ihk_magazin_logo_2
Gutes Team – der Technikspezialist Kreutzpointnerbeschäftigt zahlreiche Elektrofachkräfte aus Kolumbien

Gutes Team – der Technikspezialist Kreutzpointnerbeschäftigt zahlreiche Elektrofachkräfte aus Kolumbien

© Elektro Kreutzpointner

Einfach fragen, was der andere braucht

Um Fachkräfte zu gewinnen, rekrutieren Firmen zunehmend Mitarbeiter im Ausland. Damit die Integration gelingt, ist interkulturelle Sensibilisierung wichtig.

Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 11-12/2025

Wenn Jessica Kreuch potenzielle Mitarbeiter in Süd- oder Südosteuropa trifft, zeigt sie ihnen gern Fotos, die sie im Dezember 2023 in München aufgenommen hat. Zu sehen sind meterhohe Schneeschichten, die ein plötzlicher Wintereinbruch damals auf Autos und Straßen hinterlassen hatte.

„Das Wetter ist einer der Hauptgründe, warum Fachkräfte aus wärmeren Ländern in Deutschland zu kämpfen haben. Daher lege ich lieber direkt und ganz plakativ die Karten auf den Tisch“, begründet die 31-Jährige ihre Taktik. Kreuch ist bei der Stadtwerke München GmbH (SWM) für internationale Recruitingprojekte zuständig. Seit etwa zweieinhalb Jahren geht das Unternehmen gezielt mithilfe von spezialisierten Personalagenturen im Ausland auf die Suche nach geeigneten Fachkräften.

Zuwachs aus Südeuropa

Bis Ende des Jahres werden die Stadtwerke insgesamt rund 40 Kollegen beschäftigen, die aus Spanien, Albanien und Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gezogen sind. Ein Teil arbeitet im Fahrdienst, ein anderer im gewerblich-technischen Bereich, also etwa in Kraftwerken oder im Schienenbau.

Rechtliche Fragen wie Arbeitserlaubnis, Visa und Ausbildungsanerkennungen sind ein großes Arbeitspaket bei dem Projekt Auslandsrekrutierung. „Mindestens ebenso wichtig ist jedoch die Frage, was wir als Unternehmen tun können, damit die neuen Kollegen gut hier ankommen und sich im besten Fall dauerhaft wohlfühlen“, sagt Kreuch.

Die ersten Einsätze der neuen Mitarbeiter hat sie daher gründlich vorbereitet. „Wir haben uns gefragt, was es für die neuen Kollegen rein praktisch bedeutet, hier anzufangen. Was ist im deutschen Arbeits- und Sozialsystem oder in der Kultur neu für sie und wie können wir hier beim Start unterstützen?“, berichtet sie.

„Buddys“ und Begrüßungspakete

Zu dem Ergebnis gehört unter anderem, dass Jessica Kreuch und ihre Kollegin zwischen Einstellung und Ankunft in Deutschland bereits eng Kontakt halten, regelmäßig mit den neuen Kollegen sprechen und Checklisten sowie Begrüßungspakete mit Infos zur Stadt, zu Aktivitäten, Vereinen oder Sprachschulen austauschen. Jeden einzelnen neuen Mitarbeiter holen sie am Bahnhof oder Flughafen ab.

Sie sind Ansprechpartner für Behördengänge, Wohnungssuche und Fragen zum deutschen Alltag. Daneben suchen sie in jedem Fachteam „Buddys“ für die neuen Kollegen. Sie sollen die Neuen im Team einbinden, ihren Start bei den SWM und in München erleichtern. Die Fachkollegen kümmern sich auch um alle Arbeitsthemen.

(Auch) mehr Recruiting im Ausland durch KMU

Nach wie vor kämpfen Arbeitgeber in Deutschland mit dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel. Daher dehnen auch kleine und mittlere Unternehmen ihre Suche nach Arbeitskräften immer häufiger ins Ausland aus. „Das vergrößert nicht nur den Markt, der Arbeitgeber profitiert darüber hinaus von diverseren Teams und zeigt, dass er global denkt“, meint Susanne Lingl, Referentin für Arbeitsmigration bei der IHK für München und Oberbayern.

„Der Plan geht auf, wenn es den Arbeitgebern gelingt, die ausländischen Fachkräfte langfristig zu binden“, ergänzt sie. Das wiederum hänge entscheidend davon ab, wie gut die Integration und die kulturelle Sensibilisierung aller Parteien glücken. Lingl: „Das Onboarding von Mitarbeitern, die die deutsche Sprache vielleicht noch nicht so gut sprechen und sich in Deutschland noch fremd fühlen, ist für Arbeitgeber und auch die einarbeitenden Kollegen natürlich ein höherer Aufwand.“ Aber der lohne sich, ist sie überzeugt.

Empathie gefragt

Entscheidende Erfolgsfaktoren sind Kommunikation und interkulturelle Kompetenzen. „Oft haben Gesten, Reaktionen oder Antworten in einem anderen Land abweichende Bedeutungen von denen, die wir aus unserer deutschen Sozialisation kennen“, weiß Kundri Böhmer-Bauer, die unter anderem für die IHK für München und Oberbayern interkulturelle Trainings für Projektleiter, Personalverantwortliche oder auch ganze Teams leitet. Hinzu komme immer die spezielle persönliche Situation, die das Verhalten beeinflusse. Wer dafür offen sei, sich in die andere Rolle hineinzudenken, könne Missverständnisse im Arbeitsalltag leichter aus dem Weg räumen.

Porträt von Kundri Böhmer-Bauer, interkulturelle Trainerin der IHK München und Oberbayern

© FOTOSTUDIO Am Kurfürstenplatz

Man muss miteinander reden, wenn einem etwas seltsam oder ungewohnt vorkommt.

Kundri Böhmer-Bauer, interkulturelle Expertin und Trainerin

Böhmer-Bauer schildert etwa den Fall von 3 angeworbenen jungen, hoch qualifizierten Türkinnen, die mit einem älteren deutschen Kollegen arbeiten. Aus Hochachtung dem älteren Mann gegenüber äußerten sie vor dem Training nicht offen, sondern sehr indirekt, wenn sie anderer Meinung waren als er. Der Kollege nahm das nicht wahr, da er direkte Kommunikation gewohnt war, und dachte, sie hätten keine eigene Meinung.

Zwischen Respekt und Ehrverletzung

„Manche Kulturen vermeiden Blickkontakt, was Deutsche oft als unsicher oder unehrlich auslegen, wogegen es meist einer Respektsbezeugung entspricht. In anderen gibt es kein klares Nein und ein Ja bedeutet nicht immer Zustimmung“, setzt die Trainerin die Liste fort. In Deutschland sei es tendenziell üblich, Berufliches und Persönliches zu trennen, nicht so in vielen anderen Ländern. Ein weiteres Beispiel: Offene Kritik an der Arbeitsleistung vor der Gruppe kann als Ehrverletzung verstanden werden, was in manchen Fällen eine Kündigung zur Folge hatte.

Auch SWM-Recruiterin Kreuch hat erlebt, wie schnell Missverständnisse entstehen können. „Ich habe mich gewundert, dass einige der neuen Mitarbeiter Fragen zur Arbeit oder zur Arbeitsorganisation nur an die Teamleiter gestellt haben, obwohl sie doch wussten, dass wir ihnen dabei helfen“, erinnert sie sich. Über ein interkulturelles Training sei ihr bewusst geworden, dass sie die „Frau mit den Arbeitsverträgen“ war. Für andere Kulturen also genau die Person, die über Anstellung oder Kündigung entscheidet. Und bei der man besser keine dummen Fragen riskiert.

Firmenkultur und offenes Miteinander leben

„Man muss miteinander reden, wenn einem etwas seltsam oder ungewohnt vorkommt. Einfach fragen“, ermutigt Expertin Böhmer-Bauer. Generell sei es zudem wichtig, dass die Firmenkultur ein offenes Miteinander fördere und sich sowohl die Stammbelegschaft als auch die neuen Kollegen zu dieser Firmenkultur bekennen. „Zugleich muss man zulassen, dass sich Kultur im gemeinsamen Agieren verändern darf, Unternehmenskultur genauso wie National- oder Regionalkultur“, betont die Trainerin.

IHK-Info: Praxistipps zum Recruiting und Start mit internationalen Fachkräften

Zahlreiche Tipps, Checklisten und Listen mit hilfreichen Adressen sowie Hinweise auf IHK-Webinare und Veranstaltungen zum Thema Internationale Fachkräfte bietet die IHK auf Ihrer Website. Dort finden sich auch Tipps zur Sprachförderung

Eine besondere Herausforderung in Sachen Integration bewältigte die Elektro Kreutzpointner GmbH. 2023 und 2024 rekrutierte das Burghausener Unternehmen rund 50 Elektrofachkräfte aus Kolumbien, die nun an unterschiedlichen Standorten in Bayern, Sachsen und Brandenburg arbeiten. 4 Frauen und 46 Männer im Alter zwischen 19 und 38 Jahren. Der Anstoß dazu kam über ein Projekt der Zentralen Auslandsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit und der AHK Kolumbien, für das sich Kreutzpointner gemeldet hatte.

Landsleute helfen bei Integration

„Für die Umsetzung haben wir damals ein eigenes 5-köpfiges Projektteam gebildet, zu dem unter anderem zwei Spanisch sprechende Kolleginnen gehörten. Beide kamen zufällig sogar ebenfalls aus Kolumbien und eine war außerdem Psychologin“, berichtet Katharina Leopold, Teamleiterin Recruiting. Die Liste mit To-dos sei riesig gewesen. Welche Hilfestellung können wir geben? Wo bekommen wir Wohnungen her? Welche Informationen brauchen die Kolumbianer über Burghausen, Bayern, den hiesigen Dialekt, den Alltag?

„Und dennoch waren wir immer wieder überrascht, welche Fragen zusätzlich im Alltag auftauchten“, erinnert sich Teammitglied Elisabeth Hochhalter. Einigen sei etwa nicht klar gewesen, dass man in Deutschland direkt zum Arzt gehen könne, wenn man sich krank fühlt. Andere haben danach gefragt, warum man hier kein Mückennetz in der Wohnung habe.

Stammbelegschaft frühzeitig einbinden

„Aus den ersten beiden Recruitingrunden haben wir viel gelernt, was wir bei den nächsten direkt umsetzen können“, sagt Leopold. Selbstkritisch analysiert sie zum Beispiel, dass das Unternehmen die Stammbelegschaft etwas zu spät in den Prozess eingebunden hat.

„Wir hätten noch besser vermitteln können, welcher Mehraufwand auch auf die Fachteams zukommt, die ohnehin im Joballtag aufgrund des Fachkräftemangels eng getaktet sind“, sagt sie. Es sei wichtig zu fragen, welche Unterstützung die Fachteams ihrerseits beim Einsatz der ausländischen Fachkräfte im Job brauchen. Zugleich freut sie sich, dass einige Mitarbeiter direkt bereit gewesen waren, die neuen Kollegen als Mentoren und Guides im Arbeits- und im privaten Alltag zu begleiten.

In Burghausen scheint das Integrationsprojekt geglückt zu sein. Nur wenige der Kolumbianer wollen wieder in ihre Heimat zurückkehren. „Vielmehr kommen viele jetzt auf uns zu und fragen, wie ihre Familie nachkommen kann“, sagt Leopold. „Ein gutes Zeichen, dass sie dauerhaft bleiben möchten.“

IHK-Veranstaltungstipp: Workshop „Erfolgsfaktor internationale Belegschaft“ am 3. Februar 2026

Wie gelingt es, Fachkräfte aus dem Ausland erfolgreich in den Betrieb zu integrieren? Ein praxisorientierter Workshop in der IHK München zum Thema“ internationale Belegschaft“ vermittelt, welche kulturbedingten Unterschiede Firmen bei der Einarbeitung berücksichtigen sollten und wie sie kulturbedingte Missverständnisse in der Kommunikation vermeiden.