Rechts- und Steuerrahmen 4.0 für die Digitalisierung

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Die Digitalisierung der Wirtschaft betrifft nahezu alle Wirtschaftszweige und Branchen. Prozessabläufe, Akteure und Rollen bestehender Geschäftsmodelle wandeln sich, ganz neue Geschäftsmodelle entstehen.

Immer wieder fragen Unternehmen, Politik, Gesellschaft und Gesetzgeber, ob auch die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen zu „digitalisieren" seien. Im Rahmen des gesetzlichen Auftrags, das Gesamtinteresse der Wirtschaft zu vertreten, hat die IHK München zu ausgewählten Rechts- und Steuerthemen einen Steckbrief erstellt, welche Änderungen im Zuge der Digitalisierung notwendig sind.

Innovationsförderung und Digitalisierung

Worum geht es?

In der Digitalisierung ist technische Innovation dadurch gekennzeichnet, dass sie sich durch kollaborative Systeme (Wertschöpfungsketten entlang verschiedener Produktionsstufen) sowie in zunehmend automatisierten Prozessen entwickelt (Open Innovation, Open Source oder beispielsweise auch Customer Innovation/Source). Das deutsche Patent- und Urheberrecht geht vom sogenannten Schöpferprinzip aus: Erfinder kann danach nur eine natürliche Person sein. Dagegen gilt beispielsweise in den USA das sogenannte Investitionsprinzip, das unabhängig von einer natürlichen Person be- und entstehen kann.

Einschätzung

Das Interesse am Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist berechtigt. Dazu gehören zunehmend Daten. Entsteht technisches Know-how im Rahmen kollaborativer Arbeitsformen, ist es derzeit sehr aufwendig, die Rechte daran (Rechteallokation) zu gestalten. Im Rahmen der Digitalisierung werden Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle zunehmend von der Entwicklung standardessenzieller Patente (SEP) beeinflusst und abhängig. Sind standardessenzielle Technologien patentiert, kann das Auswirkungen auf den Wettbewerb haben.

  • Auch betriebliches Know-how, für das kein gewerbliches Schutzrecht besteht, muss gegen unbefugte Zugriffe geschützt sein. Die aktuelle EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Know-how-Schutzes gewährleistet dies.
  • Die Mindeststandards dieser EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Know-how-Schutzes sollten rasch umgesetzt und es sollten keine zu hohen Anforderungen an das neue Kriterium „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ gestellt werden.
  • Das bestehende und grundsätzlich ausreichende Schutzrechtesystem ist in Einklang mit technischen Möglichkeiten kollaborativen Zusammenwirkens in Forschung, Technik und Entwicklung zu bringen.
  • Dabei gilt: Der Grundsatz „Vertragsfreiheit vor Regulierung“ ermöglicht neue Geschäftsmodelle und schafft Anreize für offene Innovationsprozesse im B2B- und B2C-Bereich.

Fazit zum Know-How-Schutz in der Digitalisierung

Mindeststandards zur Harmonisierung des Know-how-Schutzes sollten rasch umgesetzt werden.

FRAND-Lizenzbedingungen (fair, reasonable and non-discriminatory), Stand der Technik und Musterklauseln können Akzeptanz für faire Teilhabe sichern.

Rechtssicherheit in der Digitalisierung schaffen

Worum geht es?

Bei Industrie 4.0 handeln Maschinen oder Roboter selbstständig und kommunizieren mit ihrer Umwelt. Optimale Produktionsabläufe setzen voraus, dass Maschinen untereinander rechtlich wirksame Erklärungen austauschen und bindende Vereinbarungen schließen können (sog. Maschinenerklärungen). Ab einem gewissen Grad der Automatisierung wird der Empfänger einer Erklärung nicht mehr mit Sicherheit sagen können, ob diese vom System erzeugt oder vom Nutzer des Systems selbst abgegeben wurde.

Einschätzung

Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist die Abgabe von Willenserklärungen bislang nur durch Menschen vorgesehen. Rechtliche Fragen, die sich im Zusammenhang mit Maschinenerklärungen ergeben, unterscheiden sich nicht von den von Menschen abgegebenen Erklärungen. So sind auch von Maschinen abgegebene Erklärungen, dem zuzurechnen, aus dessen Sphäre sie tatsächlich stammen. Das ist derjenige, der für den Empfänger der Erklärung erkennbar eine rechtserhebliche Erklärung abgibt. Im Fall von Maschinenerklärungen ist das regelmäßig der Nutzer des Systems. Fehlerhafte Erklärungsinhalte können, wie bisher auch, über die Regelungen der Anfechtbarkeit von Willenserklärungen beseitigt werden. Es besteht deshalb kein grundsätzlicher Bedarf an spezieller gesetzlicher Regelung. Rechtssicherheit kann dadurch geschaffen werden, dass im BGB der Zusatz aufgenommen wird, dass die Vorschriften für Willenserklärungen, Verträge und Vertretung auch gelten, wenn diese unter Verwendung von Maschinen erfolgen.

Fazit zu Maschinenerklärungen

Eine Klarstellung zur Rechtssicherheit bei Maschinenerklärungen im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB ist ausreichend.

Wettbewerb sichern in der Digitalisierung

Worum geht es?

Internetplattformen sind unverzichtbar für den Marktzugang von Produkten und Dienstleistungen. Neben reinen Suchmaschinen haben sich Online- Plattformen mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen etabliert. In der Regel werden die Angebote werbefinanziert und für den User entgeltfrei angeboten. Der „Nutzer“ der Plattform ist oftmals der Suchende, aber inzwischen zunehmend auch der „Gelistete“. Letzterer kann Werbung schalten und/oder sein Ranking anders beeinflussen.

Auf Anhieb ist dies den Plattformen nicht anzusehen. Plattformen sind Intermediäre zwischen verschiedenen Personengruppen. Plattformgestützte Geschäftsmodelle treten online in Konkurrenz zu herkömmlichen Geschäftsmodellen (beispielsweise Uber, Flixbus zu Taxi- und Omnibusgewerbe, Amazon zu stationärem Handel und Online-Shops, Airbnb zu Hotels).

Von Plattformen, Intermediären und Anbietern digitaler Produkte/Dienstleistungen werden gewaltige Mengen von Daten gesammelt, die nicht mehr mit herkömmlicher Datenverarbeitung erfasst werden können (Big Data). Technische Möglichkeiten wie das Geoblocking oder vertragliche Beschränkungen (selektiver Vertrieb, Plattformverbote, Bestpreisklauseln
etc.) ermöglichen es, Märkte für User im Internet zu beschränken.

Einschätzung

Auch für digitale Plattformen, Intermediäre und digitale Geschäftsmodelle unterliegen dem geltenden Recht und stellen keinen rechtsfreien Raum dar. Indirekte Netzwerkeffekte, nur schwer substituierbare digitale Geschäftsmodelle, die mögliche Vermischung horizontaler und vertikaler
Beschränkungsmöglichkeiten, weil die Angebote sich an verschiedene Personengruppen richten, sowie die Sammlung riesiger Datenmengen über die User können zu Konzentrationen (Lock-in) und damit einseitiger Marktmacht von Unternehmen führen. Die entstandene Marktmacht kann zur Beschränkung des Plattformzugangs oder zur Bündelung und Bevorzugung eigener Angebote
genutzt werden (leveraging).

Zwischen Plattformen und etablierten Marktakteuren sollte fairer Wettbewerb sichergestellt sein. Intransparente Geschäftsmodelle und Monopolisierungen schaden dem fairen Wettbewerb und erschweren eine wirksame Rechtsdurchsetzung. Das Kartellrecht ist grundsätzlich ein mögliches Instrument, den Missbrauch von Marktmacht zu verhindern. Die Definition von Marktmacht muss dem Entstehen vielpoliger Märkte gewachsen sein.

Fazit zur Intermediären und Plattformen

Für alle Akteure sollte ein Level Playing Field geschaffen werden.

Bei der Rechtsanwendung und Rechtsentwicklung sollten Besonderheiten digitaler Plattformen berücksichtigt werden.

Sektorspezifische Regulierungen sollten nur ergehen, wenn ein Marktversagen nachweisbar ist

Verantwortung in der Digitalisierung gestalten

Worum geht es?

Digitalisierung im Besteuerungsverfahren - das sind bisher vor allem Vorhaben zur Steigerung der Effizienz bei der Finanzverwaltung. Entlastungen für die Unternehmen stehen dagegen nicht im Fokus. Außerdem müssen die Betriebe staatliche Verwaltungsaufgaben – beispielsweise bei der Umsatzsteuer und der Lohnsteuer – erfüllen („Hand- und Spanndienste“), die sie zusätzlich belasten.

Einschätzung

Der Nutzen der Digitalisierung bei der Besteuerung darf nicht nur der Finanzverwaltung zu Gute kommen. Er sollte auch zu Erleichterungen für die Betriebe führen. Dies gilt auch für die von den Unternehmen zu erfüllenden staatlichen Verwaltungsaufgaben. Die Betriebe sollten insbesondere von den in den vergangenen Jahren – beispielsweise im Rahmen der E-Bilanz – gewachsenen elektronischen Zugriffsmöglichkeiten der Finanzverwaltung profitieren, indem steuerliche
Betriebsprüfungen zeitnah und zeitlich gestrafft durchgeführt werden.

Entsprechend könnten auch die Aufbewahrungsfristen der Steuerunterlagen verkürzt werden. Ferner sollte vor Einführung von digitalen Neuerungen die technische Machbarkeit sorgfältig in der Praxis geprüft werden, um unnötige Belastungen für die Betriebe zu vermeiden. I

Mehr Kooperation von Steuerstaat und Unternehmen statt Konfrontation wäre für beide Seiten von Vorteil. Eine erhöhte, freiwillige Transparenz und Kooperation der Betriebe – über ihre
gesetzlichen Verpflichtungen hinaus – würde durch ein verlässliches Anreizsystem des Staates flankiert. Der wesentliche Nutzen für die Unternehmen besteht insbesondere in schnellerer Rechtssicherheit und besserer Planbarkeit. Für die Finanzverwaltung ergibt sich als wesentlicher Vorteil ein ressourcenschonenderer Steuervollzug. Die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens kann die Umsetzung eines solchen kooperativen Ansatzes unterstützen.

Fazit zur Digitalisierung und Besteuerung

Ziel sollte sein:

Modernisierung und Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens praxisgerecht umzusetzen,
Keine einseitigen Vorteile für die Finanzverwaltung zu erreichen und
Kooperation statt zu Konfrontation stärken.