Von Stefan Bottler, IHK-Magazin 11-12/2025
Die olivfarbenen MAN-Lkws dürften vielen Autofahrern aufgefallen sein. Seit April 2024 transportierten die Trucks rund um München einen markanten Container mit der Aufschrift „ATLAS-L4“. Das Kürzel steht für „Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstraßen im Level 4“. Mehr als ein Jahr lang testete auf diese Weise ein Konsortium aus Wirtschaft und Wissenschaft autonomes Fahren im Straßengüterverkehr.
Im Mai 2025 konnten die Teilnehmer zufrieden Bilanz ziehen. „Wir haben den praktischen Nachweis erbracht, dass autonome Trucks technisch machbar sind“, freut sich Sebastian Völl, Projektleiter Automatisiertes Fahren bei MAN Truck & Bus SE. „Jetzt fließen diese Konzepte in die weitere Arbeit für eine Serienentwicklung ein.“
Autonomer Lkw bis 2030 serienreif
Genau dies war das Ziel von ATLAS-L4. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt dauerte inklusive Vorarbeiten mehr als 3 Jahre und wurde vom Bund mit rund 59 Millionen Euro gefördert. Etwa 150 Ingenieure aus 12 Unternehmen und Instituten arbeiteten an hochautomatischen Lösungen auf Level 4. Ein Fahrzeug mit diesem Standard kann auf festgelegten Strecken vollständig autonom fahren, ein Fahrer ist aber noch an Bord.
Außer MAN beteiligten sich unter anderem die Industriekonzerne Knorr-Bremse AG und Robert Bosch GmbH, der TÜV Süd und die Technische Universität München (TUM). Die Ingenieure entwickelten etwa sicherheitsrelevante Komponenten wie ein zusätzliches Bremssystem, bauten ein – gesetzlich vorgeschriebenes – Control Center für die technische Aufsicht und konzipierten Maßnahmen für die Cybersicherheit, denn auf die Fahrzeugdaten darf kein unbefugter Dritter zugreifen können. Für 2030 strebt MAN nun die Serienreife für autonome Lkws an.
Ziel: Autonom durch Europa
Auf diesem Ziel basiert auch die Strategie der Allianz Mobile Zukunft München und Region (MZM). So will die Modellregion München dem autonomen Fahren nicht nur im Personenverkehr zum Durchbruch verhelfen, sondern auch im Güterverkehr. Dort sind sogenannte Hub-to-Hub-Verkehre zwischen fest definierten An- und Ablieferorten geplant. Das können regelmäßige Lkw-Verkehre zu Terminals, Zulieferern, Handelszentren oder Industrieunternehmen sein.
Der Fahrplan: 2026 sollen die ersten Strecken definiert werden. Schritt für Schritt kommen dann weitere Hub-to-Hub-Transfers hinzu. Bis 2035 möchte die MZM diese zu „urbanen Liefernetzen“ verknüpfen. Parallel hierzu sollen standardisierte Lösungen für Rampenanfahrten, Containerverladungen und andere logistische Prozesse entwickelt werden. Ab 2035 halten die MZM-Initiatoren autonome Verkehre auch auf überregionalen oder gar europäischen Touren für denkbar. Außerdem sollen dann Anliefer- und Abholverkehre außerhalb der Hub-to-Hub-Transfers in Transportlösungen integriert werden.
Hilft gegen Fahrermangel
Der Weg ist das Ziel: Die MZM-Initiatoren streben ein „funktionierendes Ökosystem autonomer Güterverkehre“ an, das auch internationalen Verkehrsteilnehmern zur Verfügung steht. Ab 2045 werden diese die Münchner Anwendungsstrecken und -quartiere für die weitere Evolution des autonomen Fahrens nutzen, so die MZM.
Aus der Logistikwirtschaft kommen zustimmende Äußerungen zum MZM-Konzept. „Meine Vision sind autonome Langstreckenverkehre, deren Ladungen am Ziel von Lkw-Fahrern übernommen und in der Region verteilt werden“, sagt Georg Dettendorfer, IHK-Vizepräsident und Inhaber des gleichnamigen Logistikunternehmens in Nußdorf am Inn. Den Einstieg über Hub-to-Hub-Verkehre hält er für richtig. „Angesichts des wachsenden Fahrermangels muss autonomes Fahren im Straßengüterverkehr schnell Realität werden“, fordert der Unternehmer. Rund 60.000 Berufskraftfahrer fehlen derzeit bundesweit – Tendenz steigend.
Noch kaum Tests mit Lkws
Ausdrücklich erinnert das MZM-Papier an die Verkehrsprognose 2040 des Bundesverkehrsministeriums, die für die kommenden Jahre ein kontinuierliches Verkehrswachstum vor allem für Stückgut-, Kurier-, Express- und Paketsendungen vorhersagt. Dennoch sind – von ATLAS-L4 einmal abgesehen – autonome Lkws außerhalb von Logistikstandorten bislang kaum getestet worden.Auch für die Zukunft sind derzeit kaum Regelverkehre auf öffentlichen Straßen geplant. In Bremen sollen ab 2026 immerhin autonome Lkws Container vom Containerterminal zu 2 Logistikzentren im Güterverkehrszentrum auf Level-4-Niveau (zur Level-Einteilung siehe Artikel
„Turbo für die Modellregion“
) transportieren. Die Fahrstrecken sind jeweils 3 Kilometer lang.
MAN als treibende Kraft
„Die weitaus meisten Pilotprojekte und Modellregionen konzentrieren sich auf öffentliche Personenverkehre“, sagt IHK-Referent Ernst-Benedikt Riehle. „Die Bundesregierung reklamiert in ihrem Strategiepapier jedoch eine weltweite Führungsrolle für Deutschland auch im autonomen Güterverkehr. München hat mit diesem Thema fast ein Alleinstellungsmerkmal.“ Mit MAN hat der Großraum München außerdem einen industriellen Partner, der global eine treibende Kraft für die Entwicklung von autonomen Lkw-Verkehren ist.
Teststrecke an der Inntal-Autobahn
Der Fahrzeughersteller hat unmittelbar nach dem Abschluss von ATLAS-L4 mit den Anschlussarbeiten für die Serienreife begonnen und ist seit Kurzem Projektpartner der DiMOS Operations GmbH, einem Spin-off des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das Unternehmen in Kiefersfelden hat sich auf das Qualitätsmanagement von Satellitensignalen spezialisiert und wird 2026 eine Teststrecke entlang der deutschen Inntal-Autobahn eröffnen.
Kandidaten in der Logistik gesucht
Auch manches Start-up wird für Impulse sorgen. Ein Beispiel ist das Münchner Unternehmen Fernride (siehe Artikel
„Problemlöser Fernride“
), das Softwarelösungen für autonomes Fahren in der Logistik entwickelt und seit Kurzem auch Fahrzeuge für die Bundeswehr testet.
Ansonsten steht die Suche nach Kandidaten für automatisierte Hub-to-Hub-Verkehre an. Weil auch scheinbar einfache Logistikabläufe in die autonome Technologie integriert werden müssen, benötigen die MZM-Partner möglicherweise mehr Zeit als geplant. „Im Containerverkehr“, sagt Ferdinand Kloiber, Inhaber der Spedition KLOIBER GmbH in Petershausen, „sind entgegen einer weitverbreiteten Meinung viele Prozesse noch nicht standardisiert.“ Es gibt also noch einiges zu tun.