IHK Interview

Martin Hagen: „Der Wille zum Aufbruch ist da“

Martin Hagen, FDP
© FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag

Martin Hagen, Bayerns Spitzenmann der FDP, erklärt, weshalb auch Bayerns Wirtschaft von der neuen Bundesregierung profitieren wird.

FDP-Spitzenpolitiker Martin Hagen war am 18. November erstmals Gast der BIHK-Vollversammlung. Wegen der laufenden Koalitionsverhandlungen wollte er sich damals zu einigen noch nicht äußern. Am 8. Dezember – der Tag, an dem in Berlin Olaf Scholz Kanzler wurde – beantwortete er die Fragen von IHK-Redakteur Martin Armbruster.

Herr Hagen, Glückwunsch. Ihre Partei ist seit heute Teil der neuen Bundesregierung. Wie ist die Stimmungslage bei Ihnen? Herrscht da Euphorie?

Wir freuen uns natürlich über das gute Verhandlungsergebnis und über die Chance, aktiv die Politik zu gestalten. Für Euphorie ist jetzt aber nicht die Zeit. Wir starten mitten in einer Krisenphase. Wir haben mit den hohen Infektionszahlen, der niedrigen Booster-Quote und dem Pflegenotstand in den Kliniken eine Situation geerbt, die sofortiges Handeln erfordert. Zumindest regional droht eine Überlastung der Krankenhäuser. Die Regierung arbeitet daher von Beginn an im Krisenmodus. Schon vor dem Amtsantritt hat die Ampel mit dem neuen Infektionsschutzgesetz Verantwortung übernommen.

Die Union, die neue Opposition, wirft der Ampel schon einen Fehlstart vor.

Da sitzt der Frust über den verkorksten Wahlkampf der Union offenbar noch tief. Der Aufbruch wird gelingen, da bin ich zuversichtlich. Nach 16 Jahren Angela Merkel braucht das Land einen Modernisierungsschub. Wir müssen eine neue wirtschaftliche Dynamik entfachen, die Chancen der Digitalisierung nutzen und den Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität meistern.

Den gemeinsamen Willen, den Aufbruch zu schaffen, habe ich in den Koalitionsverhandlungen gespürt.

Martin Hagen, Vorsitzender der FDP in Bayern

Sie waren zum ersten Mal Gast einer BIHK-Vollversammlung. Was macht die FDP heute für Unternehmer interessant?

Die FDP wird in der neuen Bundesregierung der Garant für wirtschaftliche Vernunft und finanzpolitische Stabilität sein und sein müssen. Diese Rolle nehmen wir gerne an. Deshalb suchen wir den Austausch mit der Wirtschaft. Und eines ist ja auch klar: Egal ob es um Klimaschutz geht oder um soziale Projekte – wir werden das alles nur mit einem starken wirtschaftlichen Fundament finanzieren können. Genau darauf zu achten, das verstehen wir als unseren Auftrag.

Die FDP wurde in der IHK dafür gelobt, Steuererhöhungen verhindert zu haben. Was braucht es noch, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen?

Ein großes Thema ist sicher der Fachkräftemangel, dem wir begegnen müssen. In dem Kreis der IHK-Präsidenten und IHK-Hauptgeschäftsführer haben wir außerdem ausführlich über steigende Energiepreise und Versorgungssicherheit gesprochen. Das sind Herausforderungen, die die neue Regierung beherzt angehen muss.

Nun stehen neue Regierung und Koalitionsvertrag. Haben Sie darauf schon Reaktionen aus der Wirtschaft bekommen?

Ich habe sehr positives Feedback auf den Koalitionsvertrag bekommen. Der FDP ist es gelungen, steuerliche Mehrbelastungen auszuschließen. Auf der anderen Seite konnten wir mit der Super-Abschreibung und der Abschaffung der EEG-Umlage Entlastungen durchsetzen. Was von der Wirtschaft gelobt wird, ist auch die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Werden auch Mittelständler von diesen Schritten profitieren?

Ja, natürlich. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen werden von der Abschaffung der EEG-Umlage oder dem Abbau von Steuerbürokratie durch digitale Verfahren profitieren. Sie können Super-Abschreibungen nutzen, wenn sie in digitale Wirtschaftsgüter oder klimafreundliche Technologien investieren. Alles, was Mittelständler zusätzlich belasten könnte, werden wir in der Koalition zu verhindern versuchen. Wir verstehen uns da als Anwalt derjenigen, die den Wohlstand in Deutschland erwirtschaften.

Trotzdem hört man die Sorge, die Bundesregierung habe sich in einigen Punkten zu viel vorgenommen.

Klar stehen wir vor sehr großen Aufgaben. Da braucht es auch Mut. Das Motto des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ trifft das ganz gut. Gerade Corona hat gezeigt, dass wir nur über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern die Probleme lösen können. Deshalb setze ich auch auf eine konstruktive Rolle des Freistaats. Markus Söders Gerede vom „Ampel-Norden“ und dem „Freien Süden“ wirkt spalterisch und ist kontraproduktiv. Ich hoffe, dass lässt er bald hinter sich.

Wir müssen die Modernisierung in ganz Deutschland gemeinsam angehen, miteinander arbeiten und nicht gegeneinander.

Martin Hagen, Vorsitzender der FDP in Bayern

Hat der neue Bundesfinanzminister Christian Lindner das Potenzial, wieder Vertrauen in der Wirtschaft aufzubauen?

Christian Linder war sicher der Wunschkandidat der Wirtschaft für dieses Amt. Er ist der richtige, um die ambitionierten Ziele im Klimaschutz oder beim Infrastrukturausbau solide zu finanzieren – ohne ausufernde Verschuldung und ohne Steuererhöhungen. Gleichzeitig gilt es, die Inflationsrisiken in den Griff bekommen.

Neben Lindner stellt die FDP mit Volker Wissing einen weiteren Bundesminister, der über Schicksalsfragen der bayerischen Wirtschaft entscheidet – Digitalisierung und Verkehr.

Ja, das stimmt absolut. Ich bin froh, dass es der FDP gelungen ist, dieses wichtige Ressort zu besetzen.

Bayern wollte schon 2018 bei Breitband und E-Government Weltspitze sein. Es gab Digitalisierungsoffensiven, neue Lehrstühle, Digital-Zentren, Bayern hat eine Digital-Ministerin. Trotzdem klagen Unternehmen über große Mängel. Was lief denn da schief?

Tja, alle großen Ankündigungen sind im Sande verlaufen. Das Grundproblem ist: Das Digitalministerium in Bayern ist ein reines Feigenblatt. Ihm fehlen die Kompetenzen – es ist weder für den Breitbandausbau noch für mobiles Internet, E-Government oder Cyber-Sicherheit zuständig. Das Ministerium ist eine komplette Luftnummer. Mit dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr ist das Mega-Thema Infrastruktur auf Bundesebene jetzt in einer Hand gebündelt.

Was Bayerns Wirtschaft seit Langem kritisiert, ist der Stillstand in der Verkehrspolitik. In der Fläche gibt es kaum ÖPNV, die Transitstrecken sind überlastet – bringt die Ampel neuen Schwung?

Ich denke, dass beschleunigte Planungsverfahren zu einer besseren Verkehrsinfrastruktur führen. Und wofür Volker Wissing sicher ein Garant ist: Wir werden keine Ideologie-Debatten führen und keinen Kulturkampf gegen das Auto. Alle Verkehrsträger müssen gestärkt werden. .

Alle wissen, wie wichtig Bildung für soziale Gerechtigkeit und das Angebot an Fachkräften ist. Bayern galt da als Deutschlands Musterschüler. Seit Corona ist der Lack ab. Was muss sich ändern?

Wir brauchen auch in den Schulen einen Digitalisierungsschub. Wir haben ja gesehen, wie schlecht der digitale Unterricht geklappt hat.

Wir haben in der Bildung eine soziale Spaltung, die der Schullockdown in der Coronakrise verschärft hat. Es darf nicht sein, dass wir hier eine verlorene Corona-Generation produzieren.

Martin Hagen, FDP-Vorsitzender in Bayern

Was schlagen Sie vor?

Einen erneuten monatelangen Schul-Lockdown müssen wir unbedingt verhindern. Es war einer der großen Fehler der Corona-Krise, die Schulen so lange zuzusperren. Das geht auf Kosten der Kinder, die in beengten Wohnverhältnissen leben, die keine digitalen Endgeräte haben oder deren Eltern ihnen bei der Vermittlung des Stoffes nicht helfen können. Solche Kinder müssen wir jetzt gezielt fördern, um Lernrückstände zu beheben.

Schauen wir mal Richtung 2023, zur nächsten Landtagswahl. Braucht auch Bayern mehr liberale Impulse?

Wir wollen 2023 auch in Bayern Regierungsverantwortung übernehmen. Bayern braucht ein Update, gerade auch im Wirtschaftsressort. Was ich von Unternehmern häufig höre, ist: In der aktuellen Legislaturperiode war die Wirtschaftspolitik nicht mehr so ambitioniert, wie das früher in Bayern der Fall war.

Was kritisieren Sie?

Der bayerischen Wirtschaftspolitik fehlt momentan das Verständnis für High-Tech und Großindustrie, für die Luft- und Raumfahrt und innovative Startups – das sind aber genau die Bereiche, die für die Zukunft Bayerns entscheidend sind. Schausteller und Wirtshäuser sind wichtig, keine Frage, aber der Horizont bayerischer Wirtschaftspolitik muss weiter reichen.

Zur Person

Martin Hagen ist Fraktionsvorsitzender der FDP im bayerischen Landtag, Mitglied des FDP-Bundesvorstands und Vorsitzender der FDP in Bayern. Hagen, 1981 geboren, wuchs in Feldkirchen-Westerham auf und lebt heute in Baldham