Produktpiraterie und gefälschte Produkte

Das organisierte Verbrechen hat die Produktpiraterie als Geschäftsfeld entdeckt. Der Schaden ist enorm: Fälschungen vernichten in Deutschland mehr als 64.100 Arbeitsplätze.

Produktpiraterie: Aktueller Stand

Auch für das Jahr 2023 zeichnet sich ab: Produktpiraterie wird weiter "im Trend" liegen. Nachdem zuletzt 2019 ein Statusbericht des EU-Amts für geistiges Eigentum (EUIPO) das Ausmaß der Produktpiraterie in der EU aufgezeigt hat (s.u.), legt eine aktuelle Studie des EUIPO noch einmal nach: Kleine und mittlere Unternehmen, die Opfer von Produktpiraterie geworden sind, haben eine 34% geringere Chance, auch fünf Jahre danach noch zu bestehen.

Die Aufklärung über die Notwendigkeit des Marken- und Patent- und Designschutzes gehört ebenso zum Kern der IHK-Arbeit wie gemeinsame Informationsveranstaltungen mit dem Zoll.

Praxistipps

Aber auch die Unternehmen selbst sind angehalten, aktiv zu werden. Der Großteil kleinerer Unternehmen meldet Erfindungen, Designs und Kennzeichen erst gar nicht als Schutzrechte an. Von den wenigen KMU, welche über eingetragene Schutzrechte vefügen, überwachen 40% nicht den Markt, um auf Verletzungen aufmerksam zu werden.

Geistiges Eigentum, welches nicht als Schutzrecht bei den Patent- und Markenämtern angemeldet ist, kann jedoch weniger effektiv verteidigt werden. Es bietet sich also auch für kleine Unternehmen an, Designs, Marken und Patente schützen zu lassen.
Finanzielle Unterstützung bei der Anmeldung bietet zum Beispiel der EU-KMU-Fonds und das Bayerische Technologieförderungs-Programm plus (BayTP+).

Weiterhin sollte der Markt überwacht werden, damit Produktpiraterie nicht unentdeckt bleibt, sondern verfolgt werden kann. Auf EU-Ebene kann zur effektiven Überwachung und Zusammenarbeit mit den Zollbehörden das sog. IP Enforcement Portal herangezogen werden.
Wenn Fälschungen auf Online-Marktplätzen angeboten werden, hilft es oftmals auch, den Betreiber auf den Verkauf der Fälschungen aufmerksam zu machen. Plattformen haften nämlich ebenso wie die Verkäufer für Schutzrechtsverletzungen und sind damit selbst angehalten, den Verkauf zu unterbinden.

Schaden für Europas Volkswirtschaft ‎

Produktpiraterie richtet inzwischen massive volkswirtschaftliche Schäden an. Wie hoch der Schaden für die Volkswirtschaft in Europa tatsächlich ist, lässt sich schwer ermitteln. Die jüngsten verfügbaren Zahlen gibt es für 2016. Nach Angaben von EUIPO und OECD waren in diesem Jahr weltweit Kopien im Gesamtwert von 509 Milliarden Euro auf dem Markt. Das entspricht 3,3 Prozent des Welthandels.

Stark betroffene Branchen:

  • Kleidung
  • Kosmetik
  • Spiele
  • Arzneimittel
  • Smartphones
  • Alkoholika
  • Musikaufnahmen
  • Uhren
  • Schmuck
  • Taschen
  • Sportartikel und
  • Pestizide.

Europäische Hersteller kostet das Einnahmen von 60 Milliarden Euro pro Jahr, den EU-Staaten Steuern und Sozialabgaben von jährlich 16,3 Milliarden Euro. Fälschungen vernichten in der EU direkt knapp 470.000 Arbeitsplätze, in Deutschland mehr als 64.100.

Lukrativer als der Drogenhandel

Das Geschäft mit Raubkopien ist einmalig lukrativ. Laut Handelsblatt liegt die Gewinnspanne bei gefälschten Zigarettenmarken und Arzneien weit über dem, was sich mit Heroin verdienen lässt. Im Vergleich zum Drogengeschäft liegen Haftstrafen und Bußgelder für Produktpiraten deutlich niedriger, wenn man sie überhaupt erwischt. In vielen Ländern behandeln Polizei, Justiz, Strafverfolger und Politik Produktpiraterie als zweitrangiges Problem. In den kommenden Urlaubswochen werden Händler an den Badestränden dieser Welt Millionen von Bundesbürgern gefälschte Adidas-Schuhe und Gucci-Taschen anbieten, ohne von Polizei und Behörden belästigt zu werden.

Online-Shops und Handelsplattformen sind der perfekte Vertriebskanal für Plagiate. Die Produktpiraten haben auch ihre Logistik optimiert. Die kopierten Markenartikel werden nicht mehr in Schiffscontainern verschickt, die sich vom Zoll relativ leicht kontrollieren und beschlagnahmen lassen. Die Ware wird inzwischen mit Tausenden kleiner Postsendungen in die Zielmärkte gebracht.

Rolle der Online-Plattformen

Nicht nur Marken-Hersteller haben den Eindruck, dass die Handelsplattformen bislang zu wenig getan haben, um dieses Geschäft einzudämmen. Das soll nun anders werden. Amazon hat beispielsweise das „Project Zero“ angekündigt: Die Zahl der angebotenen Fälschungen soll auf null fallen. Die vier größten Handelsplattformen haben gemeinsam mit der EU-Kommission ein Abkommen zur Bekämpfung der Produktpiraterie geschlossen. Zumindest bei gefährlichen Fälschungen soll ein „Rapid Alert System“ anspringen – gemeinsam will man Plagiate aus dem Online-Regal nehmen und gegen deren Hersteller vorgehen.

Preis ist für Verbraucher das entscheidende Kriterium

Wer sich durch die Online-Marktplätze klickt, zweifelt, ob dieses Vorhaben mit letzter Konsequenz umgesetzt wird. Auf dem Google-eigenen Videokanal Youtube finden sich „Reviews“ zu unfassbar günstigen Produkten. Da werden etwa No-name-Carbonrahmen aus China angepriesen, die nur ein Bruchteil dessen kosten, was für Original-Rennradrahmen von renommierten Marken wie „Specialized“ zu „Pinarello“ zu bezahlen wäre. Blogger geben Interessenten Tipps, wie man „Antidumpingzölle“ umgehen kann. „Fake Shops“ setzen auf bewusste Täuschung. Für Verbraucher sind diese gefälschten Onlineshops kaum zu erkennen. Sie kaufen mit gutem Gewissen unfassbar billig ein. Die geprellten Markeninhaber sind dagegen fast hilflos. Die Löschung eines Fake-Shops ist bisher rechtlich sehr aufwändig und meist wenig erfolgreich.

Für Verbraucher zählt nur der Preis. Dem EUIPO-Bericht zufolge haben zehn Prozent der EU-Bürger in den jüngsten 12 Monaten einen gefälschten Markenartikel gekauft. 27 Prozent halten das moralisch für richtig, wenn der Originalhersteller hohe Preise verlangt. Junge europäische Konsumenten zwischen 15 und 24 Jahren haben noch weniger Skrupel. Von ihnen finden 41 Prozent den Kauf von Schwarzware für legitim.

Gegen Produktpiraten vorzugehen ist schwierig

Trotz der theoretischen Möglichkeiten tun sich Unternehmen schwer, juristisch gegen Produktpiraten vorzugehen. Die gefälschte Ware kommt größtenteils aus China, Indien, der Türkei, Malaysia und Pakistan. Ein Problem: Einen Prozess in China zu führen, kommt teuer. Unternehmen können hier mit Kosten von 250.000 Euro rechnen.

Ein Problem ist, dass Regierungen weltweit versuchen, mit der Schaffung von Freihandelszonen Investoren und Produktion in ihr Land zu bringen. Freihandelszonen sind aber auch Brutstätten der Produktpiraterie: Steuerfreiheit, kaum Bürokratie und Kontrolle, zollfreie Einfuhr von Rohstoffen und Teilen – all das macht das Fälschen super attraktiv.

Immerhin: Die G7-Staaten haben das Thema inzwischen auf der Agenda. Kürzlich wurde eine verstärkte Zusammenarbeit beschlossen.

Suchmaschinen und die Handelsplattform sind in der Pflicht

Die Misere muss nach Ansicht von IHK-Juristin Winkhaus Konsequenzen haben. „Suchmaschinen und die Handelsplattform müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Wenn sie die Selbstreinigung nicht schaffen, ist der Gesetzgeber gefordert. Wir müssen wohl auch die Zusammenarbeit mit allen Akteuren – Unternehmen, Zoll, Interpol – verstärken. Zu prüfen ist ferner, ob sich über Digitalisierung auch die Durchsetzung von Schutzrechten verbessern lässt. Und schließlich müssen wir das Thema endlich ganz oben auf die politische Agenda setzen“, erklärt Winkhaus. Einen Lichtblick gibt es schon. Seit Produktpiraten die eigenen Unternehmen schädigen, zeigt sich Chinas Regierung offener für Maßnahmen gegen die Fälscher.

Den EUIPO-Statusbericht gibt es in einer Kurzfassung und in voller Länge auf der Internetseite der Behörde.

IHK-Position:

Die Digitalisierung und Plattformökonomie haben den weltweiten Handel mit Waren über Online-Shops alltäglich gemacht. Zugleich steigen Produktion und Vertrieb gefälschter Produkte enorm und stetig. Digitale Vertriebsketten bilden dafür zentrale Schnittstellen. Daraus resultieren gewaltige Schäden und Wettbewerbsnachteile für die deutsche und europäische Wirtschaft. Betroffene Unternehmen scheitern immer wieder an der Durchsetzung ihrer Rechte, weil Verantwortliche nicht greifbar sind.
Auf der anderen Seite stehen die Verbraucher, die zugleich Leidtragende und Multiplikatoren sind.

Bisherige Lösungsansätze konzentrieren sich vorwiegend darauf, Verbraucher vor offensichtlichen Gefahren durch gefälschte Produkte zu schützen. Die Schäden und Geschädigten durch Produktpiraterie sind jedoch weitaus vielfältiger: Verbrauchertäuschung, Rufschädigung und Geschäftsschädigung der betroffenen Unternehmen gehen Hand in Hand.

Aus Sicht der oberbayerischen Wirtschaft sollte die Politik deshalb:

1. die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte im Internet effektiver gestalten, das heißt:

  • Neue Ansätze für wirksame Rechtsdurchsetzung finden
  • Dabei Digitale Vertriebsketten berücksichitgen
  • Moderne Verantwortungskonzepte entwickeln
  • Gesetzliche Handlungs- und Sorgfaltspflichten statt freiwiliger Selbstverpflichtungen einführen
  • Meldesysteme stärken und EU-weit standardisieren

2. die Verbrauchersouveränität stärken und Awareness fördern

Hier finden Sie das vollständige IHK-Positionspapier Produktpiraterie und Plattformökonomie 2020