bekanntheitsgrad stieg enorm“, so Waldherr-Merk.
Es folgte eine langjährige Auseinandersetzung. Die damit verbundene Medienpräsenz verhalf Hirschkuss zum Durchbruch. Zahlreiche Wirte, Händler und Supermarktketten kamen auf die Unternehmerin zu. „Jeder wollte Hirschkuss haben“, erinnert sie sich. Sie stand damals vor einer weitreichenden Entscheidung: wachsen oder klein bleiben? „Nebenbei im Keller konnte es nicht weitergehen.“
Rezeptur aus 38 Kräutern
Sie beschloss, eine Produktionsstätte zu bauen. Mit Beharrlichkeit überzeugte sie Bürgermeister und Gemeinderäte im nahen Gaißach, ihr ein begehrtes Grundstück an der B13 zu überlassen. Kauf und Neubau finanzierte die Raiffeisenbank, nach gut 6 Jahren war der Kredit abbezahlt. „Seit dem Umzug stieg die Nachfrage um das Vielfache“, freut sich die Unternehmerin, die jetzt ihre Besucher stolz durch das bauernhofähnliche Gebäude führt, das liebevoll mit Antiquitäten ausgestattet ist und zu dem auch ein Ladengeschäft gehört.
Die Hirschkuss-Genussmanufaktur stellt mit 19 Mitarbeitern inzwischen 300.000 Liter verschiedene Liköre pro Jahr her und beliefert damit über 1.000 Händler, 800 Gastronomen und 12.000 Einzelkunden. Renner ist nach wie vor der Hirschkuss-Kräuterlikör, der aus 38 Kräutern besteht. Beachtliche Zahlen, die Waldherr-Merk so kommentiert: „Ich hätte nie damit gerechnet, dass Großtante Lenas Rezepte so gut ankommen und daraus ein Kultgetränk wird.“
„Unermüdlich neue Projekte“
An ihrer Seite stehen Lebensgefährte Burckhard Winkel und Sohn Felix Merk, der „ihr größter Kritiker“ sei. Waldherr-Merk ist der kreative Kopf der Firma, ihr fallen unermüdlich neue Projekte ein. So zum Beispiel die Linie „von do“ (bairisch für „von hier“), die 2021 während Corona entstand und Tees und Gewürze nach eigenen Rezepturen liefert. „Das lag doch nahe, mit Kräutern kennen wir uns aus.“
Kämpfernatur mit starker Intuition
Mitarbeiter bezeichnen ihre Chefin als geborene Kämpfernatur, die nicht aufgibt und auch einen Plagiatsstreit mit Dirk Verpoorten aus der gleichnamigen Eierlikördynastie wegen dessen Produkts „Hirschrudel“ nicht scheute. Sie gilt aber auch als Frau, die in entscheidenden Momenten intuitiv das Richtige tut und Chancen ebenso schnell erkennt wie Risiken.
Ohne Abhängigkeiten wachsen
Nach einer lukrativ erscheinenden Anfrage aus den USA wollte sie schon die Produktion erweitern und ein 2. Grundstück erwerben. In letzter Minute blies sie das Vorhaben ab. „Behutsames und überschaubares Wachstum ist uns lieber“, erklärt die Unternehmerin. Sie wolle sich „in keine Abhängigkeiten begeben“.