Von Stefan Bottler, IHK-Magazin 11-12/2025
Der Rahmen wurde früh gesteckt. Bereits 2017 novellierten Bundestag und Bundesrat das Straßenverkehrsgesetz und erlaubten automatisierte Fahrfunktionen, die den Fahrer entlasten. 2021 verabschiedeten sie sogar das weltweit erste Gesetz zum autonomen Fahren. Seither dürfen in Deutschland Fahrzeuge auf Level 3 unterwegs sein. Das heißt: Sie können automatisiert bis zu 60 Kilometer pro Stunde schnell fahren, wenn ein Fahrer an Bord ist. Dennoch ist autonomes Fahren erst in einzelnen Pilotprojekten erprobt worden.
Das soll sich nun ändern: Auf der IAA Mobility 2025 machten sich Vertreter aus Politik, Verbänden, Wirtschaft und Wissenschaft im September für den Ausbau der bayerischen Landeshauptstadt zur führenden Modellregion für autonome Mobilität in Deutschland und Europa stark. Wegen ihrer Wirtschafts- und Innovationskraft seien die bayerische Landeshauptstadt und ihr Umland geradezu prädestiniert, Vorreiter für Fahrtechnologien ohne Fahrer zu sein, argumentieren sie in einer Absichtserklärung.
Push durch breites Bündnis
„Wir sind auf diesem Feld Pionier“, versichert der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Was mit einem Lkw auf der A 9 begann, soll jetzt den Stadtverkehr revolutionieren.“ Söder spielt auf Testfahrten der MAN Truck & Bus SE an. Seit Frühjahr 2024 erprobte der Nutzfahrzeughersteller mit Genehmigung des Kraftfahrt-Bundesamts im Rahmen des 3-jährigen Forschungsprojekts „ATLAS-L4“ einen autonomen Lkw im Straßenverkehr. (Siehe Artikel:
„Technisch machbar“
)
Den Weg zur Modellregion soll die Allianz Mobile Zukunft München und Region (MZM) ebnen. Dem Netzwerk, das 2022 auf Initiative des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr entstand, gehören unter anderem die Staatsministerien für Wirtschaft und für Inneres, die Landeshauptstadt München und die umliegenden Landkreise, die Technische Universität München (TUM), die IHK für München und Oberbayern sowie große Industrie- und Verkehrsunternehmen wie BMW und der MVV an.
Gute Gründe für München
In einem 20-seitigen Papier entwickelten die MZM-Teilnehmer eine Vision. Bis 2045 soll es ein „vollständig vernetztes“ System des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) mit 20.000 autonomen Shuttles und 5.000 autonomen Bussen geben. Ebenfalls Realität werden soll das „europaweit erste vollständige“ System für autonome Straßengüterverkehre innerhalb von bestehenden Lieferketten. Für dieses ambitionierte Vorhaben nennt die Allianz viele Argumente.
So zählt die Metropolregion seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Wirtschafts- und Finanzzentren Mitteleuropas und hat sich als Innovationshochburg für Fahrzeugtechnik, IT und Mobilität einen Namen gemacht. Zudem nehmen Einwohner- und Beschäftigtenzahlen zu.
Rückenwind aus Berlin und Brüssel
„Die Region München wächst – und damit auch die Zahl der Menschen, die mobil sein möchten, und die Zahl der Güter, die transportiert werden müssen“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Autonomes Fahren könne gewerbliche Verkehre wirtschaftlicher und leistungsfähiger machen und etwa den grassierenden Fahrermangel entschärfen. „Grundsätzlich haben autonome Technologien das Potenzial, die Rolle der Region München als Hotspot für moderne Personen- und Gütertransportlösungen zu stärken“, bestätigt IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl.
Die politischen Rahmenbedingungen für die MZM-Vision sind günstig. In ihrem Koalitionsvertrag hat die schwarz-rote Bundesregierung vereinbart, Deutschland zum Leitmarkt für autonomes Fahren zu entwickeln. Gemeinsam mit den Bundesländern sollen gezielt Modellregionen aufgebaut und finanziell gefördert werden.
20 Pilotprojekte in Deutschland
Auch von der EU kommt Rückenwind. In einem Strategiepapier stellt die Kommission in Brüssel fest, dass die Bedingungen für Pilotprojekte in Europa schlechter sind als in den USA und in China. Sie spricht sich für wenigstens 3 grenzüberschreitende Projekte aus und ermuntert auch mittelgroße Städte, autonome Güter- und Personenverkehre zu testen.
Das Interesse an autonomen Fahrtechnologien ist seit Jahren groß. Allein in Deutschland sind bislang rund 20 Pilotprojekte gestartet oder bereits abgeschlossen. Neben Metropolen wie Berlin, Hamburg und Stuttgart wollen auch Großstädte wie Ingolstadt Modellregion werden.
Ampelsteuerung mit KI
Für die Donaustadt machen sich außer der Stadtverwaltung und der Technischen Hochschule (TH) Ingolstadt auch der Autokonzern Audi AG und ortsansässige Zulieferer stark. Ingolstadt hat Erfahrung mit innovativen Verkehrsprojekten. Ein Beispiel ist KIVI (Künstliche Intelligenz im Verkehrssystem Ingolstadt): Stadt, Hochschulen und Softwareunternehmen untersuchten 3 Jahre lang, wie KI-gesteuerte Ampeln mit Daten von Verkehrsteilnehmern den Verkehrsfluss sicherer machen können.
Sensoren entlang der Straße
Derartige Projekte führen zu der grundsätzlichen Frage, ob Sensoren, Sonare und Kameras, ohne die autonome Verkehre nicht gesteuert werden können, in Fahrzeugen verbaut werden oder besser entlang von Straßen installiert werden. Nach Ansicht von Marc Augusto sollte die „Systemhoheit“ nicht wie bei amerikanischen Herstellern allein im Fahrzeug liegen. „Ein hybrides Set-up macht Sinn“, sagt der Geschäftsführer der Datenplattform Mobility Data Space (MDS), die die Entwicklung der MZM-Vision unterstützte. Wenn Kreuzungen und andere neuralgische Straßenabschnitte digitalisiert würden, biete das Vorteile.