Ratgeber

Produktpiraterie und gefälschte Produkte

Das organisierte Verbrechen hat die Produktpiraterie als Geschäftsfeld entdeckt. Der Schaden ist enorm: Fälschungen vernichten in Deutschland mehr als 64.100 Arbeitsplätze.

Produktpiraterie: Aktueller Stand

Auch für das Jahr 2024 zeichnet sich ab: Produktpiraterie ist weiterhin verantwortlich für Milliardenverluste, verlorene Arbeitsplätze und Sicherheitsrisiken. Der Verkauf von Fakes und Fälschungen unterläuft Innovationen und Investitionen und ist für die Rechteinhaber mitunder existenzgefährdend. Entweder, weil es am Absatz der teureren Originale fehlt oder, weil das Image einers Herstellers oder Produkts durch die nachgeahmten Produkte nachhaltig geschädigt wird und deshalb der Absatz sinkt.

Die Aufklärung über die Möglichkeite und Notwendigkeit des Marken- und Patent- und Designschutzes gehört ebenso zum Kern der IHK-Arbeit wie der Austausch zum Thema mit dem Zoll und dem DPMA.

Praxistipps

Ein wichtiges Fundament im Schutz eigener Innovationen und Investitionen ist der Schutz des geistigen Eigentums (IP). Die Unternehmen selbst sind angehalten, aktiv zu werden: Unternehmen melden Erfindungen, Designs und Kennzeichen oft gar nicht als Schutzrechte ( Marke, Design, Patent ) an und nur wenige überwachen den Markt, um auf Verletzungen frühzeitig aufmerksam zu werden und seine Schutzrechte geltend zu machen.

Geistiges Eigentum, welches nicht als Schutzrecht bei den Patent- und Markenämtern angemeldet ist, kann jedoch weniger effektiv verteidigt werden. Es bietet sich also auch für kleine Unternehmen an, Designs, Marken und Patente schützen zu lassen.
Finanzielle Unterstützung bei der Anmeldung bietet zum Beispiel der EU-KMU-Fonds und das Bayerische Technologieförderungs-Programm plus (BayTP+).

Weiterhin sollte der Markt überwacht werden, damit Produktpiraterie nicht unentdeckt bleibt, sondern verfolgt werden kann. Auf EU-Ebene kann zur effektiven Überwachung und Zusammenarbeit mit den Zollbehörden das sog. IP Enforcement Portal herangezogen werden.
Wenn Fälschungen auf Online-Marktplätzen angeboten werden, hilft es oftmals auch, den Betreiber auf den Verkauf der Fälschungen aufmerksam zu machen. Plattformen haften nämlich ebenso wie die Verkäufer für Schutzrechtsverletzungen und sind damit selbst angehalten, den Verkauf zu unterbinden. Und seit dem Inkrafttreten des Digital Service Act (DSA) können Plattformen bei der Bundesnetzagentur auf einem Beschwerdeportalangezeigt werden, wenn Fälschungen und Plagiate über sie vertrieben werden.

Schaden für Europas Volkswirtschaft ‎

Produktpiraterie richtet massive volkswirtschaftliche Schäden an. Wie hoch der Schaden für die Volkswirtschaft in Europa tatsächlich ist, lässt sich schwer ermitteln. Die jüngsten verfügbaren Zahlen gibt es für 2016. Nach Angaben von EUIPO und OECD waren in diesem Jahr weltweit Kopien im Gesamtwert von 509 Milliarden Euro auf dem Markt. Das entspricht 3,3 Prozent des Welthandels.

Stark betroffene Branchen:

  • Kleidung
  • Kosmetik
  • Spiele
  • Arzneimittel
  • Smartphones
  • Alkoholika
  • Musikaufnahmen
  • Uhren
  • Schmuck
  • Taschen
  • Sportartikel und
  • Pestizide.

Europäische Hersteller kostet das Einnahmen von 60 Milliarden Euro pro Jahr, den EU-Staaten Steuern und Sozialabgaben von jährlich 16,3 Milliarden Euro. Fälschungen vernichten in der EU direkt knapp 470.000 Arbeitsplätze, in Deutschland mehr als 64.100.

Lukrativer als der Drogenhandel

Das Geschäft mit Raubkopien ist einmalig lukrativ. Laut Handelsblatt liegt die Gewinnspanne bei gefälschten Zigarettenmarken und Arzneien weit über dem, was sich mit Heroin verdienen lässt. Im Vergleich zum Drogengeschäft liegen Haftstrafen und Bußgelder für Produktpiraten deutlich niedriger, wenn man sie überhaupt erwischt. In vielen Ländern behandeln Polizei, Justiz, Strafverfolger und Politik Produktpiraterie als zweitrangiges Problem. In den kommenden Urlaubswochen werden Händler an den Badestränden dieser Welt Millionen von Bundesbürgern gefälschte Adidas-Schuhe und Gucci-Taschen anbieten, ohne von Polizei und Behörden belästigt zu werden.

Online-Shops und Handelsplattformen sind der perfekte Vertriebskanal für Plagiate. Die Produktpiraten haben auch ihre Logistik optimiert. Die kopierten Markenartikel werden nicht mehr in Schiffscontainern verschickt, die sich vom Zoll relativ leicht kontrollieren und beschlagnahmen lassen. Die Ware wird inzwischen mit Tausenden kleiner Postsendungen in die Zielmärkte gebracht.

Rolle der Online-Plattformen

Nicht nur Marken-Hersteller haben seit langer Zeit den Eindruck, dass Handelsplattformen bislang zu wenig getan haben, um dieses Geschäft einzudämmen. Zwar hat Amazon inzwischen das „Project Zero“: Die Zahl der angebotenen Fälschungen soll auf null fallen. Die vier größten Handelsplattformen haben gemeinsam mit der EU-Kommission ein Abkommen zur Bekämpfung der Produktpiraterie geschlossen.

Inzwischen ist auch der Digital Service Act (DSA ) in Kraft getreten und legt Handelsplattformen neue Transparenzpflichten, Informationsplichten, Prüfplichten und Beschwerdeprozesspflichten auf. Temu und SHEIN zeigen aber aktuell, wie schwer es gleichwohl nach wie vor ist, dem Thema Herr zu werden und Plagiate und Produktfälschungen von Plattformen und aus Online-Shops zu verbannen. Denn eine echte Plattformhaftung gibt es auch mit dem DSA nicht - und selbst dann stünde man noch vor dem Problem einer Vollstreckung von Schutzrechten außerhalb der EU.

Hinzukommt, dass der DSA nur für Plattformen gilt, nicht aber für Online-Shops - und die sprießen im Netz - gerne mit Sitz außerhalb der EU, aber bestens von der EU zu erreichen - wie Pilze auf gedüngtem Boden und locken Verbraucher zum günstigen Shoppingerlebnis.

Preis ist für Verbraucher entscheidendes Kaufkriterium

Für Verbraucher zählt vor allem der Preis. Dem EUIPO-Bericht zufolge haben zehn Prozent der EU-Bürger in den jüngsten 12 Monaten einen gefälschten Markenartikel gekauft. 27 Prozent halten das moralisch für richtig, wenn der Originalhersteller hohe Preise verlangt. Junge europäische Konsumenten zwischen 15 und 24 Jahren haben noch weniger Skrupel. Von ihnen finden 41 Prozent den Kauf von Schwarzware für legitim.

Blogger geben Interessenten Tipps, wie man „Antidumpingzölle“ umgehen kann und Warensendungen werden zerteilt, um unter der Zollfreigrenze zu bleiben und im Zoll nicht überprüft zu werden. Dazu setzen FakeShops auf bewusste Täuschung der Verbraucher über den eigentlichen Standort ("Homewashing"). Für Verbraucher ist in dem inzwischen mit KI-Hilfe leicht zu erstellenden Storytelling auf den Websites nur mit erheblichem Aufwand zu erkennen, dass sie gar nicht bei einem EU-Anbieter kaufen. Manchmal findet man Hinweise darauf bei den Anggaben zur Retourenadresse im Kleingedruckten oder man wird misstrauische wenn man auf GoogleMaps im Satellitenbild unter den Angegeben Shopadresse ein Fulfillmentcenter entdeckt.

Die geprellten Markeninhaber (und Verbraucher) sind fast hilflos. Die Löschung eines Fake-Shops ist bisher rechtlich sehr aufwändig und meist langfristig wenig erfolgreich, weil sofort neue Shops auftauchen.

Gegen Produktpiraten vorzugehen ist schwierig

Trotz der theoretischen Möglichkeiten tun sich Unternehmen schwer, juristisch gegen Produktpiraten vorzugehen. Die gefälschte Ware kommt größtenteils aus China, Indien, der Türkei, Malaysia und Pakistan. Einen Prozess außerhalb der EU zu führen, kommt teuer. Unternehmen müssen hier mit von ihnen vorzuschießenden Kosten von 250.000 Euro rechnen.

Ein Hintergrund ist, dass Regierungen weltweit versuchen, mit der Schaffung von Freihandelszonen Investoren und Produktion in ihr Land zu bringen. Freihandelszonen sind aber auch Brutstätten der Produktpiraterie: Steuerfreiheit, kaum Bürokratie und Kontrolle, zollfreie Einfuhr von Rohstoffen und Teilen – all das macht das Fälschen super attraktiv.

Die G7-Staaten haben das Thema inzwischen immerhin auf der Agenda. Kürzlich wurde eine verstärkte Zusammenarbeit beschlossen.

Unternehmen werden auch selbst aktiv und informieren öffentlichkeitswirksam zum Thema. Beispelsweise wird jährlich der Plagiarius verliehen,

Auch Digital Service Act und EU-Plan für sicheren, nachhaltigen und fairen Online-Handel bieten Ansatzpunkte für eine bessere Verfolgbarkeit der unfairen Anbieter, Stichwort: Know-your-customer-Prinzip und Pflichten für Onlinemarktplätze.

Suchmaschinen und die Handelsplattform sind in der Pflicht

Die Misere muss nach Ansicht der IHK Konsequenzen haben. „Suchmaschinen und die Handelsplattform müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Wenn sie die Selbstreinigung nicht schaffen, ist der Gesetzgeber gefordert. Wir müssen wohl auch die Zusammenarbeit mit allen Akteuren – Unternehmen, Zoll, Interpol – verstärken. Zu prüfen ist ferner, ob sich über Digitalisierung auch die Durchsetzung von Schutzrechten verbessern lässt. Und schließlich müssen wir das Thema endlich ganz oben auf die politische Agenda setzen“, erklärt Winkhaus. Einen Lichtblick gibt es schon. Seit Produktpiraten die eigenen Unternehmen schädigen, zeigt sich Chinas Regierung offener für Maßnahmen gegen die Fälscher.

Den EUIPO-Statusbericht gibt es in einer Kurzfassung und in voller Länge auf der Internetseite der Behörde.

IHK-Position:

Die Digitalisierung und Plattformökonomie haben den weltweiten Handel mit Waren über Online-Shops alltäglich gemacht. Zugleich steigen Produktion und Vertrieb gefälschter Produkte enorm und stetig. Digitale Vertriebsketten bilden dafür zentrale Schnittstellen. Daraus resultieren gewaltige Schäden und Wettbewerbsnachteile für die deutsche und europäische Wirtschaft. Betroffene Unternehmen scheitern immer wieder an der Durchsetzung ihrer Rechte, weil Verantwortliche nicht greifbar sind.
Auf der anderen Seite stehen die Verbraucher, die zugleich Leidtragende und Multiplikatoren sind.

Bisherige Lösungsansätze konzentrieren sich vorwiegend darauf, Verbraucher vor offensichtlichen Gefahren durch gefälschte Produkte zu schützen. Die Schäden und Geschädigten durch Produktpiraterie sind jedoch weitaus vielfältiger: Verbrauchertäuschung, Rufschädigung und Geschäftsschädigung der betroffenen Unternehmen gehen Hand in Hand.

Aus Sicht der oberbayerischen Wirtschaft sollte die Politik deshalb:

1. die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte im Internet effektiver gestalten, das heißt:

  • Neue Ansätze für wirksame Rechtsdurchsetzung finden
  • Dabei Digitale Vertriebsketten berücksichitgen
  • Moderne Verantwortungskonzepte entwickeln
  • Gesetzliche Handlungs- und Sorgfaltspflichten statt freiwiliger Selbstverpflichtungen einführen
  • Meldesysteme stärken und EU-weit standardisieren

2. die Verbrauchersouveränität stärken und Awareness fördern

Verbraucher sind ein wichtiger und oft unterschätzter Spielmacher und sogar Schiedsrichter auf dem Markt. Ihnen kommt eine wichtige Rolle im Kampf für fairen Wettbewerb und gegen Wettbewerbsverzerrung zu. Immer neue Kennzeichnungs- und Informationspflichten können Verbraucher nicht vor Marktteilnehmern schützen, die sich bewusst so aufstellen, dass diese Pflichten gegen sie nicht durchgesetzt werden können. Erfolgreicher Verbraucherschutz kann nur mit dem Verbraucher gemeinsam gelingen.

Hier finden Sie das vollständige IHK-Positionspapier Produktpiraterie und Plattformökonomie 2020