Nachhaltigkeit beim Regionalausschuss Starnberg

Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller: "Vision eines guten Lebens"

Empfang Regionalausschuss Starnberg 2022
© Goran Gajanin

Die Rede der Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller steht im Mittelpunkt des Jahresempfangs am 26. Juli im Bürgerhaus in Pöcking. Ihr Credo: Nachhaltiges Wirtschaften bringt Unternehmen Vorteile.

Katja Lindo will Vernetzung fördern

Katja Lindo, Vorsitzende des Regionalausschusses Starnberg
© Goran Gajanin Katja Lindo, Vorsitzende des Regionalausschusses Starnberg

Neue Dinge ausprobieren – für diesen Anspruch steht Katja Lindo, Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses Starnberg. Dass sie das auch umsetzt, bewies der Jahresempfang des Ausschusses am 26. Juli 2022 im becult, dem Haus der Bürger und Vereine in Pöcking.

Während sich Kolumnisten und Fernsehexperten in diesen Tagen mit Hiobsbotschaften und düsteren Prognosen überschlagen, warb Lindo für Gelassenheit – und strahlte die auch aus. Sie sagte, auf globale Großrisiken wie Putin oder Pandemie habe rund um Starnberg ohnehin niemand Einfluss.

Umso mehr will Lindo regional handeln - den Kontakt zu Unternehmen suchen, die Vernetzung fördern, lokale Bündnisse schmieden. Sie rief die rund 120 Unternehmerinnen und Unternehmer dazu auf, die Ressourcen der IHK besser zu nutzen.

Was den Abend besonders erfrischend machte: Die sogenannte Keynote hielt eine junge, engagierte Frau: die Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller. Offensichtlich eine gute Wahl. Über das, was Meike Müller zu sagen hatte, wurde später in vielen kleinen Gesprächsrunden intensiv diskutiert.

Interview mit Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller

Meike Müller, Nachhaltigkeitsexpertin
© Goran Gajanin Meike Müller, Nachhaltigkeitsexpertin

Vor ihrem Vortrag nahm sich Meike Müller die Zeit für ein Interview mit IHK-Redakteur Martin Armbruster. In diesem freundlichen Gespräch rutschten Redakteur und Experten automatisch ins Du.

Meike, welche Botschaft bringst Du heute Abend hier nach Starnberg mit?

Ich freue mich auf alle Fälle total darüber, dass ich heute Abend hier mit dabei sein darf. Meine Botschaft klingt relativ simpel, auch wenn sie unheimlich viele Dimensionen hat: Nachhaltigkeit ist ein Innovationstreiber für die Unternehmen.

Wie willst Du das den Unternehmern näher bringen?

Wir werden erstmal gemeinsam in das Thema einsteigen mit den Fragen: Was sind eigentlich Innovationen? Wie kann ich mich als Unternehmen dem komplexen Thema Nachhaltigkeit stellen, um das Ganze griffig zu machen? Dann schauen wir uns an, wie sich mit Mitarbeitern und dem Umfeld eine Stimmung und Systemik aufbauen lässt, die ein Unternehmen wirklich innovativ macht.

Nachhaltigkeit ist ein Innovationstreiber für die Unternehmen.

Meike Müller, Nachhaltigkeitsexpertin

Nachhaltigkeit, darüber reden heute alle. Was verstehst Du denn unter dem Begriff?

Für mich bedeutet Nachhaltigkeit, gemeinsam auf die Vision eines guten Lebens hinzuarbeiten. Darum geht es: ein gutes Leben. Da hast jetzt Du eine Idee dazu, ich eine andere. Aber wir haben Hilfsmittel dafür, um zu klären, was ein gutes Leben ist. Die SDGs (Sustainable Development Goals, die Red.) zum Beispiel, die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung.

Glaubst Du, dass die SDGs tatsächlich Einfluss auf unser regionales Wirtschaftsleben haben?

Ja, die SDGs sind ein mächtiges Instrument. Man muss sich das vor Augen führen: Da haben sich 193 Staaten für sich eine Ziel-Charta erarbeitet, die definiert, was gutes Leben ausmacht. Da kann man sich total gut einklinken in diese Vision. Und dann muss man schauen, was macht das mit mir und mit meinem Unternehmen, wie kann ich mich diesem Thema annähern.

Es gibt Unternehmer, die sagen: Ich war schon immer innovativ. Ich mache meine Produkte immer besser, warum soll ich mir das nachhaltige Gedöns antun?

Erstens: Vielleicht ist das schon genau das Richtige, was da in dem Unternehmen passiert, nur wird das nicht mit dem Label Nachhaltigkeit etikettiert. Zweitens müssen wir halt schauen, was passiert gerade auf dem Markt. Die Kunden, die Politik - die ziehen bei dem Thema alle an. Wenn man das gesamtwirtschaftlich denkt, follow-the-money-mäßig, dann sieht man, dass größere Hedgefonds nur dann investieren, wenn ein Unternehmen klimaneutral oder kurz davor ist. Die Geldströme verändern sich.

Investoren und Kunden ticken heute anders, das Mindset hat sich komplett verändert.

Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller

Besteht nicht das Risiko, dass die Energie- und Rohstoffkrise Schluss macht mit der Nachhaltigkeit?

Nein, auch wenn wir jetzt temporär wieder mehr Kohle verheizen: Investoren und Kunden ticken heute anders, das Mindset hat sich komplett verändert. Wenn ich als Unternehmen ohnehin innovativ unterwegs bin, muss mir das keine Sorgen machen. Wenn ich jedes Jahr effizienter und besser werde, ist der Sprung dann gar nicht weit. Dann muss ich nur noch wenige Hausaufgaben machen.

Mir haben Unternehmer berichtet, dass die Kunden heute gezielt fragen: Wie wird das produziert? Wo kommt das Material dafür her?

Ja, das stimmt absolut. Das gilt auch für die Mitarbeiter. Die Rollen haben sich umgekehrt. Unternehmen müssen sich heute um Mitarbeiter bewerben. Die erste Frage, die von jungen Menschen an einen Arbeitgeber gestellt wird, lautet: Was tut Ihr für die Nachhaltigkeit? Wir spüren das auch in unserem Unternehmen. Wir bekommen viele Bewerbungen, weil alle sehen, dass wir da viel machen. Die Ansprüche an die Unternehmen werden deutlich steigen.

Hast Du einen Tipp, wie Unternehmer am besten in das Thema Nachhaltigkeit einsteigen können?

Wir sind heute hier bei der IHK für München und Oberbayern. Ich habe da mal in die Website reingeschaut. Die IHK gibt viele Tipps und Informationen auch im Kontext mit den SDGs. Das zu nutzen, ist schon einmal eine gute Idee.

Wie übersetze ich diese Informationen in die Praxis meines Unternehmens?

Ich empfehle, sich über die 17 SDGs dem Thema anzunähern. Einfach mal die Punkte anschauen und danach ganz klassisch eine SWOT-Analyse machen. Das geht relativ effizient, ohne großen Aufwand, sich einfach fragen: Wo liegen meine Stärken und Schwächen? Auf welche Risiken muss ich reagieren? Das können Gesetze oder verändertes Kundenverhalten sein. Spannend wird die Frage nach meinen Chancen. Dann sind wir ganz schnell beim Innovationsmanagement und dem Erkennen möglicher Informationen in meinem Unternehmen.

Muss ich mir dafür nicht auch meine Lieferkette genau ansehen?

Ja, dafür haben wir jetzt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das ist schon eine enorme Aufgabe für die Unternehmen. Jetzt einfach mal eine Lieferkette neu machen – sagen sie das mal einem Unternehmer. Aber ich werbe dafür, das auch als Chance zu sehen.

Wie sieht denn diese Chance aus?

Einfach mal die Lieferkette Punkt für Punkt durchgehen. Überzeugungsarbeit kann man sich da sparen. Einfach die Lieferanten herauspicken, die auch Bock auf Nachhaltigkeit haben. Die muss man belohnen, mit denen muss man starten. Wenn man vier oder fünf Piloten hat, wird das einen Strahleffekt für die Wettbewerber haben, dann wird automatisch etwas passieren.

Je klarer und präziser die Vorgaben der Politik sind, desto besser kann ich mich als Unternehmen darauf einstellen.

Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller

Muss man dafür extra neue Gesetze machen? Viele Unternehmen klagen über zusätzliche Bürokratie.

Die Unternehmen, die vor zehn oder zwanzig Jahren auf Nachhaltigkeit gesetzt haben, sind ein hohes Risiko gegangen. Die wussten nie: Was macht eigentlich die Politik? Je klarer und präziser die Vorgaben der Politik sind, desto besser kann ich mich als Unternehmen darauf einstellen. Dass es da Reibung gibt, ist klar. Die Firmen finden manche Vorgaben nicht klar genug, oder sie beklagen fehlende Zeit, um sich damit zu beschäftigen. Letztlich ist es aber so: Es braucht diese politischen Vorgaben.

Ansonsten bewegt sich nichts.

Fällt Unternehmern das Umdenken deshalb schwer, weil sie Dinge aufgeben müssen, mit denen sie viele Jahre lang erfolgreich waren?

Es braucht sicher Mut, neue Wege zu gehen. Wichtig ist auch das Netzwerken, der Austausch mit anderen Unternehmern. Dafür ist die Veranstaltung heute Abend doch der perfekte Rahmen. Man redet miteinander über das, was funktioniert oder nicht funktioniert. Der erste Schritt ist nicht so schwer. Unternehmen, die seit Jahrzehnten erfolgreich waren, sind Innovatoren. Das müssen sie sich nur bewusst machen. Diese Rolle müssen sie wieder annehmen.

Es könnte altgedienten Unternehmern schwerfallen, auf eine junge Frau zu hören.

Ich glaube nicht, dass es an Geschlechter-Rollen liegt. Das Thema rüttelt natürlich an dem Gesamtsystem. Wenn wir über zirkuläre Kreislaufwirtschaft oder Donut-Ökonomie (Berücksichtigung planetarer und sozialer Grenzen, die Red.) reden, kommen wir schnell in Sphären, in denen ein Modell sicher nicht mehr funktioniert: das des einsamen Patriarchen an der Firmen-Spitze.

Die Unternehmen werden für die Neuausrichtung Geld brauchen. Spielen da die Banken mit?

Alle Landesbanken und Hausbanken orientieren sich an den SDGs. Das Geschäft mit nachhaltigen Geldanlagen boomt. Sehr spürbar ist der Wandel im Immobiliensektor. Es gibt kaum noch Fälle, in denen eine Bank eine Immobilie finanziert, die nicht grünen Standards entspricht. Das wird durchsickern auf alle Sektoren der Wirtschaft.

Wer nicht nachhaltig ist, hat folglich auf Dauer ein Problem.

Ja, das fängt mit den Banken an. Aber auch da muss man die Chancen sehen. EU und Green Deal schaffen einen riesigen Fördertopf. Allein Deutschland bekommt für den Zeitraum von 2021 bis 2027 rund 9,7 Milliarden Euro, die auf die Bundesländer verteilt sind. Von dem Geld ist nicht viel abgegriffen worden. Hier wäre es für ein oberbayerisches Unternehmen eine gute Idee, mal zu fragen, was die Staatsregierung mit dem Geld vorhat, und was gefördert wird. Man sollte sich das Geld besorgen, das da liegt. Einen Punkt halte ich noch für wichtig …

Ja, bitte....

Ich finde, gerade mit Blick auf die Pariarchen, den Begriff Enkeltauglichkeit so spannend - oder die Enkelfähigkeit von Unternehmen. Das ist doch das Ziel jedes Mittelständlers. Er will irgendwann sein Unternehmen seiner Tocher oder seinem Sohn übergeben.

Die klassische Nachfolge innerhalb der Familie.

Ja, die funktioniert aber nur noch, wenn ein attraktives Unternehmen zu übergeben ist - in dem junge Leute arbeiten wollen, zu dem sich Kunden und Lieferanten hingezogen fühlen. Familienunternehmer denken langfristig. Das ist die perfekte Basis für die Nachhaltigkeit.

Wir haben in Oberbayern viele nachhaltig orientierte Unternehmen. Wie sieht das im übrigen Deutschland aus?

Ich kann da nur für Hamburg sprechen – und auch da ist das Thema sehr präsent. Das wird dort ebenfalls von der Handelskammer sehr gepusht. Wir haben Handelshäuser wie Otto, die sehr früh in die Nachhaltigkeit eingestiegen sind. Wir spüren im eigenen Unternehmen, wie groß die Nachfrage nach diesem Thema ist. Das höre ich auch von anderen grünen Beratungsunternehmen. Die können die vielen Aufträge kaum noch bewältigen.

Zur Person Meike Müller

Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller
© Goran Gajanin Nachhaltigkeitsexpertin Meike Müller

Meike Müller ist Lead Nachhaltigkeit des Beratungsunternehmens Phat Consulting. Sie hat eine Podcast-Reihe zu allen Aspekten der Nachhaltigkeit erstellt.