Der Abschlussbericht des Bundeswirtschaftsministeriums liest sich aber gut, der klingt abschnittsweise fast euphorisch.
Das mag für die Industrie zutreffen. Aber für alles, was mit Big Data und KI zu tun hat, muss man klar sagen: Die Unternehmen in den USA, China und Israel haben nicht nur mehr Kapital und besseren Zugang dazu, sie haben auch viel weniger Regulierung als wir und deutlich mehr Unterstützung. So sind wir auf lange Sicht nicht breit konkurrenzfähig, sondern nur in kleinen Teilbereichen.
Es gab viele Datenskandale, nicht nur bei Facebook. Daten von Versicherungen und Gesundheitsapps wurden weiterverkauft, Krebsbefunde lagen bei McDonalds rum – provoziert das nicht Regulierung?
Natürlich darf das nicht passieren, aber man muss den Menschen dann auch die ganze Wahrheit erzählen. Millionen Bundesbürger haben einen smarten Speaker bei sich zu Hause, mit dem sie kommunizieren. Das Unternehmen, von dem sie den Speaker haben, meldet ein Patent für eine Technik an, das aus diesen Sprachsignalen Gesundheitszustände erkennt. Das Patent wird angemeldet in den USA, wo der Datenschutz nicht so engmaschig ausgelegt wird. So wird Marktmacht ausgebaut.
Die EU-Kommission argumentiert, wir könnten mit den Siegeln datenschutzkonform und ethisch sauber auf dem Markt punkten.
Dann bekommen wir über die Hintertür genau das, was wir verhindern wollen. Dann werden Produkte aus Asien und den USA die Telemedizin und den Gesundheitsbereich beherrschen, weil sie die bessere Datenbasis haben als wir. Genau das macht ihre Systeme so viel besser. Es geht darum, die richtige Balance zu schaffen zwischen dem Vertrauen und dem Schutz der Menschen und den Möglichkeiten.
Wie könnte man diese Balance herstellen?
Pragmatische Ansätze für Prüfungen, schnelle Verfahren, standardisierte Zertifikate, die einer stringenten Methode folgen, können dies ermöglichen.
Was ist mit den Konsumenten? Spielen die weiter brav mit?
Die Leute werden immer das nutzen, was am besten und am einfachsten funktioniert. Stellen Sie sich vor, Sie haben Krebs, dann werden Sie immer das Produkt nehmen, das am besten hilft. Dann ist Ihnen der Datenschutz, salopp gesagt, egal, Sie wollen nur eines: wieder gesund werden. Die Anwendungsintensität ist natürlich situativ unterschiedlich und verändert sich auch dynamisch. Das müssen die Systeme abbilden können.
Was wäre Ihrer Ansicht nach zu tun?
Wir müssen deregulieren und schauen, wie es funktioniert. Wir brauchen einen standardisierten und pragmatischen, transparenten Zertifizierungsprozess, je nachdem, wofür die Technologie eingesetzt wird. Wir müssen damit Vertrauen in der Bevölkerung und auch bei den Unternehmen untereinander schaffen. Dieser Prozess muss aber auch für KMU umsetzbar sein, darf also nicht verwaltungs- und kostenintensiv sein. Wir müssen uns endlich erlauben, Fehler zu machen und daraus zu lernen, ohne dass die gesamte Vorarbeit als schlecht angesehen wird.
Sind uns China und USA technisch nicht schon längst enteilt?
Technisch können wir im Bereich KI das auch, was die Konkurrenten in China und den USA machen. Viele wesentliche Forschungsleistung aus dem Bereich kommt aus Europa, insbesondere aus Deutschland. Die Problematik liegt eher darin, die „PS“, die wir forschungsseitig entwickeln, tatsächlich quasi „ins Auto“ und „auf die Straße“ zu bringen. Da muss man ansetzen. Wachstumsförderung ist hier auch ein wesentlicher Punkt.
Wie haben Sie mit Ihrem Unternehmen auf die Pandemie reagiert?
Wir haben rund 80 Mitarbeiter an unseren beiden Standorten in Gilching und Berlin. Pandemie-bedingt ist unsere Arbeit momentan sehr stark vom Home-Office geprägt. Wir sind da sehr flexibel, was das angeht. Als Tech-Unternehmen tun wir uns da natürlich auch leichter als etwa ein Handwerksbetrieb.
Technologie-Firmen haben meist eine sehr bunte Belegschaft. Ist das auch bei audEERING so?
Wir haben einen Frauenanteil von 50 Prozent, unsere Mitarbeiter kommen aus 15 Nationen. Gerade bei innovationsgetriebenen Unternehmen finde ich diese Diversifikation unheimlich spannend. Die unterschiedlichen Sichtweisen bringen uns viel Input. Ich finde diese Vielfalt produktiv. Das Team hat sich sehr schön gefunden.
Bilden Sie aus?
Wir sind IHK-Ausbildungsbetrieb, was im KI-Bereich sehr spannend ist. Wir fördern junge Talente mit Ausbildungsberufen im Bereich Data-Management, Fachinformatiker, und wir sind dabei, mit Schüler-Praktika Jugendliche auch mit KI zu infizieren. Damit darf man nicht waren bis Mitte 20, wir müssen diese Faszination früher vermitteln. Wer programmieren kann und mit Mathe und Statistik früh vertraut ist, kann selbst viel besser entscheiden, ob und wie eine Technologie eingesetzt werden soll. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Außerdem ist KI sehr kreativ und insbesondere auch etwas für neugierige Menschen.