Zielvorgabe: schneller und kürzer
„Prüfansätze werden immer digitaler und rücken näher an das laufende Geschäft der Unternehmen heran“, bestätigt auch Martin Clemens, Referatsleiter Steuern und Finanzen bei der IHK für München und Oberbayern. Laut einer aktuellen Umfrage der Beratung PricewaterhouseCoopers GmbH (PwC) kommen bei Betriebsprüfungen immer häufiger digitale Tools zum Einsatz: Während 2019 noch 64 Prozent der Unternehmen auf Digitallösungen verzichteten, waren es 2022/23 nur noch 29 Prozent. Rund die Hälfte will mit Blick auf künftige Betriebsprüfungen verstärkt in digitale Technologien investieren.
Digitaler bedeutet schneller und kürzer, so zumindest lautet die Zielvorgabe: „Betriebsprüfungen erstreckten sich in der Vergangenheit zumeist über einen längeren Zeitraum. Im Zuge der Modernisierung der Steuerprüfung strebt der Gesetzgeber neben einer digitalen Betriebsprüfung an, das Verfahren insgesamt zu beschleunigen und den Prüfungszeitraum zu verkürzen“, erläutert Clemens.
Kooperation statt Konfrontation
Dies wäre beides im Sinne der Unternehmen. Allerdings nur, wenn das nicht automatisch zu ihrem Nachteil gereicht. „Der Grundsatz Kooperation statt Konfrontation zwischen Finanzbehörden und Unternehmen muss auch im digitalen Zeitalter der wesentliche Schlüssel bleiben“, betont Clemens. „Das bedeutet, der zunehmende Einsatz von KI und anderen digitalen Prüfungstools durch die Finanzverwaltung muss diesen Grundsatz stärken, er darf ihn nicht gefährden.“
Deshalb brauche es Transparenz hinsichtlich der von der Finanzverwaltung angewandten Prüfkriterien. Und wenn digitale Prüfansätze der Verwaltung Auffälligkeiten beim geprüften Unternehmen aufzeigten, so sei es wichtig, dass die Firma frühzeitig angehört werde, um Stellung nehmen zu können. „Prüfungstools der Finanzverwaltung können daher allenfalls ein digitales Vorwarnsystem sein, sie dürfen aber nicht zu sofortigen Sanktionen führen“, betont Clemens.
Vorschriften entschlacken, nicht verkomplizieren
Zudem ermöglichten nur klare, verständliche Regeln echte Tax Compliance. Der Gesetzgeber sei daher gefordert, Vorschriften zu entschlacken, statt sie zu verkomplizieren. „Deshalb werben wir bei den Finanzbehörden dafür, dass sie die bestehenden gesetzlichen Regeln nicht profiskalisch auslegen, sondern erst einmal im Sinne einer Vertrauenskultur davon ausgehen, dass die Unternehmen die Regeln auch erfüllen wollen.“
Der digitale Schub in der Finanzverwaltung kann umgekehrt aber auch für Unternehmen nutzbar sein. Beispielsweise sei denkbar, digitale Prüfungstools zum Selbstcheck einzusetzen, „um im Rahmen von freiwilligen Compliance-Checks besser auf künftige Steuerprüfungen vorbereitet zu sein“, so der Steuerexperte.
Strukturierte Sammelwut zahlt sich aus
Insgesamt sei es wichtig, dass die Betriebe mögliche Prüfungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Das Thema ist für Unternehmen jedweder Größe relevant. Steuerprüfungen können nicht nur größere Unternehmen, sondern auch kleinere und mittlere betreffen“, sagt Clemens. „Eine gute Vorbereitung ist generell ein wichtiger Faktor, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.“
Dem kann Raimund Mader, Vizepräsident der Steuerberaterkammer München und selbst Steuerberater wie Wirtschaftsprüfer, aus seiner täglichen Praxis nur zustimmen. „Wer Prozesse, Belege und Daten dauerhaft sauber strukturiert hat, geht deutlich entspannter in eine Betriebsprüfung als jemand, der erst kurz nach der Prüfungsankündigung alles aufbereitet.“
Digitaler heißt effizienter
Organisationsfragen wie: Sind die Daten vollständig? Haben wir alle Verträge und Belege greifbar? trieben die Unternehmer bei einer Außenprüfung nämlich meist stärker um als die eigentliche Steuerangst, so der Experte. Wer heute schon konsequent digital arbeite, habe in der Prüfung zudem einen echten Effizienzvorsprung.
Mader hat die bayerische Finanzverwaltung bisher als überwiegend sachlich und fair im Umgang erlebt. „Ausnahmen gibt es natürlich immer, aber mit guter Vorbereitung bleibt es handhabbar.“ So will er Unternehmen ein wenig die Angst vor der Außenprüfung nehmen. Zumal deren Ablauf recht planbar ist: Prüfungsankündigung, Auftaktgespräch, Datenauswertung, Rückfragen, Schlussbesprechung, Bericht – nach diesem Schema laufe eine Betriebsprüfung in der Regel ab. Geklärt werden müsse hingegen häufig, wie geprüft wird, „wie also der Datenzugriff erfolgt, in welchen Formaten, und wer mit wem spricht“.
Experten dazuholen
Mader rät daher jedem Unternehmer, gegebenenfalls Experten aus der Buchhaltung und den firmeneigenen IT-Spezialisten mit einzubinden und von Beginn an den Steuerberater. Dieser könne den Unternehmer in allen Phasen der Außenprüfung beratend unterstützen, Erwartungen klären, was bis wann geprüft wird, beim Daten- und Prozesscheck helfen, Prüfungsschwerpunkte mit seinem Mandanten durchspielen, bei Gesprächen mit dem Betriebsprüfer als „Übersetzer“ fungieren und gezielte Rückfragen stellen.
Nach der Prüfung bereite er die Schlussbesprechung vor, inklusive Positionen, Zahlen und Kompromisslinien. Den Check des Prüfungsberichts und etwaiger Bescheide übernimmt er auf Wunsch. „Und wenn nötig, kann er auch fristgerecht Einspruch dagegen erheben“, so Mader.
Buch mit 7 Siegeln: die Verfahrensdokumentation
Die Prüfer erwarteten „nachvollziehbare, vollständige und unveränderbare Daten mit einer klaren Dokumentation“ im Sinne der GoBD-Richtlinien, Stichwort: Verfahrensdokumentation. Hier wie bei der Datenqualität könnten viele Unternehmen noch Unterstützung gebrauchen, sagt Mader.
Die aus Sicht der Finanzverwaltung notwendige Verfahrensdokumentation ist so etwas wie ein Handbuch zum jeweiligen Unternehmen und ermöglicht Betriebsprüfern und dem Finanzamt, die digitalen Steuerunterlagen nachzuvollziehen und nachzuprüfen. „Sie dient dazu, nachweisen zu können, dass bei der Verarbeitung von digitalen Dokumenten die Anforderungen des Handelsgesetzbuchs (HGB), der Abgabenordnung (AO) und der GoBD für die Erfassung, Verbuchung, Verarbeitung, Aufbewahrung und Entsorgung von Daten sowie Belegen erfüllt sind“, so der Steuerexperte.
Steuerberater als Datenquelle
Viele Kanzleien und Steuerbüros bieten die Erstellung einer Verfahrensdokumentation als Dienstleistung an. Mitunter kann es sich lohnen, diesen Service zu nutzen, „denn viele Daten, die zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation benötigt werden, liegen dem Steuerberater ohnehin bereits vor“, sagt Mader. Auch die Finanzverwaltung selbst verfügt schon über bestimmtes Datenmaterial, etwa eingereichte Erklärungen, E-Bilanzen und Meldungen. „Trotzdem kann es praktisch sein, diese Unterlagen intern griffbereit zu haben – das spart Zeit bei Rückfragen.“
IHK-Steuerfachmann Clemens rechnet damit, dass die Finanzverwaltung mit KI und anderen digitalen Tools die Vielzahl von Unternehmensdaten künftig mit weniger Aufwand auswerten und im Zusammenspiel mit externen Daten auch teilweise überprüfen kann. So lassen sich schon jetzt Angaben der Unternehmen beispielsweise in Zusammenhang mit Wetterdaten oder Veranstaltungen einer Stadt setzen. „Dies wird der Finanzverwaltung künftig bessere Datenanalysen ermöglichen und Plausibilitätschecks erleichtern“, gibt Clemens einen Ausblick.
„Menschlicher Blick bleibt unverzichtbar“
Unternehmen sollten sich auf die modernen Prüfmethoden der Finanzverwaltung einrichten: „Hierbei gilt aber: Der menschliche Blick bleibt unverzichtbar. KI und andere digitale Werkzeuge können Hilfestellung geben, dürfen aber nicht als abschließende Entscheidungsinstanz dienen.“