Ausgleichsanspruch für Handelsvertreter
Der Ausgleichsanspruch ist ein zentrales Institut des deutschen Handelsvertreterrechts und kann nicht im Voraus ausgeschlossen werden. Ein Ausgleichsanspruch ist grundsätzlich nicht nur beim Handelsvertreter möglich, sondern, unter Vorliegen bestimmten Voraussetzungen, auch bei anderen Vertriebsmittlern. § 89b HGB ist dementsprechend analog für den Vertragshändler wie auch den Franchisenehmer anwendbar, wenn ein Vertragshändler/Franchisenehmer einerseits wie ein Handelsvertreter in die Absatzorganisation des Herstellers/Franchisegebers eingegliedert ist und zum anderen verpflichtet ist, den Kundenstamm nach Beendigung des Vertrages dem Hersteller/Franchisegeber zu überlassen. Denkbar ist ein Ausgleichsanspruch unter bestimmten Voraussetzungen auch beim Kommissionagenten, nicht aber beim Handelsmakler.
Der Handelsvertreter kann nach seinem Ausscheiden in der Regel für den von ihm aufgebauten oder intensivierten Kundenstamm, den er dem Unternehmer zurücklässt, eine angemessene Ausgleichszahlung verlangen. Dieser Anspruch kann von den Vertragsparteien im Vorhinein weder wirksam ausgeschlossen noch in Abweichung vom Gesetz qualitativ beschränkt werden. Er ist innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen.
Es empfiehlt sich, alle erhaltenen Provisionsabrechnungen Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr geordnet aufzubewahren, und zwar so, dass jeder einzelne provisionsauslösende Abschluss, soweit die Provisionsabrechnung des Unternehmers nicht ohnehin eine lückenlose Auflistung enthält, einer Provisionsabrechnung zugeordnet werden kann. Dies sollte strikt für die gesamte Dauer der Zusammenarbeit eingehalten werden. Ansonsten kommt es zu Zeitverlusten von Wochen oder Monaten, bis nach dem Ausscheiden der Ausgleichsanspruch halbwegs - wenn überhaupt noch - berechnet werden kann. Es droht Anspruchsverlust, soweit Provisionszahlungen nicht mehr nachverfolgt werden können.
Eine Klärung von unklaren oder möglicherweise falschen Provisionsabrechnungen sollte zeitnah und nicht erst bei Vorleigen der Kündigung, ggf. durch Geltendmachung der Ansprüche auf Auskunft, Buchauszug und Bucheinsicht nach § 87c HGB, angestrebt werden, da beim Auseinandergehen zumindest ein Teil des für den Ausgleichsanspruch interessierenden letzten Fünfjahreszeitraums bereits verjährt sein dürfte.
Zeichnet sich die Notwendigkeit einer Eigenkündigung aus Krankheitsgründen ab, sollten nach dem Auftreten der Erkrankung ärztliche Atteste, die sich insbesondere auch auf die Zumutbarkeit der Fortführung der konkreten Handelsvertretertätigkeit beziehen, eingeholt und verwahrt werden. Werden Erkrankung und Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Tätigkeit nachher im Prozess bestritten, ist der Gesundheitszustand anderenfalls rückwirkend nur sehr schwer nachzuweisen.
Es empfiehlt sich, dass bei Beginn der Zusammenarbeit ein Altkundenverzeichnis mit den aktuellen Jahresumsätzen der vorhandenen Kunden erstellt und dem Vertrag beigefügt wird, um damit bereits im Vorfeld späterem Streit und Beweisschwierigkeiten bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs bestmöglich vorzubauen.
Ein Handelsvertreter, der Jahre hauptberuflich für ein Unternehmen tätig gewesen ist, sollte sich davor hüten, sich am Ende der Zusammenarbeit in ein nebenberufliches Handelsvertreterverhältnis nach § 92b HGB abschieben zu lassen, weil sonst der Ausfall des Ausgleichsanspruchs droht!
Im Hinblick auf die steuerlich ohnehin erforderlichen und vorstehend auch aus rechtlicher Sicht beiden Parteien eines Handelsvertreterverhältnisses dringend nahegelegten Aufbewahrungs- und Aufzeichnungsobliegenheiten (Provisionsabrechnungen, Kundenlisten etc.) sind beide Seiten, die Daten über (eine Vielzahl von) Geschäftspartner, Kunden etc. erhaben und aufbewahren, gefordert, stets den Grundsätzen der DSGVO zu entsprechen, was sich auf die Aufbewahrung der persönlichen Daten sowohl in EDV-Dateien als auch in den Ausdrucken bezieht.
Definition des Ausgleichsanspruchs
Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich nach § 89b Absatz 1, Satz 1 HGB verlangen, wenn und soweit
- der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat,
und
- die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.
Man kann den Ausgleichsanspruch vertraglich nicht ausschließen, er muss immer gewährt werden.
Die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs sind:
- Beendigung des Vertragsverhältnisses
- Werbung neuer Kunden oder Intensivierung von Altkunden
- Erhebliche Unternehmervorteile
- Billigkeitsprüfung.
Vertragsbeendigung
Der Vertrag mit dem Handelsvertreter kann beendet werden durch Kündigung durch den Unternehmer, einverständliche Vertragsaufhebung, Tod (dann Anspruch der Erben) und unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Eigenkündigung des Handelsvertreters.
Werbung neuer Kunden oder Intensivierung von Altkunden
Der Ausgleichsanspruch entsteht, wenn der Handelsvertreter neue Kunden wirbt, die zu Beginn des Vertrags noch keine Kunden waren und die während der Zusammenarbeit vom Handelsvertreter akquiriert wurden. Die Ausgleichspflicht gilt auch für "intensivierte" Altkunden, was bedeutet, dass ein solcher Altkunde ausgleichspflichtig ist, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsbeziehung mit diesem Kunden so stark ausgebaut hat, dass dies wirtschaftlich einer Neukundenakquise entspricht.
Die Ausgleichspflicht gilt nicht für "nicht intensivierte" Altkunden und Kunden, von denen der Unternehmer keine weiteren Geschäfte erwarten kann, zum Beispiel weil sie zum Zeitpunkt der Beendigung des Handelsvertretervertrages insolvent oder bereits zur Konkurrenz gewechselt sind.
Erhebliche Unternehmervorteile
Der Unternehmer muss Geschäftsbeziehungen behalten, die die Möglichkeit für zukünftige Bestellungen innerhalb eines absehbaren Zeitraums eröffnen. Diese Möglichkeit wird am Stichtag (dem Ende des Vertragsverhältnisses) bewertet, indem man die Abschlüsse mit den betreffenden Kunden innerhalb der letzten 12 Monate des Vertragsverhältnisses betrachtet. Bei langfristigen Produkten, die Kunden erst nach mehreren Jahren erneut bestellen, kann auch ein längeres Zeitintervall in Betracht gezogen werden. Der Handelsvertreter kann sich im Rechtsstreit grundsätzlich auf die Vermutung berufen, dass die Unternehmervorteile (mindestens) den Provisionsverlusten des Handelsvertreters entsprechen.
Billigkeitsprüfung
Der Ausgleichsanspruch kann unter bestimmten Umständen erhöht, verringert oder sogar komplett ausgeschlossen werden. Der Billigkeitsgrundsatz spielt dabei eine entscheidende Rolle, um die angemessene Höhe des Ausgleichsbetrags zu bestimmen. Der wichtigste Aspekt bei der Anwendung des Billigkeitsgrundsatzes ist die Berücksichtigung der dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen aus Geschäften mit den von ihm geworbenen oder intensivierten Kunden.
Der Ausgleichsanspruch kann aus verschiedenen Gründen reduziert werden, darunter:
- aufgrund der Sogwirkung einer Marke,
- bei Leistungen des Unternehmers zur Altersversorgung des Handelsvertreters,
- bei außergewöhnlichen Beiträgen des Unternehmers zum Absatz des Vertreters mittels Werbeetat oder Zuschüssen zu den Unkosten,
- wegen der Ersparnis von Ausgaben (wenn die Unkosten der Vertretung besonders hoch waren) oder
- bei einer Möglichkeit der Weiternutzung des Kundenstammes durch den Handelsvertreter nach Übernahme einer Konkurrenzvertretung.
Zudem kann eine Herabsetzung des Ausgleichsanspruchs auch aufgrund der Umstände der Vertragsbeendigung eintreten, insbesondere wenn der Handelsvertreter grob fahrlässig gehandelt hat.
Bei der Prüfung der Billigkeit können verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, die zu einer Erhöhung des Ausgleichsanspruchs führen können. Dazu gehören:
- Die langjährige und erfolgreiche Tätigkeit des Handelsvertreters.
- Die besonderen schwierigen und aufwendigen Bemühungen des Handelsvertreters bei der Kundengewinnung.
- Unter Umständen eine Einstandszahlung, die der Handelsvertreter bei Übernahme der Vertretung geleistet hat.
- Schließlich kann auch ein besonders vertragswidriges Verhalten des Unternehmers, das zur Beendigung des Vertragsverhältnisses geführt hat, eine erhöhende Rolle spielen.
Zurück zum Inhalt